Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Nachkriegsgeschichte
Der Schlächter von Lyon

"Ich bin gekommen, um zu töten." Das soll Klaus Barbie gesagt haben, als er 1942 das Kommando als Gestapo-Chef in Lyon übernahm. Peter Hammerschmidt arbeitet in seiner Doktorarbeit "Deckname Adler. Klaus Barbie und die westlichen Geheimdienste" Barbies Karriere nach dem Zweiten Weltkrieg auf. Erst 1987 wurde er in Frankreich verurteilt, Zeugen schilderten seine Gräueltaten.

Von Henry Bernhard | 08.09.2014
    Der Nazi-Verbrecher Klaus Barbie - hier im Jahr 1982 - wurde am 4. Februar 1983 von Bolivien an Frankreich ausgeliefert.
    Der ehemalige Gestapo-Chef Klaus Barbie 1982 in Bolivien, ein Jahr vor seiner Auslieferung an Frankreich (picture-alliance / dpa / UPI)
    Nein, die 44 Kinder aus dem jüdischen Waisenhaus von Izieu seien keine Widerständler gewesen. Sie waren unschuldig. Sie wurden am Gründonnerstag 1944 von einem Sonderkommando der Gestapo Lyon deportiert und wenig später in Auschwitz vergast. 43 Jahre musste die Zeugin darauf warten, bis sie ihre Verzweiflung dem Manne ins Gesicht schleudern konnte, der für die Deportation verantwortlich zeichnete: Klaus Barbie. Der sogenannte „Schlächter von Lyon“ stand 1987 in Frankreich vor Gericht. Verbrechen gegen die Menschlichkeit wurden ihm vorgeworfen. Barbie hatte als Gestapo-Chef von Lyon mit fanatischem Eifer gewütet, bestialisch gefoltert, gemordet. Die Résistance war sein Hauptfeind, aber er war auch ein Sadist. Peter Hammerschmidt verschont den Leser nicht mit Einzelheiten.
    "Das Quetschen von Genitalien, die Injektion von säurehaltigen und ätzenden Flüssigkeiten in den Harnleiter und die Ohren, das Ausreißen von Finger- und Fußnägeln, Stromstöße, das Verbrennen mit Zigaretten, Nadelstiche, Schläge mit Eisenstangen sowie Messerstiche in alle Körperbereiche waren fester Bestandteil der deutschen 'Verhörtaktik'."
    Hammerschmidt beschreibt knapp und doch plastisch Barbies Lebensweg, dessen unglückliche Jugend und dessen Ersatzheimat, den Nationalsozialismus. Der Autor schildert Barbies Taten als Gestapo-Chef und deren Ende. Im Sommer 1944 wurde Barbie verletzt - und fortan kümmerte er sich lange vergeblich darum, wieder diensttauglich geschrieben zu werden.
    Barbies zweite Karriere nach dem Krieg
    Das Ende des Dritten Reiches war für Barbie das Ende aller persönlichen Pläne und Vorstellungen, wie Hammerschmidt deutlich macht. Fortan war der ehemalige Gestapo-Chef zunächst in Deutschland auf der Flucht. Gemeinsam mit anderen SS-Kameraden baute er ein Unterstützungsnetzwerk für Familien von SS-Männern auf. Bald politisierte sich das Netzwerk und bot sich den Besatzungsmächten als kräftiges Bollwerk gegen den Kommunismus an. So kam es, dass Barbie und seine Verbündeten dem amerikanischen Geheimdienst CIC Informationen gerade aus der französischen Zone und aus Polen lieferten. Von dort also, wo sie noch wenige Monate zuvor gewütet hatten.
    "Barbies antikommunistische Haltung, seine von Seiten des CIC attestierte nachrichtendienstliche Profession waren der Schlüssel zu Barbies Rekrutierung durch das Counter Intelligence Corps; eine Rekrutierung, mit der Barbie zugleich zum Symbol für die sich in dieser Zeit verfestigende Teilung Europas avancierte: Der Eiserne Vorhang war über Europa niedergegangen, der Kalte Krieg hatte begonnen, und mit ihm der heiße Krieg der Nachrichtendienste."
    Amerikaner wussten ab 1948 von Barbies Vergangenheit
    Hammerschmidt zeichnet die Ereignisse nach: Barbie schien kompetent, willfährig und skrupellos. Also warben ihn die Amerikaner an – noch, als andere Einheiten ihn parallel als NS-Funktionsträger verfolgten. Ab dem Sommer 1948 führte Barbie in Augsburg einen großen Agentenring für die Amerikaner, das „Büro Petersen“. Die Spione beobachteten die KPD, die SPD und den französischen Geheimdienst. Spätestens zu diesem Zeitpunkt, also 1948, erfuhr Barbies US-Führungsoffizier davon, dass der ehemalige Gestapo-Mann in Frankreich wegen Mordes gesucht wurde. Dass die Amerikaner ihn nicht auslieferten, erklärt der Autor einerseits mit Ignoranz. Andererseits hätten sie befürchtet, mit einem Kriegsverbrecher in den eigenen Reihen schlecht dazustehen.
