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Programmierakademien in den USA
Zum IT-Spezialisten in vier Monaten

Anstatt mehrere Jahre Computerwissenschaften zu studieren, entscheiden sich immer mehr Amerikaner für einen viermonatigen Intensivkurs an sogenannten Programmierakademien. Diese Kurse sind zwar teurer, gelten aber aktuell als das Karrieresprungbrett im IT-Bereich. Doch der Schein trügt, warnen Experten.

Von Heike Wipperfürth | 15.05.2015
    Ein Mousepad.
    "Das ist genau das, was ich brauche, um einen guten Job zu finden." Praxiswissen statt Theorie wird bei den im Trend liegenden Programmierakademien in den USA vermittelt. (AFP / Robyn Beck)
    Kürzlich in einem Klassenzimmer von General Assembly, einer vier Jahre alten Programmierakademie in Manhattan: Hier werden 25 Studierende aller Altersstufen zu Webseiten-Entwicklern ausgebildet - in einem vier Monate langen Kurs. Wissensvermittlung im Eilverfahren, die es so an einem College in den USA nicht geben dürfte.
    Seit fünf Wochen nimmt die 26-jährige Julia Becker an dem ganztägigen Kurs teil. Dass sie 11.500 Dollar bezahlen muss und mindestens zwölf Wochen lang kein Einkommen hat, weil sie - ebenso wie ihre Mitschüler - ihren Job hingeschmissen hat, um das harte Pensum zu erfüllen, scheint sie nicht groß zu stören - sie weiß, was sie will.
    "Ich habe meinen Job gekündigt und den Kurs belegt, weil ich in meine Zukunft investiere. Die Uniausbildung zum Computerwissenschaftler würde viel länger dauern und noch mehr Geld kosten. Außerdem bringt man uns hier keine Theorie wie in der Uni, sondern praktisches Wissen bei. Das ist genau das, was ich brauche, um einen guten Job zu finden."
    Unidiplom war gestern
    Ein Programmierkurs als Karrieresprungbrett - diesem Weg folgen immer mehr Amerikaner, seit sich die Zahl der offenen Stellen für Computerwissenschaftler und Softwareentwickler in den USA auf 500.000 erhöht hat. Die Welt steht Kopf.
    "Früher war ein Unidiplom die Garantie für einen guten Job - das ist heute anders. Weil Universitäten nicht schnell und flexibel genug auf veränderte Anforderungen im Jobmarkt reagieren und Firmen weniger ausbilden als früher, müssen die Leute ihre Ausbildung jetzt selbst in die Hand nehmen, wenn sie Karriere machen wollen",
    behauptet Dan Friedman. Der 23-Jährige leitet Thinkful, eine drei Jahre alte Online-Programmierakademie in Manhattan. Hier wird praxisorientiertes Wissen beigebracht - ebenso wie in den mehr als 300 anderen Programmierakademien, die seit den letzten vier Jahren in den USA wie Pilze aus dem Boden schossen, um Softwarekenntnisse zu vermitteln.
    Begehrtes Wissen
    Laut Branchenbeobachter "Course Report" ist dieses Wissen recht begehrt: Tausende von Studierenden, im Schnitt 29 Jahre alt, 70 Prozent mit Collegeausbildung, sind der Ansicht, dass sie Programmiersprachen wie Ruby oder Swift beherrschen müssen, um voranzukommen.
    Eine Meinung, die Arbeitgeber zu teilen scheinen: Laut Course Report liegt das Durchschnittsgehalt nach Kursabschluss bei 76.000 Dollar - eine Steigerung von mehr als 40 Prozent. Aber nur nach harter Knochenarbeit, sagt Efosa Osamwonyi, ein 26-jähriger General Assembly Student.
    "Es ist alles sehr beängstigend, was hier auf einen zukommt, aber es ist auch sehr erfreulich, dass ich soviel lerne. Manchmal träume ich sogar in Programmiersprache. "
    Allerdings: Die junge Branche ist unreguliert. Es existiert kein Rahmen für die Ausbildungs- oder Aufnahmekriterien - angehende Teilnehmer sollten sich vor Kursbeginn genau über die verschiedenen Lehrinstitute informieren. Einige der Start-ups sind stolz auf ihre geringe Aufnahmequote, andere nicht so rigoros. General Assembly setzt auf die Diversität der Studierenden. Ausbilder Jeffrey Konowitch:
    "Unsere Studierenden haben ein weites Erfahrungsspektrum. Einige sind Techniker, haben aber keine Programmiererfahrung, andere waren im Finanzwesen oder als Ingenieur tätig. Einige haben sehr wenig technisches Verständnis, aber in unseren Klassenzimmern verfolgt jeder das gleiche Ziel, wenn auch im unterschiedlichen Tempo. "
    Kritik am Schnellkursverfahren
    Während Privatanleger Millionen in die auf Programmierkurse spezialisierte Branche investieren, zweifeln Experten am kompakten Kursangebot und den langfristigen Überlebenschancen vieler neuer Privatschulen. Adam Cannon, Professor für Computerwissenschaften an der Columbia Universität:
    "Um in der Technologiebranche nach oben zu kommen, reicht es nicht aus, nur Programmieren zu lernen. Die Akademien sind derzeit sehr begehrt, weil Softwareentwickler zu den begehrtesten IT-Spezialisten gehören. Das kann sich schnell ändern, wenn die Technologieblase platzt. Dann verschwinden viele Schulen und Jobs wieder, weil sie nicht mehr gefragt sind."
    All das scheint Start-ups wie General Assembly nicht zu stören. Die Akademie hat bereits eine neue Marktlücke entdeckt: die Karriereplanung von College Studierenden. Demnächst will sie 30 Studierende der New School in Manhattan mit Produktmanagement und Entrepreneurship-Kursen auf Erfolg trimmen. Und das in nur drei Tagen.