Vargas Llosa: Verhältnis zum Vater hat "meine schriftstellerische Ausrichtung geprägt"

Von Tobias Wenzel · 13.10.2011
Der neue Roman von Mario Vargas Llosa sorgte lange vor seinem Erscheinen für Aufregung in der deutschen Verlagswelt. Zunächst hatte der Rowohlt Verlag die Übersetzungsrechte erworben, doch nun erschien "Der Traum des Kelten" im Suhrkamp Verlag – ein biografischer Roman.
Mario Vargas Llosa ist gut gelaunt. Gerade eben hat er dem "Spiegel" ein längeres Interview gegeben, wurde außerdem noch vom Fernsehen gefilmt. Aber anstatt eine Verschnaufpause einzufordern, betritt der 75-jährige peruanische Autor voller Tatendrang den Roten Salon eines Frankfurter Nobelhotels, noch vor der vereinbarten Zeit, als könnte er es nicht erwarten, das nächste Interview zu geben.

Der Literaturnobelpreis, dem man gerne nachsagt, er verwandle viele Literaten in unausstehliche, eitle Zeitgenossen, hatte offensichtlich keinen negativen Einfluss auf Mario Vargas Llosa:

"Der Vorteil ist: Wenn man diesen Preis erst im hohen Alter bekommt, dann ist es schon recht spät, um sich noch zu verändern. Wie man ist, wie man arbeitet, wie man schreibt, das wird sich dann nicht mehr verändern. Natürlich hat mich der Nobelpreis zu einer öffentlichen Person gemacht, jetzt habe ich neue Verpflichtungen. Aber im Wesentlichen, nämlich in meiner Arbeit als Schriftsteller, habe ich mich überhaupt nicht verändert."

Wie Mario Vargas Llosa da in diesem feinen Salon sitzt, im perfekt passenden Anzug, das graue Haar wie immer akkurat gescheitelt, über ihm ein mächtiger Kristallkronleuchter, an den Wänden edel anmutenden Porträtgemälden - der Kontrast zur Hauptfigur seines biografischen Romans "Der Traum des Kelten" könnte nicht größer sein. 1916 in einem Londoner Gefängnis: Der britische Diplomat und irische Freiheitskämpfer Roger Casement ist wegen Spionage und Hochverrats zum Tode verurteilt:

aus: Mario Vargas Llosa: "Der Traum des Kelten", S. 9:
"Während er blinzelnd gegen die Benommenheit ankämpfte, machte er den im Türrahmen lehnenden Umriss des Sheriffs aus. Die boshaften Äuglein in dem schwammigen Gesicht mit dem blonden Schnurrbart musterten ihn mit unverhohlener Abneigung. Für diesen Menschen wäre es ein schwerer Schlag, sollte die englische Regierung das Gnadengesuch erhören."

Das Gnadengesuch wurde abgelehnt, nachdem der britische Geheimdienst Auszüge aus den Tagebüchern Casements öffentlich gemacht hatte. Daraus ging hervor, dass Roger Casement schwul war, damals eine Straftat. Casement wurde hingerichtet. Bis heute ist umstritten, ob die Tagebücher, die in einer sehr vulgären Sprache geschrieben sind und auch extreme sexuelle Handlungen schildern, überhaupt von Casement stammen. Oder ob sie der britische Geheimdienst nur gefälscht hat, um Casements Ruf zu ruinieren. Mario Vargas Llosa hält die Tagebücher für echt, den Inhalt aber nicht für erlebt:

"Wenn ich richtig liege, hat er die Tagebücher geschrieben, um Abenteuer auszuleben, die ihm in der Realität unmöglich waren. Homosexualität war damals ein Skandal, war in vielen Ländern strafbar. Außerdem war Casement ja ein Diplomat. Einer, der als sehr höflich beschrieben wurde, der sich immer gewählt ausdrückte, nie vulgär. Der einzige Ort, an dem er seine Homosexualität und Fantasien auszuleben konnte, waren also seine Tagebücher. Nur so ging das."

Mario Vargas Llosa zeichnet in seinem neuen Roman das bewegte Leben Casements nach, beginnend mit seiner Kindheit in Irland, der liebevollen Mutter und dem Vater, der in seiner unerbittlichen Strenge dem Vater von Mario Vargas Llosa ähnelte:

"Mein Vater war in der Tat sehr streng. Ich sag es mal so: Meinem Vater verdanke ich letztlich, dass ich jede Art von Autoritarismus hasse, und jeden Versuch, jemandem mit Gewalt etwas aufzuzwingen: Überzeugungen, Verhaltensweisen oder den Glauben.

Ganz sicher berührt mich die Geschichte Roger Casements, die ja mit Gewalt und Missbrauch zu tun hat, ganz persönlich. Diese Themen ziehen sich durch meine Bücher. Im Grunde hat mein schwieriges Verhältnis zu meinem Vater letztlich meine schriftstellerische Ausrichtung geprägt."

Nach dem Tod seines Vaters deckt Roger Casement als Diplomat die kolonialen Grausamkeiten im Kongo auf, reist später ins peruanische Amazonasgebiet. Tausende Einheimische wurden dort getötet, andere gefoltert, versklavt. Das alles, um die mit britischem Geld finanzierte Kautschukproduktion voranzubringen. Roger Casement traut seinen Ohren nicht, als ein Vorsteher der Kautschuk-Firma über die Eingeborenen spricht.

aus: Mario Vargas Llosa: "Der Traum des Kelten", S. 237:
"Tiere kann man nicht wie menschliche Wesen behandeln. Eine Anakonda, ein Jaguar oder ein Puma kennen keine Vernunft. Die Wilden auch nicht. Aber was soll’s, Durchreisende können solche Dinge nicht begreifen.’ ‘Ich habe zwanzig Jahre in Afrika gelebt und mich nicht in ein Ungeheuer verwandelt’, sagte Roger. ‘Aber genau das sind Sie, Mr. Normand."

Mario Vargas Llosa ist mit "Der Traum des Kelten" kein großer literarischer Wurf gelungen, aber sehr wohl ein hochinteressanter biographischer Roman. Das Buch wirft spannende Fragen auf wie: Wäre Roger Casement die Hinrichtung in London erspart geblieben, wenn Deutschland ihn während des Ersten Weltkriegs stärker im irischen Unabhängigkeitskampf unterstützt hätte?

Die zahlreichen Lücken im Leben Casements füllt der peruanische Schriftsteller mit seiner Fantasie und entwirft so das facettenreiche und widersprüchliche Bild des Menschen hinter dem Kämpfer für Freiheit und Gerechtigkeit:

"Casement gehört zu jenen Personen, die mich für sich einnehmen. Um seine Überzeugungen zu verteidigen, stellte sich Casement mutig gegen den Strom. Menschen wie Casement bringen doch unserer Kultur voran. Hätte es niemanden wie Casement gegeben, würden wir heute noch in Höhlen leben."