US-Politik in Mittelamerika

Außer Spesen nichts gewesen

26:12 Minuten
Luftansicht des Grenzzauns zwischen den USA und Mexiko, der durch den Strand bis mitten hinein ins Wasser reicht.
Der Grenzzaun zwischen den USA und Mexiko: Auch er verhindert nicht, dass die Menschen Richtung Norden aufbrechen. © AFP / Guillermo Arias
Von Erika Harzer · 05.08.2021
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Internationale Gelder finanzieren korrupte Regierungen. Das ist die bittere Bilanz unserer Autorin, die die Entwicklung in Mittelamerika und die Reaktionen der USA auf die Migration seit 20 Jahren beobachtet. Eine echte Veränderung wolle niemand.
Es ist 17 Jahre her, als ich zum ersten Mal in einer Herberge im Süden Mexikos Menschen aus Zentralamerika begegne, die alles riskiert und alles verloren haben.
Ich erinnere mich an Alicia aus Honduras, 27 Jahre alt, vier Kinder. Sie hat zu Hause als Näherin in einer Textilfabrik gearbeitet, das Geld reicht hinten und vorne nicht. Verzweifelt gibt sie ihre Kinder zu den Großeltern und macht sich ohne Papiere auf den Weg Richtung USA.

Die Reise mit "La Bestia" ist brandgefährlich

Um Mexiko zu durchqueren, ist es für Menschen, die kein Geld haben, die schnellste, billigste, aber auch gefährlichste Möglichkeit auf einen der Güterzüge, die sogenannte "Bestia" zu klettern. Alicia versucht es.
Schnell neben den Gleisen rennen, die Angst dabei vergessen, einen Festhaltegriff suchen und dann hochziehen. So schaffen es die Menschen auf den Zug.
Alicia schafft es nicht. Sie rutscht ab, fällt unter den fahrenden Zug, spürt eine brennende Hitze in den Beinen. Die Bestie zerquetscht alles, was ihr unter die Räder kommt. Auch Alicias linken Oberschenkel. Alicia überlebt, doch der rechte Fuß und das linke Bein müssen amputiert werden.

"Seit 2004 höre ich die immer gleichen Geschichten"

Die private Herberge "Jesús el buen pastor" in Tapachula nimmt die Opfer der Bestia auf. Diejenigen, die hier stranden, wollten eigentlich in den USA arbeiten, um ihre Familien zu unterstützen. Nun sind sie selbst auf Unterstützung angewiesen.
Ein Junge im Rollstuhl schneidet einem zweiten Jungen mit amputiertem Unterschenkel die Haare.
Die private Herberge "Jesús el buen pastor" in Tapachula nimmt die Opfer der Bestia auf.© Deutschlandradio / Erika Harzer
Seit 2004 bin ich immer wieder auf diesen Routen der Migrantinnen und Migranten aus Zentralamerika unterwegs. Und es sind immer die gleichen oder zumindest die ähnlichen Geschichten, die ich höre.
Allein in den ersten drei Monaten dieses Jahres wurden mehr als 300.000 Menschen von den US-Grenzbehörden aufgegriffen. Der Überlebenskampf in der Heimat, im sogenannten Norddreieck Mittelamerikas, treibt sie in den Norden.

Ausbeutung der Ressourcen vertreibt die Bevölkerung

Fünf Jahre habe ich in Honduras gelebt, es ist eines der ärmsten Länder der Region. Schon damals, zur Jahrtausendwende, war es "normal", dass Männer für ein paar Monate oder Jahre als Arbeitsmigranten in die USA gingen – ohne Papiere natürlich und auf gut Glück.
Ihre Geldüberweisungen, die sogenannten Remesas aus den USA, wurden im Laufe der Jahre zu bedeutenden Wirtschaftsfaktoren in den Heimatländern. Später machten sich auch immer mehr Frauen auf den Weg. Sie flohen vor der alltäglichen Gewalt ihrer Ehemänner, Väter, Onkel, Brüder und ließen ihre Kinder bei den Großeltern oder Tanten zurück. Nolbia verlässt 2019 Honduras.
"So etwas hatte ich nie zuvor durchgemacht. So heftige, so schrecklich hässliche Angst. Ich musste stark sein. Ich musste auch großen Hunger aushalten. An einem der Tage, da wollte ich es nicht mehr ertragen", erzählt sie.
"Ich war kurz davor, ohnmächtig umzukippen. Aber da sagte ich mir: Wenn ich umkippe oder schwach werde, was passiert dann mit meinen Kindern? Ich muss stark sein und sie dorthin bringen, wo wir hinwollen, wo es uns gut gehen soll."

