US-Vorwahlen der Demokraten

Auf der Suche nach Trumps Gegner

23:51 Minuten
Debattenrunde mit dem demokratischen Kandidaten Cory Booker (l), Pete Buttigieg, Bernie Sanders, Joe Biden, Elizabeth Warren und Kamla Harris im September 2019 in Houston. Sechs Menschen stehen in einer Reihe auf einer Bühne.
Die Anhänger der Demokraten ringen bisher, ob sie einen Links- oder Mittekandidaten gegen Donald Trump ins Rennen schicken sollen. © imago images / UPI Photo / Kevin Dietsch
Von Thilo Kößler · 12.12.2019
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Am 3. Februar starten in Iowa die US-Vorwahlen der Demokraten. Dort liegt der 37-jährige Kleinstadt-Bürgermeister Pete Buttigieg in den Umfragen vorn. Landesweit ist Joe Biden der Beliebteste, auch vor Präsident Trump. Aber ein Sieg ist ungewiss.
Ein Samstagmorgen Ende November in West Des Moines, einem Vorort der Hauptstadt von Iowa. Joe Biden will hier in einer schmucklosen Mehrzweckhalle eine Wahlkampfrede halten. Eine lange Warteschlange hat sich vor dem Eingang gebildet.
Ben Kipney ist 61 Jahre alt und bekennt, schon lange ein Fan von Joe Biden zu sein – weil er seine jahrzehntelange politische Erfahrung schätzt und seine stets fortschrittliche Haltung, wie er sagt. Er glaube aber nicht, dass Joe Biden als Sieger aus den Vorwahlen in Iowa hervorgehen wird. Tatsächlich ist Biden in den Umfragen zurückgefallen.
Die Propaganda-Kampagne, die Donald Trump in der Ukraineaffäre gegen Joe Biden fährt, hat dem ehemaligen Vizepräsidenten Barack Obamas bereits zugesetzt – obwohl Trump für die erhobenen Korruptionsvorwürfe keinerlei Belege hat. Ben Kipney glaubt aber, dass Joe Biden dennoch der einzige Kandidat der Demokratischen Partei ist, der Donald Trump bei den Präsidentschaftswahlen schlagen kann.
Ben Kipney, der frierend vor dem Einlass zur Wahlkampfveranstaltung von Joe Biden steht, weiß also schon, wen er bei den Vorwahlen der Demokraten in Iowa am 3. Februar wählen wird. Zwei Drittel der Wähler sind dort aber immer noch unentschieden. Das hat auch mit der besonderen Rolle dieses Bundesstaates im Herzen der USA zu tun.

Wer in Iowa gewinnt, wird meist Präsidentschaftskandidat

Ländlich und weiß wie kein zweiter, setzt er den Auftakt zu den Vorwahlen in allen anderen Bundesstaaten. Wer bei den Demokraten in Iowa als Gewinner hervorging, gewann seit 1996 auch die Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten. Doch noch ist das Bewerberfeld zu groß, um schon Prognosen zu wagen, sagt der Journalist David Yepsen, der viele Jahre als Politikchef bei der Tageszeitung Des Moines Register arbeitete und heute noch eine eigene Fernsehshow hat.
"Die Wähler in Iowa wollen einen Siegertypen küren. Aber dieses Rennen ist so unentschieden, weil die Leute sich nicht darauf verständigen können, wer das sein könnte."
Zumal die Demokraten in zwei Lager gespalten sind. Die einen sind die sogenannten Zentristen, die die Wähler der Mitte binden und politisch wieder zu normalen Verhältnissen zurückkehren wollen, wie sie sagen. Die anderen sind die Progressiven, die Parteilinken, die auf Reformen drängen und auf programmatische Erneuerung. Viele demokratische Wähler haben Angst, einen Kandidaten auf den Schild zu heben, der dann möglicherweise gegen Donald Trump verliert, sagt Yepsen.
Wer kann Donald Trump schlagen? Das ist die angstbesetzte Kernfrage dieses ersten demokratischen Vorwahlkampfes in Iowa.

