US-Demokrat Philip Murphy

"Wir müssen diese Wahlen gewinnen"

Phil Murphy, der Gouverneur des US-Bundesstaates New Jersey, hält am 1. Oktober 2018 eine Rede in Nutley, New Jersey.
Phil Murphy, der Gouverneur des US-Bundesstaates New Jersey, hält am 1. Oktober 2018 eine Rede in Nutley, New Jersey. © dpa / picture alliance / Seth Wenig
Moderation: Annette Riedel · 20.10.2018
Der demokratische US-Politiker Philip Murphy setzt darauf, dass seine Partei bei den Kongresswahlen Gewinne einfährt. Nur so ließe sich der Schaden, den US-Präsident Trump bisher angerichtet habe, halbwegs begrenzen. Allerdings sei nicht alles schlecht, was Trump mache.
Das neue Handelsabkommen mit Mexiko und Kanada überzeugt den demokratischen US-Gouverneur Philip Murphy zwar nicht völlig, aber "vielleicht ist es jetzt besser als es war". Auch habe Trump durchaus Recht, wenn er die Handelspolitik Chinas kritisiere. "China ist nicht, wo es sein sollte." Zu kritisieren sei aber die Art und Weise, wie der Präsident diese Themen angegangen ist.
Bei den transatlantischen Beziehungen seien unter Trump mehr denn je die US-Bundesstaaten gefragt, Politik notfalls an Washington vorbei zu machen. Gleiches gelte für die Umwelt- und Klimapolitik. "Donald Trump hat noch nichts getan oder gelassen, was der Umwelt genutzt hat."
Trotzdem sagt Murphy, er habe "noch keine Sekunde über ein Amtsenthebungsverfahren für Donald Trump nachgedacht".
Das Interview wurde im Rahmen einer Veranstaltung der transatlantischen Denkfabrik "Aspen Institut Deutschland" aufgenommen.

Der demokratische US-amerikanische Politiker, Diplomat, Investmentbanker und Obama-Freund Philip Murphy war von 2009 bis 2013 Botschafter der Vereinigten Staaten in Deutschland. Er ist seit Januar Gouverneur von New Jersey. Kurz vor den Wahlen zum US-Kongress im November, den richtungsweisenden Midterms, stellte sich Murphy den Fragen von Deutschlandfunk Kultur in Kooperation mit dem Aspen-Institut Berlin.
Murphy wurde 1957 in der Nähe von Boston (Massachusetts) geboren. Nach dem Abschluss eines Studiums der Wirtschaftswissenschaften an der Harvard-Universität arbeitete er 23 Jahre bei dem weltweit tätigen Investmentbanking- und Wertpapierhandelsunternehmen Goldman Sachs. Nach seiner Tätigkeit bei Goldman Sachs war er von 2006 bis 2009 für die Finanzangelegenheiten der US-Demokraten verantwortlich. Von 2009 bis 2013 war er unter US-Präsident Obama US-Botschafter in Deutschland.


Das Interview in der englischen Originalversion:

Philip Murphy, Gouverneur von New Jersey, im Gespräch mit Moderatorin Annette Riedel
Philip Murphy, Gouverneur von New Jersey, im Gespräch mit Moderatorin Annette Riedel© Aspen Institute Germany / Holder
Das Interview in der deutschen Übersetzung:
Deutschlandfunk Kultur: Fangen wir mit der schwierigsten Übung für Sie als Demokraten an – nämlich zuzugeben, dass die Wirtschaftspolitik des republikanischen US-Präsidenten, einem gewissen Donald Trump, so verkehrt nicht sein kann, bei dem hohen Wachstum und der geringen Arbeitslosigkeit. Irgendetwas muss er richtig machen!
Phil Murphy: Ja und nein. Meine Sorge ist, dass wir durch massive Steuererleichterungen eine Art "überzuckerte" Hochkonjunktur haben. Ich habe gerade gelesen, dass unser Haushaltsdefizit vor allem durch diese Steuersenkungen um 17 oder 19 Prozent angestiegen ist. Ich bin sehr besorgt wegen der Ungerechtigkeiten bei uns. Wer Aktien besitzt, wer unter den Reichsten in unserem Land ist, der profitiert sehr davon. Aber die Ungleichheiten sind riesig. Schlussendlich werden die Steuergeschenke zu 83 Prozent dem reichsten einen Prozent der Bevölkerung zu Gute kommen. Ich kann mich schwerlich für eine wirtschaftliche Entwicklung begeistern, die diese Ungerechtigkeiten nicht angeht. In New Jersey wollen wir das anders machen. New Jersey hat die elftgrößte Bevölkerung unter den US-Staaten. Es hat die achtgrößte Wirtschaftskraft, ähnlich groß wie die Schwedens. Geographisch ist es der viertkleinste US-Bundesstaat, aber der am dichtesten besiedelte. Deshalb ist auch die richtige Umweltpolitik so wichtig.