Geholfen wird dem, der zahlt

Sie hat Angst, mir ihren richtigen Namen zu sagen. Sie ist Mitte 30 und hat drei ihrer vier Kinder bei sich. Ich treffe sie in einer Herberge für Frauen in Mexiko City. Von hier aus will sie weiter nach Norden. Ihr viertes Kind musste sie beim Vater lassen, dem Mann, der sie verfolgt und mit dem Tod bedroht. In Honduras sind das keine leeren Worte. Femizide kommen täglich vor. An die Polizei kann sich Nolbia nicht wenden. Die nimmt Frauen in ihrer Lage nicht ernst und ist korrupt. Geholfen wird dem, der zahlt.
Das Bild der Migration hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten immer wieder verändert.

Die anhaltende Migration aus Guatemala, Honduras und El Salvador ist zum Schreckgespenst für die USA geworden. Dabei sind die Fluchtursachen seit Jahrzehnten die gleichen. In ihrem Mittelamerika-Schwerpunkt berichtet die "Weltzeit" über die aktuelle Lage, schildert Einzelschicksale und beleuchtet historische Entwicklungen und Abhängigkeiten. Hier die weiteren Sendungen:
Von Guatemala Richtung USA – Keine Ankunft, keine Wiederkehr
Dauerkrise in Honduras – Korruption, Kokain und Klimawandel
Reich und Arm in El Salvador – Mit Bitcoins gegen Ungleichheit

In Honduras sorgte 2009 ein Putsch der konservativen Politik- und Wirtschaftselite, unterstützt von den Streitkräften, für die Vertreibung der ländlichen und indigenen Bevölkerung. Die Putschisten setzten auf die exzessive Ausbeutung der Ressourcen: Dort, wo ehemals Kleinbauern Landwirtschaft betrieben, ließen sich transnationale Konzerne nieder, die bis heute das Land für Großprojekte nutzen. Darunter Monokulturen zur Palmölproduktion, Bergbau oder Wasserkraftprojekte, auch touristische Großprojekte.
Komplette Familien werden durch einen solchen Ausverkauf des Landes ihrer wenigen Habseligkeiten beraubt. Sie machen sich auf den Weg. Manche kommen bis in die USA, andere stranden, wieder andere sind vermisst.

Der Begriff "Bananenrepublik" steht für Abhängigkeit

Die Geschichte der drei Länder zeigt eine Kontinuität von Ausplünderung und Abhängigkeit. Honduras oder Guatemala werden noch heute mit dem Begriff "Bananenrepublik" in Verbindung gebracht. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren Bananen wichtigstes Exportgut aus der Region. Nordamerikanische Unternehmen wie die United Fruit Company beherrschten das Geschäft und die jeweiligen Regierungen hatten sich deren wirtschaftlichen Interessen unterworfen.
Auf Unabhängigkeitsbestrebungen einzelner lateinamerikanischer Regierungen gegen den wirtschaftlichen oder politischen Einfluss durch die USA folgten drastische Reaktionen. In besonderer Erinnerung ist der Sturz des in Guatemala demokratisch gewählten Präsidenten Jacobo Árbenz Gúzman im Jahr 1954.
Jacobo Árbenz Gúzman steht am Pult und hält eine Rede.
Der guatemaltekische Präsident Jacobo Árbenz Gúzman wurde 1954 durch eine CIA-Operation gestürzt, weil die United Fruit Company durch seine Landreformen ihre Interessen gefährdet sah.© imago / Everett Collection
Árbenz wollte eine Landreform in Guatemala durchführen. Die United Fruit Company, heute Chiquita Brands International, mit ihren großflächigen Ländereien sah ihre Interessen bedroht.
Árbenz wurde durch eine Geheimdienstoperation des CIA gestürzt. Der folgende, fast 40 Jahre andauernde Bürgerkrieg brachte über 200.000 Tote und Verschwundene und ebenso viele Waisenkinder, massenhafte Vertreibungen, Verschleppungen und Migration. Für Guatemala eine Katastrophe, die bis heute das Land prägt und spaltet.

