Vampire, Zombies und Viren im Film

Was wir aus der Fiktion über Pandemien lernen können

21:45 Minuten
Schauspielerin Jennifer Ehle as Dr. Ally Hextall in dem Thriller "Contagion". Eine Wissenschaftlerin in Schutzkleidung im Labor.
Die Schauspielerin Jennifer Ehle als Dr. Ally Hextall in dem Thriller "Contagion". © mago images/Cinema Publishers Collection/Courtesy Warner Bros.
Elisabeth Bronfen im Gespräch mit Susanne Burg · 05.12.2020
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"Nosferatu", "Dawn Of The Dead" oder "Cantagion" – Vampire, Zombies und Viren sind ein beliebtes Thema in Filmen. Die Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen hat die gesellschaftliche und politische Dimension dahinter erforscht.
Susanne Burg: Als im März die Coronapandemie auch bei uns ankam, da passierte plötzlich etwas Merkwürdiges mit unserer Wahrnehmung: Unser Leben, unsere Realität schienen plötzlich gar nicht mehr so weit weg zu sein von den Katastrophenszenarien des Kinos. Filme wie "Contagion" von Steven Soderbergh haben wir plötzlich ganz anders gesehen.
Auch die Kultur- und Literaturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen hat den Stillstand des Lockdowns im Frühling genutzt, hat noch einmal Pandemiekatastrophen- und Zombiefilme geguckt und Literaturklassiker über die Pest oder Cholera gelesen. Entstanden ist daraus das Buch "Angesteckt: Zeitgemässes über Pandemie und Kultur". Bronfen untersucht darin, was wir aus der Fiktion über die Pandemie für die Jetztzeit lernen können.
Elisabeth Bronfen: Es ist grundsätzlich so, dass Epidemiologen immer zurückschauen, um herauszufinden, wie hat sich eine bestimmte Pandemie entwickelt, um dann voraussagen zu können, entweder die eine Pandemie, die gerade jetzt im Gang ist, sich entwickeln wird, beziehungsweise was man tun könnte, um so etwas in der Zukunft zu verhindern. Die Pandemie, auf die jetzt alle Leute schauen – witzigerweise die, die man lange die vergessene Pandemie nannte –, war die Spanische Grippe um den Ersten Weltkrieg herum. Das Interessante für mich an der Sache ist die Idee, man guckt in die Vergangenheit, um gewisse Muster feststellen zu können, damit man dann eine Prognose für die Zukunft machen kann, diese drei Zeiten, die dann auf einmal involviert sind.
Das interessiert mich so sehr, weil Freud in seinen Schriften zur Fantasiearbeit auch von diesen drei Zeiten redet. Er spricht davon, dass etwas in der Gegenwart einen beschäftigt, einen beunruhigt, und das löst dann Erinnerungen an etwas in der Vergangenheit aus. Meistens sind diese Erinnerungen natürlich dann auch ein bisschen entstellt und verändert, und da verknüpft sich für mich eigentlich die Arbeit der Epidemiologen und die Arbeit, die ich versuche zu leisten in dem Buch, in dem es mir um Epidemien und Kultur geht, nämlich das, was ich das Pandemiearchiv nenne, noch mal zu durchforsten, um etwas über unsere Jetztzeit zu erfahren.


