Uwe Kopf: "Die elf Gehirne der Seidenspinnerraupe"

Über ein Leben in der alten Bundesrepublik

Uwe Kopf: "Die elf Gehirne der Seidenspinnerraupe"
Uwe Kopf: "Die elf Gehirne der Seidenspinnerraupe" © picture-alliance/ dpa / Christiane Kokot / Tempo Verlag
Von Gerrit Bartels · 17.05.2017
Der Held in Uwe Kopfs Roman stammt aus kleinen Verhältnissen, aufgewachsen in der alten Bundesrepublik, im Arbeiterviertel Hamburg-Barmbek, der gern mal einen "jevert" und sich mit 40 Jahren umbringt - ein Porträt eines Menschen und einer längst vergangenen Zeit.
Ob Bernhard Grzimek, der berühmte Fernseh-Zoologe der alten Bundesrepublik, wirklich einmal seine Sendung "Ein Platz für Tiere" der Seidenspinnenraupe und ihren tatsächlich elf Gehirnen gewidmet hat? Der Held von Uwe Kopfs Debütroman kann sich auf jeden Fall daran erinnern, und als Titel eines Romans machen sich "Die elf Gehirne der Seidenspinnerraupe" schon ziemlich gut. Auch der Name Grzimek passt bestens. Denn Kopf erzählt in seinem Roman von einer Zeit, in der von der Globalisierung noch keine Rede war und die Weltläufigkeit eines Bernhard Grzimek die provinzielle Bundesrepublik der siebziger bis frühen neunziger Jahre schwer beeindruckte.
Kopfs Held Tom stammt aus kleinen Verhältnissen. Mit seiner Mutter, Großmutter und Bruder Sören wohnt er in einer Viereinhalbzimmerwohnung in Hamburgs Arbeiterviertel Barmbeck:
"Die Mutter und die Oma saßen noch vorm Fernseher und redeten über das Zugunglück in Radevormwald, die Oma rauchte trotz Asthma eine Zigarette der Marke Kim, die Mutter trank ein Glas Lumumba, den Modedrink aus Kakao und Rum, der, übermäßig genossen, noch mehr Kopfweh machte als Apfelkorn oder der Wacholderschnaps Steinjäger."
Toms Freunde heißen Lori und Rolle, die mit ihm gern einen "jevern" (also Jever Pils trinken), zur Not tut es auch Holsten. Er liebt die Musik von Rory Gallager und das Schauen von Horrorfilmen, gelernt hat er nichts Richtiges, und er schlägt sich damit durch, von seinem älteren Bruder eine Art Rente von 500 Mark zu bekommen und bei der Post als Sortieraushilfskraft zu arbeiten.

Mit 40 zieht er einen Schlussstrich

Tom ist ein Niemand, wozu er steht, er weiß das. Aber er ist auch ein sanfter, ein jesusartiger Typ, den die Frauen mögen, ohne dass er übermäßig viel Glück mit ihnen haben würde. Kurzum: ein sympathischer Verlierer, der nicht so recht weiß, was er auf dieser Welt soll. Als "40-jähriger Junge" zieht er dann einen Schlussstrich und begeht Selbstmord.
Wie die Seidenspinnenraupe und ihre Rezeption bei Losern, Lehrern und Pet-Shop-Boys-Fans zieht sich der Selbstmord leitmotivisch durch den Roman. Das ist insofern ein wenig makaber und tragisch, als dass Uwe Kopf kurz nach Vollendung seines Romans starb, allerdings an einem Leberkrebsleiden. Kopf war zuletzt Kolumnist für die "BZ" und den "Rolling Stone", bekannt und berühmt wurde er jedoch als Autor des legendären Zeitgeist- und Lifestyle-Magazin "Tempo", das in den achtziger und neunziger Jahren versuchte, der Bundesrepublik das Provinzielle, Muffige und Grzimek-hafte auszutreiben. Logisch also, dass Kopfs Roman als einer der ersten Titel in einem Verlag erscheint, der den Geist von "Tempo" wiederaufleben lassen will: im Tempo-Verlag. Der Verleger von Hoffmann und Campe, Daniel Kampa, hat diesen als Sublabel seines in Hamburg ansässigen Verlages gegründet.

Mit schelmenhaftem Humor geschrieben

Uwe Kopfs Roman handelt zwar von einem Leben in genau der schwarzweißen, prekären und kleinbürgerlichen Bundesrepublik, die "Tempo" vergessen machen wollte. Das aber macht er auf popliterarische Art und Weise: mit viel Markennamen, mit viel Musik, mit einem Cameo-Auftritt des leider ebenfalls schon toten Popautoren Marc Fischer, mit viel Witz und schelmenhaften Humor, mit großartigen und lustigen Szenen, zum Beispiel wenn Tom und sein Bruder in Irland Rory Gallagher interviewen oder Tom immer mal wieder auf seiner Jever-Bank sitzt und darüber sinniert, wozu Eifersucht gut sein soll.
Dazu kommen nonchalante, hartkantige Perspektivwechsel. Mal ist Tom Ich-Erzähler, dann wird er schön auktorial betrachtet und bisweilen lässt Kopf seine Protagonisten in Form langer Drehbuchdialoge auf sich einreden. Diesen Roman also bitte vor Heinz Strunks "Der Goldene Handschuh" und nach den Romanen von Wolfgang Welt einordnen. Stellt sich nur noch die Frage, ob sich die elf Gehirne der Seidenraupe hilfreich ergänzen – oder nur eins funktioniert und die anderen zehn so überflüssig wie der Blinddarm sind?

Uwe Kopf: Die elf Gehirne der Seidenspinnerraupe
Tempo Verlag, Hamburg 2017
316 Seiten, 22,00 Euro