Deutschlandfunk Kultur: Ich komme zur Umweltpolitik noch, aber ich lasse Sie noch nicht ganz vom Haken. Vom erneuerten Handelsabkommen der USA mit Mexico und Kanada – das früher NAFTA hieß – scheinen Farmer und Arbeiter in der Automobilindustrie wirklich profitieren zu können, nicht nur in den USA. Das neue Abkommen, sagen viele, ist besser als das alte.
Phil Murphy: Ja, vielleicht. Das Problem mit NAFTA war, dass es horrende unbeabsichtigte Nebenwirkungen für Arbeitsplätze in den USA hatte. Ich möchte, nebenbei gesagt, betonen, dass ich grundsätzlich für Freihandel bin. Aber wir sollten ihn mit wachen Augen angehen und sicherstellen, dass er nicht zu ungewollten Konsequenzen führt, die dann ausnahmslos Arbeiter auszubaden haben. Daran ändert sich leider mit dem neuen Abkommen nichts.
Vielleicht ist es jetzt besser als es war. Aber es bleibt dabei, dass die Politik der Trump-Regierung national zu ungeheuren Ungleichheiten führt. So kann man keine nachhaltige Wirtschaft aufbauen. Die muss auf der Mittelschicht aufbauen – einer Mittelschicht, zu der dazuzugehören für möglichst viele erreichbar ist, wenn sie es denn wollen. Nichts von Trumps Politik geht in diese Richtung.
Deutschlandfunk Kultur: Aber Sie müssen zugeben, wenn der Milchmarkt für US-Farmer geöffnet wird und wenn es für die Automobilindustrie Vorgaben gibt, die Jobs in den USA halten und auch Arbeitern in Mexiko nützen könnten, dann kann man das nur begrüßen.
Phil Murphy: Ja, aber nicht mit voller Überzeugung. Es ist jedenfalls besser als es war. Aber für New Jersey spielt es kaum eine Rolle. Meine Zeit ist zu 1000 Prozent auf die Wirtschaft und Gesellschaft in meinem Bundesstaat konzentriert. Ich will gar nicht behaupten, dass alles an der Politik Trumps grundsätzlich falsch ist. Aber ich möchte, dass die Zuhörer unserer Diskussion verstehen, dass Trumps Wirtschaftspolitik in mehrerlei Hinsicht mit Feuer spielt. Wir haben eine Maschinerie angeheizt, die zu deutlich höheren Defiziten führen wird und zu höheren Zinsen, um die Maschine wieder zu verlangsamen und zu mehr Ungleichheiten. Das sind drei Tatsachen – keine ist besonders erfreulich.
Deutschlandfunk Kultur: Also die Wirtschaft läuft zwar gut, aber es wird nicht nachhaltig sein?
Phil Murphy: Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Die Politik dieser Regierung beinhaltet rein gar nichts zum Wiederaufbau von Infrastruktur. Wir brauchen beispielsweise unbedingt einen neuen Tunnel unter dem Hudson-River, um New Jersey und New York zu verbinden – wichtig nicht nur für New Jersey, sondern den gesamten Nord-Ost-Korridor.
Deutschlandfunk Kultur: Aber es sind doch über eine Billion Dollar für Infrastruktur in den nächsten zehn Jahren vorgesehen…
Phil Murphy: Das stimmt so nicht. Es war zwar von einer Billion die Rede, aber das Infrastruktur Programm ist tatsächlich viel zu klein dimensioniert.
Ich sehe eine weitere Lücke – nicht nur die erwähnte wachsende zwischen Arm und Reich, sondern die zwischen Rhetorik und der Realität. Dieser Tunnel ist ein 15- bis 20-Milliarden-Dollar-Investitions-Objekt. Die Obama-Regierung wollte sich mit der Hälfte beteiligen. Die andere Hälfte hätten New York und New Jersey gemeinsam aufgebracht. Nichts passiert. Ich hoffe ja noch. Aber wenn ich die Mittelklasse stabilisieren will, wenn man sich fragt, wie man einen nachhaltigen Schub für die Wirtschaft hinbekommt, dann investiert man in Bildung und Infrastruktur. Das mache ich in New Jersey.