Burg: Wenn wir mal in dieses Pandemiearchiv schauen, da fangen Sie an mit der Auseinandersetzung mit der Mutter aller Pandemien, der Spanischen Grippe, die in den Ersten Weltkrieg fiel, und dann die dritte Welle in die Nachkriegszeit 1919 und 1920. Dann kam 1922 "Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens" von Friedrich Wilhelm Murnau heraus. Wie arbeitet er sich denn an den Erfahrungen der Spanischen Grippe ab?
Bronfen: Man hat Murnaus "Nosferatu" normalerweise entweder wirklich als einen frühen Versuch verstanden, diese übernatürliche Gestalt des Vampirs auf die Leinwand zu bringen. Das andere, was man normalerweise mit "Nosferatu" verknüpfte, war halt eher der Erste Weltkrieg und die ganzen Toten im Ersten Weltkrieg bis hin auch zu – und da denke ich dann an den Filmwissenschaftler Kracauer, der ja gerade fürs Weimarer Kino gesagt hat, hier lässt sich eigentlich vorausahnen, was dann später Ende der 1920er-, frühen 1930er-Jahre im Sinne von totalitären Regimen sich in der Realität abzeichnete. Es ist eigentlich klar als derjenige, der die ganze deutsche Nation ihres Blutes aussaugte und so eine Art massenzombiehaftes Verhalten bewirkt bei ihnen.
Aber wenn man sich den Film jetzt anschaut als Pandemiefilm, fällt einem eben auf, es ist eigentlich sehr ähnlich wie das, was wir heute im Jahr 2020 erlebt haben, nämlich ein Vampir, eine Art verkörperter Virus. Wunderschön von Max Schreck gespielt, beißt zuerst diesen jungen Mann, der ihn in Transsilvanien besucht hat, um ein Haus zu verkaufen – der hat dann auch so kleine mückenartige Stiche am Hals. Und in dem Moment, wo dieser Vampir, sprich dieser verkörperte Virus, auf Reisen geht, sehen wir genau auch, wie sich eine Pandemie entwickelt.


Wir bekommen auch Zeitungsberichte davon, wie in allen möglichen Hafenstädten entlang des Schwarzen Meeres Pandemien ausbrechen, bis er dann tatsächlich in Wisborg ankommt. Alle auf dem Schiff sind eigentlich schon erkrankt und gestorben, und es kommt nur noch das Virus und gar nicht mal mehr die Kranken an Land und verbreitet sich dann in dieser kleinen norddeutschen Hafenstadt.
Szene aus "Nosferatu – eine Symphonie des Grauens" von Friedrich Wilhelm Murnau aus dem Jahr 1922. Ein Vampir und ein Steuermann auf einem Schiff.
Szene aus "Nosferatu – eine Symphonie des Grauens" von Friedrich Wilhelm Murnau aus dem Jahr 1922.© picture alliance/dpa/akg-images
Da sehen wir dann eben auch genau das, was wir jetzt wieder erlebt haben: Leute müssen zu Hause bleiben, es ist natürlich noch brutaler als bei uns, weil die Erkrankten nicht mal im Krankenhaus sterben dürfen. Und wir sehen eben, was wir zum Beispiel Anfang des Jahres auch in Bergamo oder auch in New York City gesehen haben, die Leichenberge. In diesem Fall sind es die Züge von Männern, die Särge aus dem kleinen Dorf Wisborg heraustragen.

"Es wird etwas aus dem Aberglauben entlehnt"

Burg: Woher kommt denn eigentlich diese Verknüpfung von Vampir und Virus, die ist auch nicht selbstverständlich.
Bronfen: Zu meinem großen Erstaunen ist es so, dass Virologen die selber benutzen. Und war sagen sie, wenn man in den Bereich der Viren eintritt, tritt man in den Bereich der Untoten ein. Viren sind Schnipsel, die sind weder lebendig, noch sind sie tot, und sie haben eben diesen irrsinnigen Überlebensdrang. Sie brauchen einen Wirt, und ich glaube, das ist die Verknüpfung zum Vampir oder eben auch zum Zombie. Einfach so die Idee eines Wesens, was zwischen Leben und Tod ist, was entweder das Blut aus Lebenden aussaugen muss und durch diesen Biss die Lebenden dann infiziert, sodass sie dann selber zu Vampiren, sprich Superspreaders von Viren werden, oder eben Zombies, die einfach die Menschen fressen müssen, und dann werden sie selber auch zu Zombies. Es wird etwas aus dem Aberglauben entlehnt, um etwas in der Naturwissenschaft zu beschreiben, was man so deutlich nicht greifen kann, selbst die Virologen können das nicht greifen.
Burg: Sie haben schon gesagt, Murnau beschreibt auch den Weg des Virus, und Transsilvanien, ist das so ein bisschen, was für uns heute China ist. Braucht das Virus für die Narration auch das Fremde als Ursprung?
Bronfen: Das Virus wie jede andere Pandemie, auch wie die Pest, kommt immer von außen. Ich denke, das hat seit der Antike damit zu tun, dass man das entweder wie so eine göttliche Strafe verstehen will oder wie ein Übel, was die Menschen wegen ihrem Verhalten, sei es moralisch oder sei es wirtschaftlich, auf sich gezogen haben – ein Gedankengang: Eigentlich ist die Welt, in der man lebt, virenfrei, und dann macht man etwas, und dann kommt der Virus.
Das ist auch deswegen wichtig, weil man kann sich natürlich die Überwindung des Virus nur so vorstellen, dass er dann auch nicht mehr da ist. Deswegen ist es so wichtig, dass die Pandemie immer von außen kommt. Und wenn man sagt, die Pandemie kommt von außen, kann man gleichzeitig alles, was mit der Pandemie zu tun hat, mit einem Fremdkörper in Verbindung bringen oder eben auch mit einem Feind, einem Fremdling, einem Außerirdischen.

