Verbalschlachten

Rhetorische Kriegsführung im Europawahljahr

Eine Illustration zeigt eine Sprechblase zwischen einem Kameramann und einer Journalistin mit Mikrofon.
Der Kampf mit markigen Sprüchen und Schlagworten geht im Wahljahr 2019 in die nächste Runde. © imago / Ikon Images
Von Matthias Finger · 07.01.2019
In 2019 wird gewählt: Europaparlament und Bremer Bürgerschaft im Mai und später im Jahr dann drei weitere Landtage. Was können wir vom verschärften Wettbewerb um Wählerstimmen sprachlich erwarten?
Hurra, es geht los! Jetzt werden die großen Sprachkanonen rausgeholt – schließlich wird in diesem Jahr gewählt. Schluss mit dem eintönigen Politikergelaber. 2019 fliegen endlich mal wieder so richtig die Fetzen.
Prognose 1: Der Trend zur Provokation geht weiter.
Ex-Kanzlerkandidat Martin Schulz von der SPD hat im letzten Jahr schon mal gezeigt, wo die Reise hingehen könnte:
"Herr Gauland, die Menge von Vogelschiss ist ein Misthaufen. Und auf den gehören sie in der Geschichte."

Markige Sprüche statt Einheitsbrei

Jawohl! Markige Sprüche statt Einheitsbrei. Von den benebelnden Politikerfloskeln der letzten Jahrzehnte verabschieden wir uns. Stattdessen: Verbales Schlammcatchen im saturierten Bundestag – im Namen des Volkes.
Söder spricht in einem Bierzelt 
Markus Söder im Bierzelt: Der bayerische Ministerpräsident schmeißt auch sonst gerne mit markigen Worten um sich.© dpa/Peter Kneffel
Prognose 2: Die Sprache der Abgeordneten wird noch mehr von knackigen Kurzaussagen geprägt sein, die sich gut für Schlagzeilen und Twitternachrichten eignen.
Allerdings darf bezweifelt werden, ob Vereinfachungen den Diskurs wirklich nach vorne bringen, meint der Kölner Journalist Udo Stiehl. Leider. Auf seiner Seite Floskelwolke.de analysiert er den Sprachgebrauch der Volksvertreter:
"Also ich erwarte schon, dass das wesentlich aggressiver wird. Es muss ein Wording gefunden werden was verfängt, was ganz kurz sein muss, was auf Plakaten wirkt."
Ein Meister der Zunft macht vor wie es geht: Markus Söder. Der bayrische Ministerpräsident schmeißt auch gern mal in den Tagesthemen mit polarisierenden Schlagworten aus dem Bierzelt um sich - wie Asyltourismus:
"Da brauchen wir endlich auch eine deutsche Position an der Stelle. Und die muss eben lauten, dass Asyltourismus in Europa nicht mehr geht."
Flucht als Urlaub: Vor der versammelten Nation entstehen falsche Bilder in den Köpfen, die sich kaum mehr löschen lassen, sagt Stiehl. Über den Begriff, der übrigens von einem Sozi 1978 erstmals im Bundestag verwendet wurde, zu lamentieren - so wie wir es gerade tun – sei zudem komplett kontraproduktiv, sagt er:
"Wenn ich das negiere und sage, ich bin absolut dagegen, dass Markus Söder den Begriff 'Asyltourist' verwendet, dann habe ich nichts erreicht, außer dass ich den Begriff 'Asyltourist' erneut in den Köpfen der Zuhörer aufgerufen habe. Und die Verneinung wird überhaupt nicht wahrgenommen. Und das ist das Gefährliche beim Framing."

"Framing" ist das Schlagwort schlechthin

Geschehnisse werden – Achtung, Schlagwort des Jahres - beim Framing in einen Deutungskontext gesetzt und Begriffe – zum Teil auch unzulässig - miteinander verknüpft.
Prognose 3: Framing kann auch positiv verwendet werden. Allerdings erschreckt die Wirksamkeit der Methode.
Nehmen wir mal das Gesetz zur Weiterentwicklung der Qualität in der Kindertagesbetreuung. Das Buchstabenmonster wurde von Franziska Giffey umbenannt - in "Gute-Kita-Gesetz":
"Dafür braucht es Qualität. Dafür braucht es Kapazität und auch Fachkräfte. Und an all diesen Punkten wird das Gute-Kita-Gesetz anknüpfen."
Bundesfamilienministerin Franziska Giffey
"Gute-Kita-Gesetz": Bundesfamilienministerin Franziska Giffey passte dieser Name besser als ein bürokratisches Buchstabenmonster.© imago / phototek
Den Wunsch der Bundesfamilienministerin nach medialer Steuerung beschreibt Udo Stiehl so:
"Ich möchte gern eine positive Kommunikation haben. Mir ist der Gesetzestitel zu kompliziert, deswegen gebe ich dem Ding einen eingängigen Titel und habe meine Mitarbeiter angewiesen vom Gute-Kita-Gesetz zu schreiben. Und das ist in der Presse ziemlich unhinterfragt überall übernommen worden."
... obwohl es auch Kritik gab.

Kommt das "Geile-Truppe-Gesetz"?

Allein der knackige Namen suggeriert, dass das neue Gesetz nicht schlecht sein kann. Eine Reform der Bundeswehr könnte als "Geile-Truppe-Gesetz" ganz einfach durchgehen. Stiehl fordert gerade von Journalisten mehr Sensibilität für Begriffsmanipulationen, damit sie nicht als blinde Verteiler für politische PR fungieren.
Fast schon prähistorisch klingt da der Schlonzes von Politdinosauriern wie Angela Merkel. Nehmen wir mal ihre Neujahrsrede. Hauptsache: Keinen Klartext reden, denn der macht angreifbar. Lieber Allgemeinplätze daher salbadern, denen jeder irgendwie zustimmen kann:
"Wir alle stehen in der Zeit. Wir bauen auf dem auf, was uns unsere Vorgänger hinterlassen haben und gestalten in der Gegenwart für die, die nach uns kommen."
Ja und? Früher war Inhaltsleere kein Problem. Aber in Zeiten der gefühlten Angst reicht Eingelulle nicht mehr. So entsteht wohl Politikverdrossenheit. Wir wollen mittlerweile Klartext. Und von wem bekommen wir den? Leider viel zu oft von Populisten.

Harmlose Worte, die es in sich haben

Prognose 4: Begriffe werden in den Diskurs eingeschleust, die belastet sind.
Mit ihrem "Neujahrsgruß an die Volksgemeinschaft" sorgt die AfD für den ersten Aufreger des Jahres 2019. Kritiker müssen allerdings zähneknirschend zugeben, dass die Nazis den Begriff keineswegs erfunden sondern "nur" geprägt haben. Worte wie Asylgegner oder -kritiker hingegen hören sich erst mal harmlos an, haben es aber wirklich in sich.
"Asyl ist ein verbrieftes Grundrecht. Und wenn ich Asylgegner oder -kritiker bin, dann stelle ich mich damit gleichzeitig gegen die Verfassung", sagt Udo Stiehl.
Die Rhetorik der neuen Rechten wirbelt das politische Establishment durcheinander. Gut so. Wir freuen uns, dass es nach Jahren der politischen Phrasendrescherei mal endlich wieder so richtig zur Sache geht: Politik ist Kampfsport – hat Helmut Schmidt gesagt.
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