US-Journalist Farhad Manjoo

Post aus Deutschland: "Bruder, ich verzeih dir"

04:54 Minuten
Porträt des US-amerikanischen Journalisten Farhad Manjoo, mit einer Brille und dem Logo der New York Times im Hintergrund.
Farhad Manjoo bekam zahlreiche Nachrichten deutscher Abiturienten. Sein Artikel aus der "New York Times" war Teil der Abiturprüfung in Nordrhein-Westfalen. © AFP / Getty Images / Neilson Barnard
Von Nora Karches · 11.05.2021
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Autorinnen und Autoren bekommen in sozialen Netzwerken viele Nachrichten und Anfragen von Schülern zu ihren Texten. Einer von ihnen war "New York Times"-Kolumnist Farhad Manjoo - die Kommentare dienten auch als Ventil für den Frust der Abiturienten.
Alles begann mit dem Foto einer Torte, das der US-amerikanische Autor Farhad Manjoo auf Instagram gepostet hat. Heute stehen über 7.000 Kommentare unter dem Foto. Mit der Torte haben die Kommentare allerdings nichts zu tun.
"Du hast NRW-Verbot ab heute", schreibt Dilan und eine Schülerin: "Ich küss deine Augen Bruder, aber was soll dieser Artikel über Einfamilienhäuser?". Und Hammud schreibt: "Junge, benutz' doch Wörter, die im Wörterbuch stehen, du H0nd [sic]."(*)

Dem Autor direkt geschrieben

Farhad Manjoo schreibt für die "New York Times". Eine seiner Kolumnen wurde als Prüfungstext für das diesjährige Englisch-Abitur in Nordrhein-Westfalen ausgewählt. Direkt nach der Abgabe findet Henri den Autor auf Instagram und schreibt ihm.
"Ich hab den Post gesehen und dachte mir, ich kommentier' was Lustiges." Er habe damit gerechnet, dass ein paar seiner Freunde das vielleicht sehen würden, aber nicht, dass es solche Kreise zieht, sagt Henri.
Innerhalb weniger Stunden unterhalten sich Abiturientinnen und Abiturienten aus ganz Nordrhein-Westfalen in der Kommentarspalte über die Prüfung.

NRW-Verbot

Es sei vielen Leuten eher darum gegangen, andere zu finden, die auch unzufrieden mit der Klausur waren, erzählt Joe. Man habe nicht unbedingt das Gespräch mit dem Autor selber gesucht. "Sein Instagram-Profil wurde eher als Plattform zur Kommunikation zwischen den Leuten genutzt, die die Klausur geschrieben haben", sagt er.
Joe postet nur zwei Wörter: "NRW-Verbot". Und er ist nicht der Einzige. Dilan erklärt, dass sie sich mit dem Begriff auf den Schlagabtausch zwischen zwei deutschen Rappern beziehen. "Innerhalb von fünf Minuten hatte ich da irgendwie so 80 Gefällt-mir-Angaben. Das war so: Wow! Okay."

Unterhaltung auf Twitter

In der Zwischenzeit fordern die Schülerinnen und Schüler vom Autor Erklärungen, was er mit seinem Artikel über Einfamilienhäuser in Kalifornien eigentlich sagen wollte.
"Eine Schülerin hat ihm auch auf Twitter geschrieben und er hat tatsächlich darauf geantwortet. Dann war es irgendwann eine Unterhaltung. Die ganze Trauer von der Klausur war weg", erzählt Dilan.
Vier Tage später kommt im Pädagogik-Abitur in Nordrhein-Westfalen ein Text des deutschen Soziologen Aladin El-Mafaalani dran. Das Spiel wiederholt sich. Elisa schreibt: "War ein super Text. Kam damit echt gut klar." El-Mafaalani reagiert und gründet auf Instagram eine Selbsthilfegruppe.

Ein leichtes Opfer

"Ich hab mich ja schon auch sehr gefreut als Aladin meinen Kommentar gelikt hat. Das war so: "Der existiert wirklich!"
Wenn man heute fragt, worum es bei diesem Hype ging, erhält man die unterschiedlichsten Antworten. Ayca sagt, der Humor ihrer Generation sei ein bisschen speziell, daher solle man die Kommentare leichtherzig nehmen. Niemand habe etwas gegen den Autor. Und Henri bedauert, Manjoo sei ein leichtes Opfer einiger frustrierter Jugendlicher geworden, die ihr Abi machen wollen.
"Meine Intention war es nicht, den Autor direkt anzusprechen, auch wenn das jetzt so rüberkam. Ich wollte ihn damit auch gar nicht bloßstellen oder beleidigen, wie das einige in den Kommentaren aufgenommen haben", sagt Hammud.

Freude über Rückmeldungen

Autoren helfen in den sozialen Netzwerken bei der Analyse ihrer Prüfungstexte und bekommen "Bruder ich verzeih dir"-Kommentare. In manchen Medien wurde das Phänomen in die Nähe von Hate Speech gerückt.
Doch von Hate Speech könne in diesem Kontext keine Rede sein, findet die Autorin Jagoda Marinić. Vor einigen Jahren war einer ihrer Texte Teil der Realschul-Abschlussprüfungen. Wie Farhad Manjoo und Aladin El-Mafaalani freute sie sich damals über die zahlreichen Rückmeldungen.
"Dieser Frust kam bei mir auch an, aber ich fand das damals irgendwie total toll, dass Menschen so mit Texten ins Gespräch gehen und mit anderen über Texte ins Gespräch gehen", sagt Marinić. Sie erlebe es immer wieder, dass wenn Texte in der Schule besprochen werden, Schüler sich per direct message melden, so als kenne man sich, und sagen, 'Hallo, die Frau hinter dem Glaskasten in deiner Geschichte, stimmt das wenn ich denke, dass die so und so tickt?'"

Hoffnung auf Rücksicht

Wie viele andere aus seinem Abi-Jahrgang hat auch Hammud nicht nur an Farhad Monjoo auf Instagram geschrieben, sondern auch der nordrhein-westfälischen Bildungsministerin. Angesichts einer derart schweren Abiturprüfung nach einem Schuljahr ohne regulären Unterricht habe er sich im Stich gelassen gefühlt. Wie vielen Abiturientinnen und Abiturienten es genauso ging, wurde ihm klar, als sein Kommentar zum Titel eines "Spiegel-Artikels wurde.
"Ich hätte niemals gedacht, dass es wirklich so viral geht und beim Spiegel landet", sagt Hammud. Er habe kurz die Hoffnung gehabt, dass jetzt doch vielleicht bei der Bewertung Rücksicht genommen wird. Das sei so der Wunsch gewesen, den die Schüler hatten oder dass sich mal jemand aus dem nordrhein-westfälischen Bildungsministerium dazu äußert.
*Redaktioneller Hinweis: Wir haben einen Namen anonymisiert.
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