Joe Biden will die Kontinuität der Obama-Jahre

"Niemand anderes als mein Mann Joe Biden", ruft Jill Biden in die Menge, die sich um das Rednerpult in der Mitte des Saales drängt. Joe Biden will sein Land zurückführen in die Normalität und Kontinuität der Obama-Jahre, wie er sagt: Es gelte, die Seele Amerikas wiederzuentdecken. Deshalb lautet sein Ziel – neben dem Sieg über Donald Trump –, die gespaltene Nation wieder zusammenzuführen.
Vor der Tür diskutieren Diane, Bill und Ann über die Rede Bidens. Die drei sind befreundet und allesamt um die 60 Jahre alt. Auch sie sind noch unentschlossen, wen sie am 3. Februar bei ihrem caucus wählen sollen – diesen kleinen und kleinsten Parteiversammlungen, in denen stundenlang diskutiert und um das Votum gerungen wird. Er glaube schon, dass Joe Biden der beste Kandidat sei, um Trump zu schlagen, sagt Bill.
Der US-Demokrat Joe Biden auf einer Wahlkampfveranstaltung am 6. Dezember in Iowa.
Prominentester und politisch erfahrenster Bewerber der Demokraten: Joe Biden.© imago images/ZUMA Press/Brian Cahn
Wenn sich die Demokraten zu weit nach links bewegten, würde man die unabhängigen Wähler verlieren, gibt Diane zu bedenken.
Joe Bidens Problem ist sein Alter, sagt Ann. Biden ist 77. Er verspricht sich häufig und wirkt oft etwas fahrig. Er müsste sich viel offensiver um die jungen Wähler kümmern.
Joe Biden ist der Kandidat des demokratischen Establishments. Der Wunschkandidat der älteren Demokraten und vieler Afroamerikaner. Aber er ist nicht der Kandidat, der für einen Neuanfang steht. Das ist Pete Buttigieg.

Jung, redegewandt, Afghanistan-Veteran

Biden ist exzellent. Aber wir brauchen junges Blut, sagt ein älterer Herr in Creston, etwas mehr als eine Autostunde von Des Moines entfernt. "Mayor Pete" hat sich angesagt, wie alle Pete Buttigieg nennen. Er ist 37 Jahre alt, Bürgermeister von South Bend in Indiana. Buttigieg ist bekennender Homosexueller. Und der geradezu jugendlich wirkende Gegenspieler zu Joe Biden im Lager der moderaten Demokraten. Sein schwer eingängiger Nachname – sein Vater kam aus Malta in die USA – findet sich in Lautschrift auf vielen Ansteckern: "Boot-Edge-Edge". Pete Buttigieg hat sich in den Umfragen in Iowa an die Spitze gesetzt. Für ihn sei er klarer Favorit, sagt Bryce Bach.
Bryce Bach ist 34 Jahre alt und mit seiner Schwester in die triste Basketballhalle nach Creston gekommen. Auch er habe sich noch keine endgültige Meinung gebildet, sagt er. Aber er vertraue Buttigieg. Schließlich sei er Afghanistan-Veteran.
Mit großen Schritten nimmt Buttigieg die die Stufen hinauf auf die Bühne. Er trägt einen dunkelblauen Anzug, weißes Hemd, Krawatte. Er ist ein geschickter Redner und lädt die Zuhörer ein, sich den Tag vorzustellen, an dem Donald Trump nicht mehr im Weißen Haus sitzt.
Mit diesem Tag, sagt Buttigieg, ist allerdings noch kein einziges Problem gelöst. Das Land sei so tief gespalten wie nie zuvor. Und er wolle es wieder zusammenführen.
Der US-Demokrat Pete Buttigieg auf einer Wahlkampfveranstaltung am 8. Dezember in Corralville, Iowa.
Pete Buttigieg, Bürgermeister von South Bend in Indiana, begeistert viele mit seiner jugendlichen Frische und führt in den Umfragen in Iowa. © imago images/ZUMA Press/Jack Kurtz
Pete Buttigieg steht wie Joe Biden für die Rückkehr zur "Normalität". Für das andere, bessere Amerika, in dem jeder seinen Platz hat. Buttigieg ist politisch das Spiegelbild Joe Bidens. Nur jünger. Agiler. Frischer. Und doch gibt es Zweifel an beiden, analysiert der Journalist David Yepsen, den viele "das Orakel von Iowa" nennen.
"Die Wähler durchleben alle Höhen und Tiefen. Sie mögen Joe Biden sehr, aber sie zweifeln: Ist er nicht zu alt? Und tatsächlich hat er sich ja etwas durch die Debatten hindurch gestammelt. Davon hat Pete Buttigieg profitiert. Er ist jung und redegewandt. Aber ist er nicht doch zu jung? Außerdem ist er offen schwul. Und das hat es bisher in der amerikanischen Politik noch nicht gegeben. Niemand weiß, wie die Wähler darauf reagieren. Und es könnte ein Grund sein, weshalb er sich mit den Afroamerikanern so schwer tut. Das sehen sich die Wähler alles an – sie können ruckzuck heute für den einen Kandidaten sein und morgen für einen anderen."
Die Zweifel bei vielen Wählern gegenüber Biden und Buttigieg beziehen sich aber auch auf die politische Agenda beider Kandidaten, meint David Yepsen. "Vorwärts, wir müssen zurück", reiche als politisches Programm nicht mehr aus.
"Diese Leute sagen: Das Motto 'zurück zur Normalität' greife zu kurz und werde den politischen Realitäten nicht mehr gerecht. Ja, es gibt Probleme. Deshalb brauchen wir einen Präsidenten, der das Heft in die Hand nimmt und Politik aktiv gestaltet. Wir können nicht einfach zurück in die Obama-Ära. Also, wie soll unsere Politik aussehen? Eher revolutionär? Oder doch lieber evolutionär?"