Honduras als US-Basis

In den 1980er-Jahren hatte in Nicaragua die revolutionäre Bewegung den Diktator vertrieben. Auch in El Salvador und Guatemala kämpften Befreiungsbewegungen.
Der damalige US-Präsident Ronald Reagan sah seinen Hinterhof in Gefahr, kommunistisch zu werden. Seine Aufstandsbekämpfungspolitik sorgte für direkte militärische Aktionen in der Region. Honduras wurde mit dem Flughafen Palmerola und Ausbildungszentren für die Contra-Rebellen gegen Nicaragua zum militärisch strategischen Bündnispartner.
Rund vier Millionen Hispanics, also Menschen mit lateinamerikanischen Wurzeln lebten 1950 in den USA. Heute sind es knapp 60 Millionen. Über elf Millionen von ihnen leben ohne Papiere im Land, mit der Angst vor Abschiebung als täglichen Begleiter.
Mehrere Frauen halten Porträts von Männern und die Flagge von El Salvador hoch.
Marta Sanchez organisierte eine Karawane mittelamerikanische Frauen durch Mexiko, die nach ihren auf der Migrationsstrecke verschwundenen Söhnen, Brüdern und Männern suchen.© Deutschlandradio / Erika Harzer
Der Weg in die USA wurde im Laufe der Zeit immer komplizierter und gefährlicher. 3100 Grenzkilometer liegen zwischen den USA und Mexiko.
"Seit drei Jahrzehnten werden die Maßnahmen zur ‚Grenzsicherung‘ ausgeweitet. Dazu gehören: erhöhte Ausgaben für Personal, für Grenzmauern, für Infrastruktur und Überwachungstechnik an der Grenze."
Ende 2014 treffe ich die heute achtzigjährige Marta Sanchez, als ich für ein paar Tage die von ihr organisierte Karawane mittelamerikanischer Frauen durch Mexiko begleiten konnte. Sie waren auf der Suche nach ihren irgendwo auf der Migrationsstrecke verschollenen Söhnen, Töchtern oder Ehemännern.

Grenzschutzprogramme sind wirkungslos

Die Einwanderungspolitik der USA beschreibt sie in zwei prägnanten Etappen:
"In der ersten wurde die Einwanderungsreform mit Grenzsicherung und einer lebensgefährlichen Abschreckungsstrategie verknüpft. Eine Milliarde Dollar wurde dafür vom Staat von 1994 bis 2000 ausgeben. Nur ein Prozent weniger Menschen ohne Papiere überquerten dadurch die Grenze. Doch die Zahl toter Migranten im Grenzgebiet wuchs um 600 Prozent."
Massiv zugespitzt habe sich die Situation für die Migranten und Migrantinnen allerdings erst ab der zweiten Etappe:
"Diese Phase beginnt nach den Anschlägen vom 11. September 2001. Die durchlässige Grenze und die Menschen gelten nun als terroristische Bedrohung für die nationale Sicherheit."
Dafür werden neue Behörden geschaffen, wie die Heimatschutzbehörde.
Doch all die ins Leben gerufenen Grenzschutzprogramme dämmen die Migration nicht ein. Die Lage in Mittelamerika verschlimmert sich. 2014 gehen Bilder von Kindern und Jugendlichen um die Welt, die in völlig überfüllten Abschiebezentren in den USA feststecken. Maßlos überforderte Grenzbeamte, aufgebrachte US-Bürger.

Die Maras rekrutieren Jugendliche

Zu dieser Zeit macht sich Franklin Josue auf den Weg. "Ich bin alleine los.", erzählt er. "Ich hab mir gesagt: Pack deine Sachen! So kam ich hier her." Franklin Josue ist 15 Jahre alt und kommt aus Honduras. Als wir uns treffen, hat er es bis in die Herberge La 72 in Mexiko geschafft.
Im Gespräch wird klar, dass seine Familie und er Opfer der Maras geworden sind, einer gewalttätigen kriminellen Jugendbande, in der sich längst nicht nur Jugendliche organisieren.
Die Maras sind mafiaähnlich organisiert und im Drogen-, Waffen- und Menschenhandel aktiv. Entstanden sind sie in den 90er-Jahren in den USA. Heute sind sie aktiv in El Salvador, Guatemala und Honduras. Dort kontrollieren sie ganze Stadtteile oder Landstriche. Sie erpressen Schutzgelder und rekrutieren Jugendliche wie Franklin.
"Im Bett habe ich die ganze Nacht nachgedacht. Was tun? Soll ich bleiben? Soll ich das Land verlassen? Ich gehe! Das ist sicherer, habe ich mir irgendwann gesagt", erzählt er.
"Noch in der Nacht habe ich alles vorbereitet. Frühmorgens war ich weg. Ohne mich zu verabschieden, nicht mal von Mama. Ich nahm meine Sachen und ging los."
Richtung USA. Franklin dachte, so könne er den Maras entkommen und seiner Familie helfen. Ohne Geld und auch ohne die geringste Vorstellung, wie weit dieser Weg sein würde. Guatemala, El Salvador und Honduras sind keine Länder im Krieg und sind doch Länder, aus denen Kinder aus Angst um ihr Leben fliehen.