Deutschlandfunk Kultur: Am 6. November gibt es die "Midterms", Wahlen zum US-Kongress zur Mitte der Amtszeit des Präsidenten. Die Partei, die nicht den Präsidenten stellt, profitiert normalerweise davon, also jetzt ihre Demokraten. Erwarten Sie große Gewinne? In Anspielung auf die Partei-Farbe, eine "Blaue Welle"?
Phil Murphy: Es sieht so aus, zumindest was das Repräsentantenhaus angeht. Aber es ist noch zu früh, es sicher vorauszusagen. Das gesamte Repräsentantenhaus wird gewählt, ein Drittel des Senats und in 36 von 50 Staaten werden die Gouverneure gewählt. Die Republikaner haben das Weiße Haus, die Mehrheit im Senat und im Repräsentantenhaus und sie stellen zurzeit 34 der 50 Gouverneure.
Die Umfragen sagen heute, dass die Demokraten das Repräsentantenhaus zurückgewinnen, im Senat wird es schwierig aber nicht ausgeschlossen. Und aus den 16 demokratischen Gouverneuren sollten über 20 werden.
Deutschlandfunk Kultur: Im Senat wird es besonders schwierig, denn in einigen der Bundesstaaten, wo Senatoren zur Wahl stehen, hat Trump bei den Präsidentschaftswahlen vor zwei Jahren mit über 19 Prozent Abstand gewonnen. Ist die Mehrheit im Senat unerreichbar?
Phil Murphy: Ich würde nicht sagen: unerreichbar. Aber schwierig. Die Dinge entwickeln sich so schnell. Sie haben sicher mitbekommen, dass wir einen Kampf um die Berufung eines Richters an das Oberste US-Gericht hatten…
Deutschlandfunk Kultur: Dazu gleich mehr …
Phil Murphy: Das führte zu völlig unterschiedlichen Impulsen. Die Lage ist momentan kaum berechenbar.
Deutschlandfunk Kultur: Wird die Wahlbeteiligung eine große Rolle spielen? Und kann die Tatsache, dass es so viele heftige politische Streits und Kämpfe gegeben hat, zu mehr Wahlbeteiligung führen – weil die politische Debatte so aufgeheizt ist?
Phil Murphy: Kommt darauf an, auf welcher politischen Seite man steht. In meiner Partei scheint der Enthusiasmus, wählen zu gehen höher zu sein als bei den Republikanern…
Deutschlandfunk Kultur: Tatsächlich?
Phil Murphy: Ich denke, die Kavanaugh-Dynamik hat da was bewegt. Wir sehen außerdem bei Umfragen in diesen Tagen einen historisch großen Abstand zwischen Männern und Frauen. Frauen sind bei weitem mehr schockiert, wie sich diese ganze Geschichte entwickelt hat. Männer dagegen scheinen sich nach diesen Umfragen eher bestärkt zu fühlen, vor allem weiße Männer. Auf der "blauen" Seite, also bei den Demokraten, scheint der Wahlenthusiasmus jetzt größer so sein als auf der "roten", bei den Republikanern. Aber das ist alles nicht sehr belastbar und ändert sich dauernd.
Deutschlandradio Kultur: Man hat den Eindruck, dass Trump tun kann, was immer er will – grobe Fehler machen, erwiesenermaßen lügen, in Skandale verwickelt sein, Mitarbeiter, nach deren Aussagen, zu Straftaten anstiften – und doch halten ihm seine Anhänger unerschütterlich die Treue. Er hat Zustimmungsraten, die zwar bei demokratischen Wählern nur bei sieben Prozent liegen. Aber bei seinen Fans bei über 90 Prozent! Wenn die Kongresswahlen ein Referendum über Trumps Politik wären, wäre der Ausgang völlig offen.
Phil Murphy: Ich will versuchen hier so milde und objektiv wie mir möglich zu sein: Er hat anscheinend eine sehr solide Wähler-Basis von plus/minus 40 Prozent.
Deutschlandfunk Kultur: Und für die Demokraten schwer zu überbieten!
Phil Murphy: Schon – aber normalerweise braucht man mehr als 40 Prozent, um eine Wahl zu gewinnen. Die Frage wird sein, wie sich die Zustimmung bei den anstehenden Wahlen, bei denen er ja gar nicht zur Wahl steht, in Wählerstimmen übersetzt. Die Wahlbeteiligung wird entscheidend sein. Dann sind wir wieder beim Enthusiasmus und der Frage, wie die Gleichung da in Bezug auf Trump im Guten oder im Bösen aufgeht - abhängig vom politischen Blickwinkel, aus dem man es betrachtet und wie das die Wahlbeteiligung beeinflusst.
