USA nach der Wahl

Eine Bewährungsprobe für die Demokratie

Donald Trump betritt nach seinem Wahlsieg die Bühne im New York Hilton Midtown in New York
Donald Trump betritt nach seinem Wahlsieg die Bühne im New York Hilton Midtown in New York © AFP/ Saul Loeb
Von Bettina Klein · 12.11.2016
Die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten besorgt viele Menschen weltweit. Doch Trump hat auch jenen eine Stimme gegeben, die sich nicht mehr gehört fühlten. Rettet einer wie er am Ende die Demokratie – oder schafft er sie ab? Europa sollte genau hinsehen, meint Bettina Klein, denn das Phänomen Trump könnte auch bei uns Realität werden.
Autoritäre Führungsfiguren tragen oft faschistoide Züge oder geraten in deren Nähe. Das gilt für Putin und Erdogan und im Kern für alle Diktaturen. Deshalb unsere Sorge um die Meinungs- und Presse- und alle bürgerlichen Freiheiten in diesen Ländern, um die Prinzipien der Gewaltenteilung. Trump hat mehr als einmal im Wahlkampf den Verdacht aufkommen lassen, dass er genau diese Rechte und Freiheiten außer Kraft setzen wird.

Die Anhänger haben ihn ernst genommen – aber nicht wörtlich

Er ist gegen die Medien vorgegangen, seine Kampagne hat versucht, Wähler einzuschüchtern oder per Gerichtsbeschluss ihre Rechte zu beschneiden. Seine rassistischen, xenophoben und frauenfeindlichen Äußerungen waren zutiefst verstörend und gaben Anlass zu den größten Sorgen.
Inzwischen verbreitet sich jedoch folgende Analyse über einen Wahlsieg, den viele nicht für möglich gehalten hatten: Seine Anhänger haben ihn ernst, aber nicht wörtlich genommen. Seine Gegner, darunter auch ein großer Teil der Medien, wörtlich, aber nicht ernst. Viele seiner Wähler waren und sind mit den inkriminierten Äußerungen ebenfalls nicht einverstanden gewesen. Aber sie haben sie schlicht nicht für bare Münze genommen. Der Wunsch nach Veränderung überlagerte wieder einmal alles. Trump trat auf als eine Projektionsfläche, die es nicht nur vielen ungebildeten weißen Arbeitern ermöglicht hat, ihn zu wählen, nicht nur rückwärtsgewandten Rassisten, wie vermutet wurde. Sondern auch erstaunlich viele Frauen, Latinos und einer abgehängten Mittelschicht, die sich nicht mehr gehört fühlte.
Er hat exakt das gemacht, was die erwartet hatten: Er hat ihnen eine Stimme gegeben. Er hat ihren Frust zum Ausdruck gebracht, dick überzogen und in einer Tonlage, die neu ist. Er hat den Ton, die Emotionen und die Ressentiments, die wir im Zeitalter des Internets vor allem aus den sozialen Netzwerken kennen, zum ersten Mal auf die prominenteste politische Bühne gebracht. Mit allem populistischen Schrott an Meinungen der damit zusammenhängt. Er hat als Geschäftsmann diese Marktlücke erkannt und maximal für seinen Erfolg ausgeschöpft. Und er hat die schlechten Gefühle angestachelt.
Es ist dieses Experiment, das wir in den Vereinigten Staaten beobachten können. Was passiert, wenn so jemand tatsächlich gewählt wird? Wir sollten genau zuschauen, denn es könnte sein, dass genau das im nächsten Jahr auch in Europa passiert. Denn das Phänomen Trump entspricht einem Zeitgeist, der uns wohl vertraut ist. Rettet oder bedroht es die Demokratie? Rettet es sie, weil es Bevölkerungsgruppen einbindet, die zutiefst enttäuscht und verdrossen vom politischen und ökonomischen System sind? Oder wählt sich das Volk ganz demokratisch einen autoritären Führer, der ihm die Anstrengungen der Demokratie vom Hals hält und am Ende ganz abschafft? Wird der menschheitsgeschichtlich kurze Traum von Freiheit und Menschenrechten nach wenigen hundert Jahren wieder in die Mottenkiste verbannt?

Demokratische Institutionen bisher nicht in Gefahr

In den USA erleben wir gerade, wie so jemand in einem friedlichen regulären Amtswechsel in das höchste Amt befördert wird. Und es ist frappierend zu beobachten, mit welchem Vertrauen in die demokratischen Institutionen dieser Wechsel im Augenblick über die Bühne geht. Mag es Anti-Trump-Proteste in mehreren liberal orientierten Städten geben, mögen Trump-Köpfe aus Pappmache inzwischen brennen und nun auf der anderen Seite des politischen Spektrums das Wahlergebnis infrage gestellt werden: Die Institutionen sind bisher nicht in Gefahr. Was sich vollzieht, ist ein offener demokratischer Protest. Die USA gehen ganz sicher nicht zum ersten Mal durch Zeiten wie diese. Rassenunruhen, der Vietnamkrieg, Watergate, 9/11, Irak. Die 60er-Jahre waren "nicht direkt eine Bootsfahrt auf dem Mississippi", wie eine Kollegin der Washington Post schrieb, und der letzte Wahlkampf bestimmt der schmutzigste – "abgesehen von allen andern Wahlkämpfen seit deren Erfindung".
Der dank Wahlsystem knapp unterlegene liberale Teil Amerikas zeigt dem Präsidenten wo es steht. Und bietet seinerseits ein Korrektiv. Wenn Trump der ist, als den wir ihn kennengelernt haben und als der er von seinen Biografen identifiziert wurde, dann ist der Erfolg für ihn alles und die öffentliche Bestätigung ebenso. Seine Adressaten sind nun jedoch nicht seine Anhänger aus dem Wahlkampf, sondern ein ganzes Land.

Trump sollte denen die Hand reichen, die er diskriminiert hat

Es könnte die Möglichkeit geben, von dieser Seite aus auf Versöhnung hinzuwirken. Dies würde Einsicht und Lernvermögen bei Trump voraussetzen. Bei seinem Treffen mit Obama im Oval Office sagte Trump, er freue sich auf noch viele Treffen mit dem derzeitigen Präsidenten – und auf dessen Rat. Trump sollte bei der Gelegenheit den Rat annehmen und jetzt endlich zu all jenen die Hand ausstrecken, die er im Wahlkampf verprellt oder diskriminiert hat. Das Amerika, nach dem sich seine Anhänger zurücksehnen, gehört in vieler Hinsicht der Vergangenheit an. Er sollte diese Einsicht nicht weiter künstlich hinauszögern.

Bettina Klein arbeitet als Redakteurin, Moderatorin und Reporterin beim Deutschlandfunk und hat in den vergangenen Jahren immer wieder aus den USA berichtet.

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