Reformer wollen umfassenden Wandel

Die Verunsicherung der demokratischen Wähler in Iowa und im ganzen Land speist sich nicht nur aus der bangen Frage, wer Donald Trump schlagen kann. Sie speist sich aus vielen Selbstzweifeln, Gegensätzen, Widersprüchen, die so einfach nicht aufzulösen sind. Da ist das Alter der Kandidaten. Mann oder Frau? Homo oder Hetero? Schwarz oder weiß? Vor allem aber: In welche Richtung soll es politisch gehen? Mehr oder weniger nach links?
Demokratische Vordenker sehen die Demokratische Partei in einem tiefgreifenden Wandel, quasi in einem Häutungsprozess. Die Reformer wollen das alte neoliberale Outfit abstreifen und die Wall-Street-Nähe der Clinton-Tage hinter sich lassen. Sie wollen der Partei stattdessen ein sozialliberales Programm verordnen, das sich der großen gesellschaftlichen Themen annimmt. Es ist ein Versuch, zeitgemäße Antworten zu finden auf die vielen Verwerfungen und Umbrüche, mit denen moderne Industriegesellschaften überall konfrontiert sind: Zuwanderung. Einkommensunterschiede. Soziales Gefälle. Bildungsnotstand. Viele Demokraten wollen sich auf den Weg zu einer Partei der umfassenden Reformen machen.

Elisabeth Warren: Milliardärsteuer und Krankenversicherung!