"Wesen zwischen Leben und Tod"

Burg: Sie benutzen in dem Buch so schön das Bild, dass auch die Vampirgeschichten selber fast funktionieren wie ein Virus, dass sie auch mutieren, dass sie sich weiter fortpflanzen. Wie mutiert denn der Vampirfilm dann zum Zombiefilm?
Bronfen: Wir sagen im Englischen im Internet, "it goes viral. Diese Idee, dass sich etwas vervielfältigt und im Zuge der Vervielfältigung sich auch transformiert, haben wir immer schon im Bezug zu Viren gedacht. Es gibt nicht so viele Vampirfilme, die explizit auch Epidemiefilme sind, das darf man nicht vergessen. Aber einer, der das macht, ist einer aus den frühen 1960er-Jahren, "The Last Man", der ist dann selber noch mehrmals verfilmt und verändert worden im Laufe der letzten 40 Jahre.
Das ist eben der letzte lebende Mensch nach einer globalen Pandemie. Einerseits sind es auch Wesen zwischen Leben und Tod, die ihn bedrohen, und die Vampire kommen jetzt in Scharen und bewegen sich auch ganz langsam. Sie sind eigentlich wie so eine Art Hybrid zwischen dem sehr eleganten Vampir, der auch in den Vampirfilmen nachts genauso agieren kann wie Menschen, und eben den Zombies, die eigentlich wirklich fremdgesteuerte Wesen sind. Da beginnt das Hybride, und danach übernimmt eigentlich eher das Zombiemotiv die Verbindung zwischen Virus und lebenden Toten.
Die Vampirfilme danach interessieren sich dann eher für andere Dinge. Das hat auch damit zu tun, dass wir solche Pandemien mittlerweile, sagen wir mal seit den 1980er-Jahren, in Verbindung mit wirtschaftlichem Globalismus denken, der ganzen Konsumgesellschaft. Im Zombie hat man eben sehr schön die doppelte Bedeutung von Konsum. Wir konsumieren Waren, und wir werden sozusagen von unserem Konsumwahn selber konsumiert und werden so eigentlich zu Zombies, weil wir nur noch Ware haben wollen. Dann kommen die Zombies und konsumieren uns, weil sie sozusagen uns als ihre Ware haben wollen.

Der Zombiefilm als Kapitalismuskritik

Burg: Einer der Filme, den Sie in dem Zusammenhang beschreiben, erwähnen, ist "Dawn of the Dead" von 1978 von George A. Romero, der ja von vier Menschen handelt, die sich während einer Zombie-Epidemie in einem Einkaufszentrum verschanzen, eine sehr interessante Selbstisolation. Ist es diese These, dass die Welt, wie wir sie kannten, untergehen mag, aber die Kultur des Kapitalismus bleibt?
Bronfen: Mit den Zombiefilmen kommt noch etwas ins Spiel, die sind nie ganz auszurotten. Deswegen gibt es auch die Serialität. Beim Vampirfilm ist esmeistens so, das ist sehr viel kapitalistisch-kritischer verstanden, nicht nur wir werden zu lebenden Toten, weil wir so viele Güter konsumieren, sondern auch, uns braucht es gar nicht, aber die kapitalistische Ordnung funktioniert einfach weiter, egal wer diese Güter konsumiert.
Das Interessante da ist natürlich auch, dass es ganz viel mit Mutation zu tun hat, dass man sich immer mehr vorstellen kann, dass Wesen, die halb menschlich und halb etwas anderes sind, einfach weiterleben, weil so eine Grundbedienung der kapitalistischen Kultur aufrechterhalten bleibt.

