Valérie Zenatti: "Jacob, Jacob"

Eine schrecklich authentische Beschreibung

Buchcover von Jacob, Jacob vor einem Bilder der Stadt Constantine in Algerien, die auch auf dem Cover abgebildet ist.
Valérie Zenattis, "Jacob, Jacob" © Verlag Schöffling / imago / Imagebroker
Von Dina Netz · 16.08.2017
Algerien ist heute vor allem als Kriegsschauplatz ein Begriff: als das Land, das in einem blutigen Krieg von 1954 bis 1962 seine Unabhängigkeit erkämpfte und in dem in den 90er-Jahren ein blutiger Bürgerkrieg tobte. Doch was war eigentlich davor?
Aus Albert Camus' autobiographisch geprägtem Roman "Der erste Mensch" wissen wir etwas über den Alltag einer armen französischen Familie in den 1920er- und 30er-Jahren in Algerien. Die Zeit, von der Valérie Zenatti erzählt, ist weitgehend unbekannt.
Auch in "Jacob, Jacob" geht es um einen Krieg, den Zweiten Weltkrieg, dessen Erschütterungen bis nach Nordafrika zu spüren sind. Der titelgebende Jacob Melki ist 1944, als der Roman einsetzt, 19 Jahre alt, hat gerade seine Reifeprüfung im algerischen Constantine abgelegt. Obwohl er ein guter Schüler war, hat er zwei Jahre länger gebraucht als die anderen – 1941 hatten die französischen Behörden vorübergehend beschlossen, jüdische Schüler den arabischen gleichzusetzen und der französischen Schulen zu verweisen. Der belesene Jacob plant seine Zukunft als Student und späterer Lehrer, als die Einberufung zur Armee kommt. Die Familie lebt in ihrer eigenen, kleinen Welt, von Algerien aus ist der Krieg nur ein fernes Grollen. Und so ist ihnen nicht klar, dass Jacob kein Abenteuer erwartet, sondern die Befreiung Frankreichs von den Deutschen.

Bauern beim Schach

"Jacob, Jacob" spricht eine politische Wahrheit aus, die in Frankreich gern verschwiegen wird: Die Juden in Algerien waren nicht gut genug für die französischen Schulen, aber gut genug für die französischen Schützengräben. Und wenige Jahre später waren sie wiederum gut genug, um im Algerienkrieg gegen die Araber zu kämpfen, mit denen sie Jahrhunderte lang friedlich zusammengelebt hatten. Mit der Konsequenz, dass sie nach dem verlorenen Algerienkrieg ihre Heimat verlassen mussten – auch von diesen späteren Entwicklungen erzählt Zenatti noch. Frankreich ist mit seinen jüdisch-algerischen Bürgern umgegangen wie mit Bauern beim Schach. Diese Erkenntnis macht "Jacob, Jacob" zu einem politisch aufschlussreichen und wichtigen Buch.

Archaischen dörflich-jüdischen Welt

Vielleicht hat Valérie sich an dem Bestreben, das Schicksal einer ganzen Bevölkerungsgruppe anhand einer Familiengeschichte zu erzählen, ein wenig übernommen, denn zum Teil fragt man sich, wessen Geschichte sie eigentlich erzählt. Sie ist immer nah dran an ihren Figuren, aber eben an sehr vielen Figuren. Eine etwas entschiedenere Fokussierung auf ihren Protagonisten Jacob hätte dem Buch vielleicht gut getan und es auch in seiner politischen Aussage noch mehr zugespitzt.
Zugleich liefert Zenatti eine beeindruckende und wahrscheinlich schrecklich authentische Beschreibung der plötzlichen Wechselfälle des Krieges zwischen GI's, die Schokolade schenken, und explodierenden Granaten. Und eine detaillierte, enorm verdichtete und lebendige Beschreibung einer archaischen dörflich-jüdischen Welt, in der eine Hochschwangere den Boden wischen muss und die Männer den jüngsten Sohn, der nicht spurt, im Keller anbinden und verprügeln.

Valérie Zenatti, "Jacob, Jacob"
Aus dem Französischen von Patricia Klobusiczky
Verlag Schöffling & Co, Frankfurt am Main 2017, 196 Seiten, 20 Euro

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