    "Sollte es jemals einen umfassenden und gut organisierten SS-Untergrund gegeben haben, nachdem das CIC unmittelbar nach 1945 in der amerikanischen Zone fahndete, dann wurde er erst durch das 'Büro Petersen' konsolidiert."
    Hammerschmidt hält es für sehr wahrscheinlich, dass Barbie zudem für den CIA und die Organisation Gehlen, den Vorläufer des BND, gearbeitet hat. 1949 wurden Barbies Untaten in französischen Zeitungen angeprangert, Frankreich verlangte seine Auslieferung. Die Amerikaner gaben zunächst an, nichts von Barbie zu wissen. Später beschlossen sie, nach Recherchen des Autors, Barbie mit Hilfe des Vatikans nach Bolivien zu bringen. So wie viele Männer von SS, SD und Gestapo, die als Agenten für die Amerikaner gearbeitet hatten.
    Berater des Bolvianischen Regimes in Sachen Folter und BND-Quelle
    "Als Dank für die neue Chance sollte sich der ehemalige Gestapo-Chef mit militärischer Treue gegenüber den Befehlshabern seines neuen Heimatlandes revanchieren, sein in Frankreich erworbenes NS-Repressionswissen auch den Diktatoren Boliviens zur Verfügung stellen und damit eine Kontinuitätslinie zwischen Heydrichs Terrorapparat und bolivianischen Repressionsorganen herstellen."
    So beriet er Armee und Geheimdienst in Verhör- und Foltertechniken. Zwei Mal, 1952 und '54, wurde er indessen in Frankreich zum Tode verurteilt. Dessen ungeachtet warb der Bundesnachrichtendienst Klaus Barbie in den 60ern für 500 DM monatlich an, um Informationen über mögliche kommunistische Aktivitäten aus Bolivien zu erhalten. Barbie verschwieg seine wahre Identität, der BND forschte nicht nach.
    "Geradezu ein Gütesiegel für die Verlässlichkeit des neuen Agenten waren offenbar die im Rahmen 'seiner Tätigkeit im letzten Krieg' gewonnenen Erfahrungen, die ihm nun 'für seine nachrichtendienstliche Mitarbeit zum Vorteil gereichten'."
    Abschiebung nach Frankreich und Verurteilung
    Als der BND wenig später Barbies wahre Identität aufdeckte, schaltete er diesen als Quelle ab – nicht ohne eine Abfindung von 1.000 D-Mark. Die deutsche Staatsanwaltschaft erfuhr vom BND nichts. Barbie wurde weiter geschützt. Hammerschmidt schildert die weiteren Jahre in Bolivien, wo Barbie als Sicherheitsbeamter arbeitete, als graue Eminenz des bolivianischen Geheimdienstes, als Ideengeber für innenpolitische Repression. Als 1982 eine gewählte Regierung die Macht in dem Land übernahm, brauchte man Klaus Barbie nicht mehr und wollte ihn ausliefern. Deutschland, das heißt die Kohl-Regierung, wollte ihn nicht, und so schob man Barbie nach Frankreich ab. Dort wurde ihm 1987 der Prozess gemacht. 40 Jahre, nachdem der amerikanische Geheimdienst von seiner Identität erfahren hatte. Fast 30 Jahre, nachdem der deutsche BND ihn beschäftigt hatte.
    Dem erst 28 Jahre alten Autor Peter Hammerschmidt ist zu verdanken, dass dies nun so klar auf dem Tisch liegt. Er grenzt Vermutetes sehr streng von Bewiesenem ab, prüft seine Quellen und schlussfolgert klug. Er hat eine Vielzahl von öffentlichen, privaten und Geheimdienstquellen verwandt, deren Beschaffung oftmals schwierig war oder stark behindert wurde und nur durch politischen Druck ermöglicht wurde – etwa beim Bundesnachrichtendienst. Der Umgang der Nachkriegs-Bundesrepublik mit den NS-Tätern ist eine Geschichte der Schande, eine Geschichte des Vertuschens, des Geheimhaltens, der Nicht-Justiz. Dank Peter Hammerschmidt ist ein weiteres Kapitel davon öffentlich geworden.
    Peter Hammerschmidt: "Deckname Adler. Klaus Barbie und die westlichen Geheimdienste"
    S. Fischer Geschichte, 560 Seiten, 24,99 Euro
    ISBN: 978-3-10-029610-8