Szene aus dem Film "Dawn Of The Dead" von 1977. Zombies laufen durch ein Einkaufszentrum.
Szene aus dem Film „Dawn Of The Dead“ von 1977. © picture alliance/dpa/United Archives/IFTN
Burg: Was bei all den Filmen spannend ist, ist, inwieweit sehen wir sie jetzt auch noch mal anders, vor dem Hintergrund der aktuellen Pandemie? Wenn wir auf Romero noch mal gucken, "Dawn of the Dead", was lernen wir über das Verhalten von Menschen in der Pandemie, was vielleicht auch irgendwie interessant ist aus der jetzigen Situation heraus?
Bronfen: In diesen Zombiefilmen von George A. Romero zeichnen sich mehrere Dinge ab: Einerseits Panik und dass Leute einfach in einen Zustand von Wahnsinn verfallen aus Furcht, dass sie sterben können, oder aus Erschrecken und Entsetzen, dass um sie herum so viel Zerstörung stattfindet. Diese Panik hat für uns jetzt im Jahr 2020 noch mal eine ganz eigene Brisanz bekommen.
Wir bekommen aber auch die Geschichte von den Institutionen – seien es die Medien, seien es die Gesundheitsbehörden, die nicht mehr funktionieren.Wir bekommen auch diese Idee, man setzt dann das Militär ein, eine Gegengewalt. Auch da sehen wir jetzt wieder Analogien zu dem, was wir heute haben, sei es auch nur ein gewisser Vorwurf gegenüber den Gesundheitsbehörden und seien es auch nur zum Beispiel die ganzen Pandemiegegner, die sich jetzt militarisieren und in dem Sinne auf das Virus schießen, als sie einfach auf alle entweder real oder imaginär schießen, die gewisse Schutzmaßnahmen vorschlagen.
Vor allem aber auch geht es um das Heldenhafte, wer setzt sich dann durch. Die, die sich durchsetzen, sind die, die erfinderisch sind. Und die, die dann aber trotzdem sterben, sind die Übermütigen. Das wirklich Interessante an den Zombiefilmen ist, wer überlebt dann zum Schluss? Das sind meistens diejenigen, die etwas verstanden haben. In dem Romero-Film "Dawn of the Dead" ist es der afroamerikanische Polizist, dessen Großvater Priester in Haiti ist und der deswegen die Zombies einfach besser versteht als seine weißen Polizistenfreunde.

Politische Dimension von Pandemiefilmen

Burg: Etwas, das sich auch durch andere Filme zieht, dass Afroamerikaner und Afroamerikanerinnen häufig die sind, die resilienter sind in den Filmen als andere, vielleicht auch aus ihrer Geschichte heraus.
Bronfen: Man sieht es vor allem in dem zweiten Remake von "Invasion of the Body Snatchers" mit Nicole Kidman, in dem das Virus eine ganz politische Position einnimmt. Die Leute werden nicht wirklich von den part people ersetzt, sondern sie werden transformiert, sie werden sozusagen politische Pazifisten. Das wird aber absolut totalitär, weil es darf dann niemanden mehr geben, der Emotionen zeigt, der Pazifismus ist gleichzeitig auch ein emotionsloser Zustand.
Die Figuren, die am besten wissen, was sollen wir jetzt tun, die überall schon eigentlich diese Art Polizeigewalt, die alle in diesen Zustand der Emotionslosigkeit drängen will, die Figuren, die das am besten wahrnehmen, sind die afroamerikanischen Bürger und Bürgerinnen in Washington D.C. Da will der Film ganz explizit etwas sagen, dass sie ein viel besseres Sensorium für Polizeimacht haben als die vielen weißen Figuren, die sich eigentlich immer schon geschützt gefühlt haben.
Burg: Wie sehr eingehen auf die politische Dimension, die das Virus oder eine Pandemie dann häufig in den Filmen mit sich bringt, Sie analysieren da die sogenannte Outbreak Narrative, die eine politische Dimension hat. Können Sie beschreiben, welche beiden Stränge das sind?
Bronfen: Die politische Seite der Pandemiegeschichten beginnt im Kalten Krieg und ist dann oft verknüpft auch mit Raumfahrtprogrammen und der Idee, man könnte biologische oder andere Waffen entwickeln, um den Feind, in diesem Fall jetzt die Sowjetunion, zu zerstören. Da ist das Interessante eine Idee, diese gefährlichen Viren kommen von außen und können aber nur in der Form von einem militärischen Gegenschlag vernichtet werden, gleichzeitig findet aber innerhalb dieser militärisch gedachten Pandemiefilme immer auch so eine Selbstkritik statt.