Viel Geld fließt, aber in welche Taschen?

Unter Präsident Obama startet die sogenannte "Allianz für den Wohlstand" für Guatemala, Honduras und El Salvador. 2016 sollten rund 750 Millionen und 2017 rund eine Milliarde Dollar in die drei Länder fließen. Das Ziel: Die Lebensbedingungen verbessern, den Migrationsdruck lindern.
Männer sitzen auf dem Dach eines durch Waldgebiet fahrenden Zuges.
Die Reise auf dem Dach eines Güterzuges ist für Menschen ohne Geld die günstigste, schnellste, aber auch gefährlichste Art Mexiko zu durchqueren.© picture alliance / ZUMApress.com / El Universal
Blicke ich heute, sechs Jahre später, auf die Region, hat sich nichts verbessert. Hunderttausende verlassen ihre Heimat. Was ist passiert mit dem Geld aus der "Allianz für den Wohlstand"?
Die Bevölkerung ist nach wie vor verarmt, die politische Situation verheerend: Die Korruption ist auf allen Ebenen der Politik dominierend, die Rechtsstaatlichkeit ist massiv eingeschränkt und die amtierenden Präsidenten setzen weiterhin auf exzessive Ausplünderung der natürlichen Ressourcen.
Hinzu kommt, wie im Fall des honduranischen Präsidenten Juan Orlando Hernandez, die enge Verbindung zu den Drogenkartellen, die teilweise Wahlkämpfe finanzieren, um ihre Kandidaten durchzudrücken.

USA sind Teil des Problems

Ob unter solchen Voraussetzungen finanzielle Hilfsprojekte überhaupt zielführend sein können, frage ich im Juli 2021 Adriana Beltran, Direktorin des Citizen Security Programs im Washington Office on Latin America (WOLA), einer in den USA ansässigen Forschungs- und Advocacy-Organisation.
"Warum die Zusammenarbeit mit den USA nicht die Wirkung hatte, die sich viele wünschen, dafür gibt es mehrere Gründe. Einerseits neigen die US-Regierungen dazu, dann der Region Aufmerksamkeit zu schenken und Hilfe zu fokussieren, wenn ihrer Meinung nach die Region mit einer Krise konfrontiert ist", erklärt sie.
"Das kann eine politische sein oder eine Krise als Folge von Naturkatastrophen. Darin liegt keine Kontinuität. Nach einer Weile wenden sich die Aufmerksamkeit und der Fokus anderen Regionen zu, und das führt zu dem, was ich als kurative Initiativen bezeichnen würde, die es nicht schaffen, strukturelle Veränderungen in der Region anzugehen und zu unterstützen."
Auch die Migrationsforscherin und Ökonomin Ana Ortega, kritisiert diese Politik, die auch heute keine langfristige Strategie aufzeigt.
"Sie waren offensichtlich besorgt über das Problem der Korruption in den letzten Jahren. Durch die Migrationskarawanen sehen sie, wie ernst die Lage ist, sehen, dass das nördliche Dreieck Vertreiber der eigenen Bevölkerung geworden ist", sagt sie.
"Zu den strukturellen Problemen wie Armut, Ungleichheit, Korruption und der bereits existierenden Gewalt muss eine weitere Gewalt hinzugefügt werden: die fehlende staatliche Sicherheit und nun auch durch den Klimawandel. Der Einfluss der USA in der Region ist weit davon entfernt, zur Lösung dieser strukturellen Probleme beizutragen. Sie verschlimmern sie."

Auch Trumps Mauer hält niemanden auf

Nach dem Programm "Allianz für den Wohlstand" von US-Präsident Barack Obama folgte der geplante Mauerbau des Präsidenten Donald Trump. Der erklärte darüber hinaus auch noch absurderweise die drei Länder Guatemala, El Salvador und Honduras zu sicheren Drittstaaten, in denen Geflüchtete aus jeweils anderen Ländern Asyl beantragen sollten.
Auch das hat nichts genutzt. Aber an die Wurzeln des Problems will niemand ran.
Nach wie vor gibt es großes internationales Interesse an der Ausbeutung der Ressourcen dieser Länder. Da wird dann eben auch ein korrupter Präsident in Kauf genommen. Schon 1939 drückte der damalige US-Präsident Roosevelt seine Haltung zum nicaraguanischen Diktator Somoza klar aus: "Er mag ein Hurensohn sein, aber er ist unser Hurensohn".
Hauptsache Waren und Geld fließen. Migrationsforscherin Ana Ortega kritisiert das: "Die Wahrheit ist, dass an diesem Punkt viele Länder infrage gestellt werden. Die Europäische Union zum Beispiel und die Vereinigten Staaten, weil sie trotz der Tatsache, dass es eine öffentliche Debatte über Korruption, über die Vereinnahmung des Staates, über den totalen institutionellen Zusammenbruch gibt, weiterhin diese Regierungen unterstützen."
2019 zieht eine Karawane von Mittelamerika aus durch Mexiko, über 10.000 Menschen sind dabei. Die ganze Welt schaut plötzlich in die Region. Anfangs verspricht Mexiko einen ungehinderten Transit. Aber nicht lange.
US Präsident Donald Trump droht Mexiko mit Wirtschaftssanktionen und bald schon kontrollieren Tausende mexikanische Soldaten, die eigentlich zur Bekämpfung der Drogenkartelle eingesetzt werden sollten, sowohl die Süd- als auch die Nordgrenze.