Deutschlandfunk Kultur: Sie haben die Berufung von Brett Kavanaugh zum Obersten US-Gericht schon kurz angesprochen – es scheint, als ob sich die Reihen der Republikaner über dem Kampf darum geschlossen haben. Es gab Vorwürfe gegen Richter Kavanaugh wegen angeblicher sexueller Übergriffe. Aber bewiesen ist nichts. Man könnte argumentieren, dass es unfair war, ihm diese Berufung zum Surpreme Court verwehren zu wollen, wenn es keine Beweise für die Vorwürfe gibt.
Phil Murphy: Ich bin überhaupt nicht Ihrer Meinung. Dass immer wieder angenommen wird, dass das Opfer, meist eine Frau, aus irgendwelchen Gründen nicht die Wahrheit sagt und nicht das Recht hat, dass man ihre Geschichte hört - ich weise das entschieden zurück! Kavanaugh ist durchgedrückt worden; es gab keinen angemessenen Ernennungsprozess.

Deutschlandfunk Kultur: Aber er gilt bis zum Beweis des Gegenteils als unschuldig.
Phil Murphy: Ja. Aber vier Tage Ermittlungen durch das FBI, unter Bedingungen, die Trump bestimmt hat – das war keine faire Anhörung. Es geht aber über den Fall Kavanaugh hinaus. Für mich ist das eine nationale Krise. In New Jersey haben wir eine Frau, die ihre Geschichte herausgeschrien hat, aber sie wurde nicht gehört. Ihre Geschichte wurde nicht angemessen behandelt. Das ist tragisch. Überall im Land gibt es so etwas. Wir müssen das ändern! Die Frage, wem man glaubt, dass er die Wahrheit sagt und wer nicht, muss anders ausbalanciert werden.
Philip Murphy, Gouverneur von New Jersey
Philip Murphy, Gouverneur von New Jersey© Aspen Institute Germany / Holder
Deutschlandfunk Kultur: Das Repräsentantenhaus könnte mit einfacher Mehrheit beschließen, ein Amtsenthebungsverfahren gegen Donald Trump anzustrengen. Die US-Verfassung kennt 3 Gründe, die zu einer Amtsenthebung führen könnten: Verrat, Bestechung oder Bestechlichkeit und schwere Verbrechen oder Vergehen. Das lässt viel Interpretationsspielraum. Letztlich ist es keine juristische sondern ein politische Entscheidung, so ein Verfahren anzustoßen. Wären Sie dafür – falls die Demokraten nach den Kongresswahlen im Repräsentantenhaus die Mehrheit hätten?
Phil Murphy: Ich habe nicht eine Sekunde darüber nachgedacht. Unser Ziel ist, diese Wahlen zu gewinnen und mindestens im Repräsentantenhaus die Kontrolle zurückzugewinnen – möglichst in beiden Häusern. Wir wollen die Balance zwischen den Gewalten und die Kontrollmöglichkeiten wieder herstellen, die jetzt so sehr fehlen.
Meine größte Enttäuschung ist übrigens nicht unbedingt, dass der Präsident sich verhält, wie er sich verhält. Leider habe ich nichts anderes erwartet. Ich bin vor allem enttäuscht über diejenigen in seiner Partei, die das möglich machen. Leute, er kann das nicht alles allein machen! Er bekommt jede Menge Hilfe von seiner Partei. Wir Demokraten müssen die Kontrolle über den Kongress zurückgewinnen – mindestens über das Repräsentantenhaus.
Deutschlandfunk Kultur: Sie haben große Ambitionen, um mit allen Mitteln, wie Sie immer wieder sagen, gegen den Klimawandel zu kämpfen. Wie sehr sind Ihnen dabei als Gouverneur eines Bundesstaates die Hände gebunden, wenn der Präsident jemand ist, der nicht an einen menschengemachten Klimawandel glaubt und der vielmehr die Investitionen in Öl und Kohle hochfährt.