Das heißt, in dem Film "Outbreak" von Petersen sind es Schurken, Generäle, die einen Virus, der in Afrika ausgebrochen ist, züchten, um biologische Waffen herzustellen. Eigentlich wollen sie natürlich diese biologischen Waffen nicht in den USA einsetzen, sondern auch wieder gegen die Feinde des Kalten Krieges, aber als das dann in einer kalifornischen Küstenstadt ausbricht, sind sie bereit, diese Stadt selber zu bombardieren. Es geht da auch noch mal um eine Kritik an der Hypermilitarisierung einer bestimmten politischen Kultur.
Szene aus dem Film "Outbreak: Lautlose Killer" mit dem Schauspieler Dustin Hoffman. Ein Mann steht vor einem Soldaten.
Szene aus dem Film „Outbreak: Lautlose Killer“ mit dem Schauspieler Dustin Hoffman.© picture alliance/dpa/ /United Archives/kpa Publicity

Wie ein Prequel zu Covid-19

Burg: Über einen Film müssen wir unbedingt noch sprechen, und zwar "Contagion" von 2011 von Steven Soderbergh. Da geht es auch um eine Pandemie in den USA, ausgelöst durch eine Frau, gespielt von Gwyneth Paltrow, die von einer Asienreise zurückkehrt. Aus heutiger Sicht, wie prophetisch sozusagen war Soderberghs Film?
Bronfen: Wir müssen festhalten, als Soderberghs Film 2011 herauskam, hat uns das als ein Film interessiert, der mit allen möglichen Stars operiert hat – Gwyneth Paltrow, Matt Damon, Laurence Fishburne, Kate Winslet – und der halt so typisch Soderbergh-Montage machte und handgehaltene Kamera und auch so eine gewisse Aufregung produzieren konnte. Wir haben das kaum auf Sars oder Mers oder Schweinegrippe geschweige denn Aids wirklich zurückgedacht, sondern wirklich so als ein kluger, fast Art-House-Thriller-Film.
Wenn man den heute anschaut, hat man das Gefühl, hier wird uns Covid-19 schon mal vorgeführt beziehungsweise eine Art Prequel zu Covid-19, weil es tatsächlich praktisch den gleichen Verlauf nimmt. Es ist eben jemand aus China, es zeigt die ganzen Gefahren der globalen Freizügigkeit einer globalen Bewegung und wie sich das dann über so und so viele Tage oder Wochen oder Monate ausbreiten kann, bis es eine sehr große Zerstörung der Lebenswelt der Leute produziert, und was es dann heißt, dass kluge Epidemiologen, kluge Virologen, kluge Menschen in der Gesundheitsbehörde sich dann dafür einsetzen, dass dann doch ein Vakzin kommt und dass man das dann doch in den Griff bekommt – sei es auch, dass man die Staaten abriegelt, dass Leute nicht mehr über die Grenze reisen können und so weiter.


