Fischhändler gründen Start-up

Vom Kutter in die Pfanne

08:24 Minuten
Möwen fliegen hinter einem Fischkutter und seinen Netzen vor der Nordseeinsel Amrum.
So idyllisch ist der Beruf des Fischers schon lange nicht mehr. © imago images / Jochen Eckel
Von Dorothea Heintze · 16.12.2020
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Frischer Fisch direkt vom Kutter: Das sollte in Hamburg eigentlich kein Problem sein. Doch ein Großteil der Fische kommt aus dem Ausland an die Elbe, die großen Fischauktionsplätze liegen in Holland und Dänemark. Ein kleines Start-up will das ändern.
"Es ist früh morgens, und wir befinden uns gerade auf der Ostsee vor Fehmarn, Ost-Fehmarn, und holen die ersten Stellnetze rein. Es sind insgesamt drei Längen ausgesetzt, ein Netz ist bis zu 700 Metern lang. Die Fischer Marko und Dirk machen sich jetzt bereit, an dem die erste Boje reinzuholen, an der das Netz befestigt wird und dann wird das Stellnetz reingeholt."
Sechs Uhr morgens, es ist stockdunkel, das Wasser schwappt an die Rehling. Zwei Scheinwerfer beleuchten die beiden Männer in dicken Öljacken, die an einer Winde vorne hantieren. Hinten am Heck steht Lars Bäumer. 31 Jahre ist er alt. Ein smarter junger Mann, Drei-Tage-Bart, Wollmütze, Jeans, dicke Jacke und feste Stiefel. Erziehungswissenschaften hat er mal studiert, dann war er Fundraiser. Heute ist er Fischhändler. Um drei Uhr morgens sind wir in Hamburg gestartet und jetzt seit einer Stunde auf der Ostsee unterwegs.

Für Endverbraucher und Gastronomie

Regelmäßig fährt Lars Bäumer mit den Fischern aufs Meer, um direkt beim Fang dabei zu sein. "Frisch Gefischt" heißt sein kleines Unternehmen, dass er 2019 mit seinem Jugendfreund Andreas Reinhardt gegründet hat:
"Unser Kernansatz ist, wieder frischen Fisch, direkt von den Fischern, an den Endverbraucher oder an die Gastronomie zu liefern, und es gibt eben nicht mehr diesen Küstenfisch zu kaufen. Und das ist ein ganz großes Problem gewesen, das wir gesehen haben, und wir machen das wieder möglich. Viele Fischer und Fischerinnen, so es sie gibt, haben nicht die Möglichkeit, durch Marketing oder eigene Vertriebsstrukturen das selber zu machen. Und da kommen wir ins Spiel."
Das Fischerboot gehört Dirk Jaudzim. Steinbutt, Dorsch und Scholle sollen heute in den Netzen sein. Davon will Lars Bäumer im Kühllaster ein paar Kilo nach Hamburg zurückbringen. Doch erst mal muss dieser Fisch, jeder einzeln, aus dem Fangnetz gepult werden.
Ein Fischkutter
Das Fischerboot von Dirk Jaudzim.© Deutschlandradio / Dorothea Heintze
"Marco holt hier gerade die Dorsche aus den Netzen, und die laden wir direkt ein, sobald wir im Hafen sind, und heute Abend ist der Fisch ja quasi schon auf dem Teller, wenn man will. In Hamburger Fischrestaurants gibt es in der Regel halt Fisch, der über die regulären Handelswege kommt. Und die brauchen mehr Zeit. Das ist einfach der Punkt, weil wir in Deutschland keine Auktionen mehr haben, muss der Fisch erst mal auf die Auktion gefahren werden, im Ausland, und kommt dann wieder zurück nach Deutschland, und da gehen natürlich wertvolle Tage verloren. Und das kürzen wir ab, plus: Wir wissen, welcher Fischer hat den Fisch gefangen, und vermitteln diese Information mit."

Regionalität und Nachhaltigkeit

Dem Produkt ein Gesicht geben, Regionalität, Frische, Nachhaltigkeit und eine Direktvermarktung ohne Aufschläge für Zwischenhändler: Mit diesem Handelskonzept ist das Start-up von Lars Bäumer in eine kleine Marktlücke gestoßen. Gerade haben sie Fördergelder gewonnen. Jetzt gibt es zwei Angestellte – und Lars muss nicht mehr mehrmals die Woche nachts los, nach Fehmarn oder an die Schlei. Vorne an der Winde läuft es gerade nicht so gut. Dirk ärgert sich über die vielen Strandkrabben im Netz:
- "So was meine ich mit den Krebsen, den ganzen Fisch haben sie aufgefressen. Nix mehr drin."
- "Worher kommen denn die ganzen Krebse?"
- "Na, durch den Sauerstoffmangel, dann vermehren die sich ohne Ende. Hier ist mal ein Dorsch, 3,5 Kilo, schönes Tier, ne?"