Phil Murphy: Der Präsident hat nach dem jüngsten verheerenden Hurrikan Florida und Georgia besucht. Und er soll die rhetorische Frage gestellt haben, ob der Klimawandel menschengemacht ist. Diese Frage ist doch eigentlich beantwortet, Leute! Es ist schon sehr entmutigend, dass wir das überhaupt immer noch diskutieren. Aber Trump ist nicht der einzige bei uns in den USA, der das tut. Ich sage das oft zuhause – und das gilt nicht nur beim Thema Klimawandel: Es kommt mehr denn je auf die Gouverneure der einzelnen Bundesstaaten an. Und deshalb ist es durchaus auch entscheidend, welche Gouverneure von den 36, die im November neben dem Kongress zur Wahl stehen, gewählt werden. Regiert wird oft eher regional oder lokal, denn aus Washington kommt nichts Fortschrittliches.
Deutschlandfunk Kultur: Und Washington kann das nicht ausbremsen? Beispiel Kalifornien. Die Trump-Regierung will die Erlaubnis kassieren, die es den Kaliforniern erlaubt, strengere Emissionswerte vorzugeben als auf föderaler Ebene festgelegt.
Phil Murphy: Trump kann das versuchen. New Jersey klagt seinerseits in über 50 Fällen gegen Washington. Spannungen wird es natürlich geben. Beispielsweise hat Trumps Innenminister gesagt, dass er das Recht haben möchte, vor der Küste New Jerseys nach Öl und Gas zu bohren. New Jersey hat eine sehr besondere, rund 230 Kilometer lange Atlantik-Küste. Wir planen vor der Küste den ambitioniertesten Windpark der gesamten USA aufzubauen. Das ist übrigens eine der vielen guten Ideen, die ich aus meiner Zeit in Deutschland mitgebracht habe. Wir wollen die Vorteile der Windkraft nutzen, und sie wollen nach Öl und Gas bohren! Aber ich habe gerade vor kurzem ein Gesetz unterschrieben, wodurch wir die Bohrungen verbieten. Können sie uns dafür verklagen? Ja, das können sie. Aber wir sie auch! Ich glaube nicht, dass sie es darauf ankommen lassen.
Wir Bundesstaaten können eine Menge tun. New Jersey hat sich zum Beispiel einer Gruppe von Bundesstaaten angeschlossen, die am Pariser Klimaabkommen festhalten werden.
Deutschlandfunk Kultur: 16 Bundesstaaten sind es, glaube ich.
Phil Murphy: Das weiß ich nicht genau. Ich weiß nur, wir gehören dazu. Es sind auch von den Republikanern regierte Staaten dabei, aber die meisten sind von Demokraten geführte. Wir setzen außerdem auf Sonnenenergie – vor allem um die Innenstädte zu verändern.
Deutschlandfunk Kultur: Sie haben den ambitionierten Plan, dass die Energieversorgung in New Jersey bis 2050 zu 100 Prozent "sauber" sein soll.
Phil Murphy: Wir werden das hinkriegen! Für die Wind-Energie-Spezialisten unter uns: bis 2030 wollen wir 3500 Megawatt aus Windkraft gewinnen – das ist genug, um 1,5 Millionen Haushalte zu versorgen. Solarenergie wird eine große Rolle spielen, Nuklearenergie zur Überbrückung auch noch eine Weile, bis sie schlussendlich ausläuft. Wir können also einiges machen. Aber es wäre ungleich besser, wenn wir einen Präsidenten hätten, der begreift, dass der Klimawandel menschengemacht ist und dass wir etwas gegen ihn tun können.
Deutschlandfunk Kultur: Das Schlimmste ist also, dass er nichts tut? Trump hat beispielsweise gerade ein Forschungsprogramm der NASA zum Klimawandel eingestellt. Durch Nichtstun richtet er mehr Schaden an als durch das, was er tut?
Phil Murphy: Beides! Er hat beispielsweise die Anforderungen etwa bei der Obergrenze für Quecksilberspuren oder bei Abgas-Emissionen abgeschwächt. Wir sollten doch um Himmels Willen forschen, um die Fakten zu verstehen und Entscheidungen wieder auf wissenschaftlicher Grundlage zu fällen! Vielleicht kann mir irgendjemand mal nur irgendetwas nennen, was Donald Trump getan oder gelassen hat, was gut für die Umwelt ist – und das war ja Ihre Frage, was mehr Schaden anrichtet, was er tut oder was er lässt. Ich sage: beides.
Aber noch mal: Die Bundesstaaten können viel tun. Kalifornien kann viel tun. Kalifornien allein genommen ist die fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt. Geht Kalifornien in die richtige Richtung, ist das eine wichtige Sache – wenn auch nicht so gut, wie wenn wir es als Nation täten.