Ein Schlepper offenbart sich

Einmal gelingt es mir in all den Jahren, mit einem Coyote, einem Schlepper zu sprechen. Ich treffe Carlos 2015 im Norden von Honduras.
Er erklärt mir das System: "Dieses Geschäft ist heutzutage lukrativer als der Drogenschmuggel. Willst du in die USA, dann zahlst du dafür zwischen 5000 bis 8000 Dollar pro Person. Du durchquerst Honduras, dann Guatemala, dann Mexiko und kommst in den USA an – und überall sind die Beamten in all das involviert."
Er zeigt mir sein Mobiltelefon mit den Kurznachrichten an Grenzbeamte.
"Ich komm morgen vorbei", "komm am Samstag", "komm am Sonntag oder Montag" Es ist ein Netz! Es ist wie ein Kuchen, dessen Stücke verteilt werden und der alle glücklich macht", sagt er.
"Du kommst ohne Papiere nach Guatemala. Aber sie wissen schon, dass du dort durchkommst. Sie warten auf ihr Stück vom Kuchen, sie wissen, da kommen ihre 100 Dollar an. Wie sollten sie dich nicht durchlassen? Danach reist du durch Mexiko. Du weißt, du musst durch rund 17 Sperren. An allen 17 Sperren lässt du etwas. Und was? Geld natürlich!"

"Jeder Polizist hat seinen Preis"

Carlos legt schonungslos das Geschäft der Coyoten offen. Und fragt dabei auch, was ich denn machen würde, wenn mein 14-jähriger Sohn, meine 13-jährige Tochter in Honduras vor der Entscheidung stünde, sich einer mörderischen Bande anzuschließen, oder von der umgebracht, vergewaltigt oder verstümmelt zu werden.
"Jede Sperre hat ihren Preis. Jeder Polizist hat seinen Preis, sagt dir: Gib mir! 2000 Dollar bleiben dir, 6000 Dollar werden verteilt. Unter Polizisten, Beamten egal von welcher Einheit, ob von der Justiz oder der Regierung. Da bleibt das Geld", erzählt er.
"Heute zahlst du auch Quoten an die Kartelle, um an die Grenze zu kommen. Es ist heute eines der lukrativsten Geschäfte. Sowohl für die Beamten wie auch für uns Schleuser. Mit zehn Leuten bewegst du 80.000 Dollar. In zehn Tagen. Nicht nur ich, da sind Tausende Schleuser."
Die Zahlen werden heute andere sein. Das System als solches dagegen ist noch genauso attraktiv.

Internationale Gelder finanzieren korrupte Regierungen

Im Frühjahr 2021 überträgt US-Präsident Biden seiner demokratischen Vizepräsidentin Kamala Harris die Aufgabe, Programme zu entwickeln, um die Menschen aus Mittelamerika in ihren Heimatländern zu halten.
Biden steht unter Druck, denn die Zahl der Migranten, vor allem der Minderjährigen, steigt wieder an und das Thema Migration könnte ihm die Midterm-Wahlen im nächsten Jahr vermasseln. Jetzt wiederholt sich das diplomatische Spiel.
Harris führt Gespräche in den mittelamerikanischen Ländern und bewegt sich auf dünnstem Eis. Strukturell hat sich nichts verändert, in den drei Ländern regieren höchst dubiose Präsidenten, die Mehrheit der Bevölkerung ist verarmt.
Wohin sollen neue Finanzhilfen fließen? Mit wem will Kamala Harris paktieren?
Eine gerechte Verteilung des Wohlstands und das Ende des Raubbaus an den natürlichen Ressourcen dieser Länder – das wäre ein vielversprechender Weg. Er ist gar nicht umstritten, aber scheinbar nicht begehbar.
Das muss anders werden. Internationale Hilfe, die korrupte Regierungseliten finanziert, gab es lange genug.
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