Das ist die zweite Paarung dieses Wahlkampfs – neben Biden und Buttigieg –, die derzeit in Iowa zu besichtigen ist, die Paarung links der Mitte: Bernie Sanders und Elizabeth Warren. Beide sind aus dem demselben politischen Holz geschnitzt. Sanders unterlag 2016 Hillary Clinton im Nominierungswettkampf und macht heute denselben Wahlkampf wie damals. Jetzt hat ihn Elizabeth Warren in den Umfragen überrundet. Während Bernie Sanders nach seinem Herzinfarkt geschwächt wirkt, macht die 70-jährige Senatorin aus Massachusetts mächtig Wind.
Auf ihrem Kapuzen-Pulli steht ihr Wahlkampf-Motto, das auch ihr persönliches sein könnte: Dream Big. Fight hard. Träume groß. Und kämpfe hart.
US-Senatorin Elizabeth Warren auf einer Wahlkampfveranstaltung 30. November in Chicago.
US-Senatorin Elizabeth Warren. Ihre "Krankenversicherung für alle" hat sie wohl viele Stimmen gekostet. © imago images/ZUMA Press
Sie fordert eine Anhebung des Mindestlohns. Kostenloses Studium. Eine Milliardärsteuer. Und natürlich: Medicare for all. Eine Krankenversicherung für alle. Mit diesem Thema ist sie angeeckt, dieser Plan hat ihr geschadet: Alle Amerikaner in eine steuerfinanzierte Krankenversicherung zu zwingen, das kam nicht gut an, weil das als staatliche Bevormundung erlebt wird. Inzwischen ist sie zurückgerudert und will eine Übergangsfrist einführen. Doch seither sinkt ihr Stern. Nick Michler, ein junger Lehrer, der mit Freunden in den Val Air Ballroom nach West Des Moines gekommen ist, sagt: Das hätte sie eigentlich wissen müssen, dass dieses Wahlversprechen völlig unrealistisch war.
Seither heißt es, dass sich Elizabeth Warren politisch ins Abseits manövriert habe. Sie sei schlichtweg nicht wählbar. Nick widerspricht.
"Das Argument der Nicht-Wählbarkeit, das kaufe ich nicht. Jeder, der bereit ist, für seine politischen Ziele zu kämpfen und die amerikanischen Werte hochzuhalten, ist auch wählbar."
Elizabeth Warren will ihren Wählern Hoffnung machen. Dabei scheint sie selbst ein Grund für deren Verunsicherung zu sein: Viele bezweifeln, dass sich die Wähler von Iowa trauen, nach dem Wahldebakel Hillary Clintons erneut eine Frau ins Rennen zu schicken. Zweifel müssten Warren indes selbst kommen – es ist äußerst fraglich, ob sie ihren Wahlkampf weiterhin mit voller Kraft fortsetzen kann.

Schadet Amtsenthebungsverfahren den Demokraten?

Das Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Trump wird für sie und vier weitere Senatoren, die sich bei den Demokraten um die Präsidentschaft bewerben, zu einer schweren Hypothek für den Wahlkampf, sagt David Yepsen.
"Das Impeachment-Verfahren macht die Präsenz jedes Senators im Kongress erforderlich. Das bringt den Wahlkampf praktisch zum Erliegen. Und ich denke, die republikanische Mehrheit im Senat wird sich sagen: Ok, wenn ihr den Präsidenten des Amtes entheben wollt, dann sorgen wir dafür, dass eure Präsidentschaftskandidaten hier so lange herumsitzen wie nur irgend möglich."
Das sind die praktischen Folgen des geplanten Impeachment-Verfahrens für den Präsidentschaftswahlkampf 2020. Das Amtsenthebungsverfahren gegen Donald Trump hängt jedoch auch atmosphärisch wie ein Damokles-Schwert über den Demokraten – niemand weiß, ob es ihnen politisch nützen oder eher schaden wird.


So sehen sich die Demokraten im Wahlkampf gegen Donald Trump mit vielen Fragezeichen konfrontiert. Bei der Suche nach einem Spitzenkandidaten, der ihn besiegen könnte, tun sie sich sichtbar schwer. Statt eines einzelnen Favoriten oder eines Führungsduos gibt es diesmal ein Führungsquartett: Biden. Buttigieg. Warren. Sanders. Viele hatten gehofft, dass sich auch die farbige Senatorin Kamala Harris noch nach vorne schieben könnte. Sie hat mittlerweile aufgegeben – was bereits die Frage aufwarf, ob es den Demokraten in Donald Trumps Amerika zu riskant ist, eine "woman of color" aufzustellen.
US-Präsident Donald Trump im Oval Office im Februar 2019. Trump sitzt an seinem Schreibtisch und vor ihm sitzen mehrere Menschen. 
US-Präsident Donald Trump im Oval Office. Eine zweite Amtszeit wollen die Demokraten verhindern. © imago images/UPI Photo/Kevin Dietsch
Die Stimmung unter den verbliebenen Kandidaten wird indes immer gereizter. Die "New York Times" sieht bereits einen quälenden Nominierungsprozess voraus, der sich noch über Monate hinziehen könnte. Der Warren-Anhänger Nick Michler wünscht sich deshalb nichts sehnlicher, als dass sich die Demokraten endlich auf einen Kandidaten einigen. Wir flirten schon mit der nächsten Katastrophe, sagt er.
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