Mühsame Handarbeit

Stellnetzfischerei bedeutet viel Handarbeit, das ist mühsam. Es braucht ein eingespieltes Team wie Marco und Dirk. Hier wird nicht viel geredet, sondern gearbeitet. Kleine Bojen sind ins Netz gewebt, auch die kommen jetzt aus dem Wasser. Marco erklärt: "Das sind die Schweinswalpinger, die haben wir im Netz, die senden Geräusche, das ist jetzt ein bisschen laut, sonst könnte man das hören, und dadurch werden die Schweinswale abgeschreckt und kommen nicht ins Netz rein."
Es braucht viel Vertrauen, bis Fischer wie Dirk und Marco neue Geschäftsbeziehungen eingehen. Sie sind oft Einzelkämpfer, verkaufen ihren Fisch entweder direkt am Hafen an Touristen und Einheimische, oder die Ware geht über die Genossenschaft auf die Auktionen nach Dänemark oder in die Niederlanden.
Noch ein Dorsch kommt, dann ein Steinbutt. Umwelteinflüsse lassen die Muschelbänke sterben, viele Fische finden keine Nahrung mehr. Marco zeigt eine Flunder: "Die Flunder hat kein Fleisch mehr, das ist nur noch Haut und dann gleich die Gräte, die hat keine Nahrung mehr, keine Muscheln mehr zu fressen. Die wird verhungern."

Seit über 30 Jahren zur See

Es ist neun Uhr. Die Sonne ist aufgegangen. Marco zerlegt Fische, Dirk steuert. Seit über 30 Jahren fährt der 51-Jährige zur See und ernährt damit seine Familie. Neben Marco hat er noch einen Angestellten. Früher gab es 35 Fischerboote im Hafen von Burg auf Fehmarn, heute sind es noch sieben. Zwei davon gehören ihm. Die Christiane, 9,50 Meter lang, 30 Jahre alt und die Mathilda, benannt nach einer seiner Töchter. Die fährt auch grad nach Haus und meldet sich per Telefon.
Ein Fisch im Netz.
Nicht jeder Tag ist ein guter Tag für den Fischer. Manchmal fängt er kaum etwas.© Deutschlandradio/Dorothea Heintze
Weiter gehts, das Echolot piepst, der Hafen kommt in Sicht. Dirk und Marko lieben die Fischerei. An guten Tagen haben sie bis zu 300 Kilo in den Kisten. Sie können davon leben. Heute nicht.
- "Wie lange sind wir gefahren? Drei, vier Stunden insgesamt. Was haben wir gefangen? 40 Kilo Dorsch vielleicht 20 Kilo Scholle?"
- "Was kommt da so für ein Verdienst für Dich raus?"
- "150, 200 €? Bisschen dünn. Aber was willst du machen, es gibt auch bessere Tage. Und auch schlechtere. Kannst du nichts dran ändern."

Gesunder Fisch

Neue Vermarktungsmethoden müssen her. "Fisch vom Kutter" heißt eine Webseite, auf der Kunden nachlesen können, wo es an den Küsten in Schleswig-Holstein gerade frischen Fisch gibt. Sogar auf Twitter ist die Initiative vertreten. Vielleicht haben deutsche Küstenfischer doch eine Überlebenschance?
Die Christiane liegt am Kai, die ersten Stammkunden warten schon; so, wie dieser Herr hier. Gibt es jeden Tag Fisch bei ihm? "Nee, aber dreimal die Woche, und vom Boot, preiswert. Wenn ich überlege: In Berlin kostet so ein Steinbutt, Ost- oder Nordsee, kostet 60 Euro das Kilo. Und das ist französischer Zuchtbutt, den können Sie nicht essen, schmeckt wie Knüppel auf den Kopp."
Hier direkt am Schiff zahlt der Kunde zehn Euro für den Steinbutt und sicher ist: Der Fisch hier ist frisch und schmeckt. Lars packt derweil seine 15 kg Dorsch ein und nimmt auch gleich noch eine Tüte Strandkrabben mit.
Vom Schiff aus hat er telefoniert und einen Koch in Hamburg angerufen. Nun wollen sie Rezepte ausprobieren. Auch ein Beifang wie Krabben sind gute Lebensmittel, aus denen man was machen könnte. Kommt hinzu: Corona. Alle Restaurants sind zu und es müssen neue Ideen her. Warum dann nicht eine Standkrabbensuppe aus Fehmarn? Auf nach Hause.
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