Was für mich jetzt aber am interessantesten war am Film – der Film beginnt mit der hustenden Gwyneth Paltrow, und die ist innerhalb von zehn Minuten nicht nur tot, sondern wir bekommen auch diese furchtbare Szene, wo ihr auf dem Autopsietisch die Schädeldecke aufgeschnitten wird, und man entdeckt sozusagen in ihrem Gehirn das Virus. Da hat man ein ganz klassisches altes Bild der Vanitas, nämlich die schöne Frau, die gleichzeitig auch den Inbegriff des Todes darstellt – vorne das schöne Gesicht und hinten die ganzen Würmer und die ganze Verwesung.
Die Schauspielerin Anna Jacoby-Heron, und der Schauspieler Matt Damon in dem Film "Contagion" von 2011. Eine Frau mit Maske und ein Mann gehen durch einen Supermarkt.
Die Schauspielerin Anna Jacoby-Heron und der Schauspieler Matt Damon in dem Film "Contagion" von 2011.© picture alliance / Everett picture alliance/dpa/©Warner Bros/Courtesy Everett Collection
Und das hat mich so interessiert, weil mit der Bewegungsfreizügigkeit, die diese junge Frau, die für einen amerikanischen Konzern arbeitet, der aber eben auch in China ist und dort auch Wälder rodet. Das wird aber gleichzeitig verknüpft damit, dass sie auch eine sexuell freizügige Frau ist, denn in dieser Szene ganz am Anfang merken wir, die hatte gerade eine Liebesaffäre mit einem ehemaligen Freund und ist eigentlich auf dem Weg nach Hause.
Diese Verknüpfung von Bewegung und sexueller Freizügigkeit, die dann an ihr verhandelt wird, da bekommt dieses Virus noch mal eine ganz alte Färbung, nämlich die der verruchten Frau, die aufgrund ihrer Neugierde und aufgrund ihrer Sinnlichkeit Verderbnis, Sünde und Tod in die Welt bringt. Das ist von Eva über die Hure Babylon bis zur Pandora eigentlich ein Teil unseres Denkens. Und das finde ich schon erstaunlich, dass sich das bis ins frühe 21. Jahrhundert als Denkbild hält.

"Wir werden müde, wir werden ungeduldig"

Burg: Das ist besonders interessant jetzt natürlich, mit den eigenen Erfahrungen die Filme sich noch mal anzusehen. Sie haben das Buch Ende Juni beendet – inwieweit würden Sie heute noch mal andere Aspekte in dem Film beleuchten, als Sie es Ende Juni gemacht haben?
Bronfen: Was mir jetzt auffällt, ist, wir sind an einem Punkt, und den gibt es eher in der Literatur zu Pandemien als zu Filmen, indem wir uns nicht mehr heldenhaft aufbauen oder heldenhaft verhalten können. Wir merken, diese Pandemie dauert jetzt einfach noch sehr viel länger, als wir es eigentlich ertragen wollen, an. Wir werden müde, wir werden ungeduldig, wir werden ungehalten, und es ist fast kein Ende in Sicht. Und dann passieren andere Dinge: Dann quält man sich gegenseitig, dann verzweifelt man, dann schaut man zu, wie jetzt doch noch unglaubliche Mengen an Menschen sterben oder erkranken, das ist wie so eine Normalisierung des Ausnahmezustands.
Die Pandemiefilme machen damit natürlich sehr wenig, weil sie sind auf Aktion, auf Handlung und Überwindung von Krisen ausgerichtet, während was wir jetzt eigentlich haben, ist, wie lebt man mit einem nicht alltäglichen Alltag, der so eine Mischung von "es ist gefährlich", "wir müssen vorsichtig sein", "wir dürfen nicht eigennützig sein", "wir sollten Solidarität zeigen, aber so viele andere Leute zeigen keine Solidarität, warum soll denn ich", "ach, es ist mir jetzt eigentlich auch alles egal" – dieses ganze Phänomen. Da müsste man wahrscheinlich jetzt noch mal andere Filme anschauen, nämlich Filme über belagerte Städte, denn da ist das viel mehr der Fall.
Da muss man wirklich Monate, wenn nicht Jahre einfach ausharren – da gibt es den Schwarzmarkt, da gibt es dann die Überläufer, da gibt es dann die Kollaborateure und das Aufbegehren gegen die Polizei, gegen die Politiker. Das wären wahrscheinlich jetzt mal die Filme, die ich jetzt angucken würde.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Elisabeth Bronfen: "Angesteckt. Zeitgemässes über Pandemie und Kultur"
Echtzeit Verlag 2020
183 Seiten, 32 Euro

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