Vaterfigur der Jazz-Szene in New Orleans

Ellis Marsalis stirbt nach Coronainfektion

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Der Jazzpianist Ellis Marsalis beim New Orleans Jazz Festival in New Orleans, Louisiana.
Mehrere Generationen heutiger Jazzgrößen wurden von Ellis Marsalis ausgebildet: Darunter die Trompeter Terence Blanchard und Nicolas Payton", sagt Matthias Wegner. © Getty/Tim Mosenfelder
Matthias Wegner im Gespräch mit Frank Meyer · 02.04.2020
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Die weltweite Jazzszene beklagt einen weiteren großen Verlust: Die US-Legende Ellis Marsalis starb am Mittwoch im Alter von 85 Jahren an einer Lungenentzündung, nachdem er sich mit dem Coronavirus infiziert hatte.
Ellis Marsalis hat fast sein ganzes Leben in seiner Heimatstadt New Orleans verbracht. Bis in den Dezember hinein war er noch regelmäßig aufgetreten. "Ellis Marsalis war eine Legende. Er war der Prototyp von dem, was wir meinen, wenn wir über Jazz aus New Orleans sprechen", sagte die Bürgermeisterin der Musikstadt, LaToya Cantrell.

Großer Ruf als Lehrer

Die Familie von Ellis Marsalis ist eine der bekanntesten Musikerfamilien der USA, vier seiner sechs Söhne wurden weltbekannt: "Der Trompeter Wynton Marsalis ist eine Art Wortführer einer ganzen Generation von Jazz-Musikern – ein unglaublich einflussreicher Musiker, der seit langem auch der künstlerische Leiter Jazz am Lincoln Center in New York ist, von wo aus er die Jazzszene sehr gut steuern kann", sagt Deutschlandfunk Kultur-Jazzredakteur Matthias Wegner.
Auch der etwas ältere Bruder Branford ist sehr bekannt: "Er ist einer der bedeutendsten Saxofonisten unserer Zeit und hat auch mit vielen Leuten außerhalb des Jazz gespielt. Mit Leuten wie Sting ist er durch die Welt getourt und auch ganz viel für die Verbindung von Jazz und Hip Hop getan", erklärt Wegner. Hinzu kommen noch Delfeayo Marsalis, der Posaune spielt und als Produzent und Musiker erfolgreich ist sowie Jason Marsalis, der Schlagzeuger ist und eine eigene Band hat.

Ellis Marsalis habe einen sehr guten Ruf als Lehrer gehabt, über die Familie hinaus: Er habe viele junger Talente gefördert, hebt Wegner hervor: "Mehrere Generationen heutiger Jazzgrößen wurden von ihm ausgebildet: Zum Beispiel die sehr erfolgreichen Trompeter Terence Blanchard und Nicolas Payton oder auch der Sänger Harry Connick Jr."

Familiärer Erfolg

Ellis Marsalis selbst spielte "unglaublich souverän, sehr durchdacht, leicht perlend-impressionistisch, rhythmisch sehr prägnant", so Wegner. Er habe auch das ganze Vokabular der Post-BeBop-Zeit sehr gut verinnerlicht, habe Einflüsse des Pianisten Oscar Peterson hörbar gemacht. Marsalis habe vor allem die kleine Besetzung gemocht, Duo oder Trio. "Ich finde, er hätte noch mehr Aufmerksamkeit verdient gehabt als Pianist", sagt Wegner.
Vor allem in den 80er und 90er-Jahren, als der etwas traditionellere Jazz wieder aufkeimte, habe Marsalis wieder viel aufgenommen. Damals kamen die sogenannten Young Cats auf, hochtalentierte, technisch erstklassige Musiker, darunter auch Wynton und Branford Marsalis, die sehr bekannt wurden. "Er profitierte vom Bekanntheitsgrad seiner Söhne, die er vorher angelernt hat", zeigt Wegner auf, wie der Erfolg der Familienmitglieder in einer ganz eigenen Wechselbeziehung stand.
Noch mehr als seine eigenen Veröffentlichungen werde sein Erbe wohl in den Musikern bestehen, die er ausgebildet hat, meint Wegner.
In den letzten zehn bis 15 Jahren sei es schon ruhiger um Ellis Marsalis geworden, der außerhalb der USA auch kaum mehr aufgetreten sei, so dass ihn manche Leute in Europa vielleicht auch schon ein Stück weit vergessen haben.

Coronavirus trifft den Jazz hart

Der Coronavirus scheint den Jazz besonders hart zu treffen. Ellis Marsalis ist schon der vierte große Jazzer, der nach einer Infektion mit dem Coronavirus starb. Vor ihm kostete der Virus schon Manu Dibango, Mike Longo und Wallace Roney das Leben.
Wegner glaubt, dass das auch an der Altersstruktur liege: "Viele Jazzlegenden sind mittlerweile vergleichsweise alt. Wir haben ja etliche 70-, 80-, 90-Jährige, die noch regelmäßig auftreten und die natürlich besonders gefährdet sind. Man darf auch nicht vergessen, dass viele von ihnen noch bis vor wenigen Wochen durch die Welt gereist sind und Konzerte gespielt haben, also auch einer enormen Ansteckungsgefahr ausgesetzt waren."
Hinzu kämen die Lebens- und Arbeitsbedingungen dieser Jazzer, die einerseits ein sehr spannendes Leben geführt hätten, aber eben auch ein sehr kräftezehrendes, sagt Wegner, inklusive des Drogenkonsums, der einige Jahrzehnte in der Szene sehr angesagt gewesen sei. "Und dazu kam das viele Reisen mit wenig Schlaf und zum Teil schlechten Hotelzimmern. Und dann haben sie natürlich mehrmals die Woche in ordentlich verqualmten Jazzclubs gespielt, das hat sicherlich auch bei vielen langfristige Schäden verursacht."
Bei Ellis Marsalis komme noch hinzu, dass seine Heimatstadt New Orleans aktuell ein absoluter Coronahotspot ist. "Dort gab es ja noch den Karneval Ende Februar, wo sich viele angesteckt haben."
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