Deutschlandfunk Kultur: Sie sagen, dass politische Führung durch die US-Gouverneure wichtiger ist als je zuvor. Nicht nur bei der Umweltpolitik. Das gilt auch für Handelsbeziehungen. Aber kann das tatsächlich die schmerzlichen Defizite ausgleichen, die es zurzeit bei den Beziehungen auf der Ebene USA-EU gibt? Die Bundesstaaten mögen eine wichtige Rolle spielen, auch als Allianz - aber sie sind eben doch nur Bundesstaaten.
Phil Murphy: In einer perfekten Welt gäbe es einen Präsidenten, eine Regierung, einen Kongress, die auf nationaler Ebene aufgeklärte Handels- und Investitionspolitik machen würden. So ist es aber nun mal nicht.
Momentan ist es zumindest mit der EU nicht ganz so schlimm, wie ich befürchtet hatte, aber auch nicht so gut, wie es sein sollte.
Was New Jersey angeht – wir können eine Menge anbieten, vor allem bei Technologien, Biowissenschaften, Telekommunikation, besonders in Bezug auf die Start-Up-Kultur und eine gute Infrastruktur. Wenn man zwischen New York und Philadelphia liegt, erklärt sich deren Bedeutung von selbst.
Ausländische Firmen erwirtschaften in New Jersey jährlich um die 9 Milliarden Dollar. Deutsche Unternehmen beschäftigen 25.000 Menschen in New Jersey. Und es werden künftig noch mehr. Auch deshalb bin ich in dieser Woche in Deutschland. Nicht zufällig hat New Jersey gerade eine Europa-Vertretung gezielt in Berlin eröffnet.
Es gibt also durchaus Chancen für uns, auch wenn wir die Politik Washingtons nicht gerade ideal finden.
Deutschlandfunk Kultur: Immerhin scheint es zwischen der EU und den USA im Handelskonflikt momentan eine Art Waffenstillstand zu geben – zumindest bis zu den Kongresswahlen im November. Sind Sie optimistisch, was den Ausgang des Konflikts angeht?
Phil Murphy: Es ist "nur" ein Waffenstillstand – ja, aber ich hatte gedacht, es würde noch viel schlimmer sein. Ich habe Präsident Trump mehrmals getroffen, aber ich würde nicht behaupten, dass ich ihn kenne. Viele Menschen, die ihn besser kennen, würden ungefähr Folgendes sagen: Er ist nicht so tief überzeugt von seinen Sichtweisen bei bestimmten Themen, wie er als Präsident öffentlich immer verkündet. Er ist jemand, der entsprechend der jeweiligen Umstände navigieren wird, denen er sich ausgesetzt sieht. Das heißt, wenn die Demokraten die Mehrheit im Repräsentantenhaus oder/ und im Senat zurückgewinnen, dann werden wir wohl, so wie ich es heute sehe, einen etwas anderen Trump erleben. Und ich würde fast wetten, ohne es wirklich zu wissen, dass sich das unter anderem beim Handel und bei der Handelspolitik zeigen würde.
Deutschlandfunk Kultur: Aber auch da hat Trump ja nicht nur unrecht. Es gibt international unfaire Praktiken.
Phil Murphy: Das stimmt, aber ich würde nicht ausgerechnet mit unserem engsten Verbündeten eine Schlacht anfangen. Ich würde mit denen kämpfen, die die internationalen Regeln unfair für sich auslegen.
Deutschlandfunk Kultur: Wie China – und das macht er.
Phil Murphy: Ja, das stimmt. In der Sache hat er teilweise Recht, aber ich würde es wahrscheinlich anders angehen. Und ich weiß nicht, warum er Deutschland oder die EU in diesen Konflikt mit hineinziehen muss.
Deutschlandfunk Kultur: Der deutsche Außenminister Heiko Maas hat kürzlich gefordert, dass Deutschland und die EU vor dem Hintergrund der aktuellen US-Außenpolitik eine neue Strategie bräuchten. Deutschland und die EU müssten sich emanzipieren, ohne die transatlantischen Beziehungen grundsätzlich in Frage zu stellen. Man müsse mehr Verantwortung übernehmen – vor allem in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Dem kann man doch nur zustimmen. Das hat auch schon Präsident Obama gefordert.
Phil Murphy: Stimmt. Viele US-Präsidenten haben eine faire Beziehung in der gesamten Sicherheits- und Verteidigungs-Konstruktion verlangt. Es gibt dabei jedoch ein wichtiges "Aber": Es gibt einen Weg, das zu erreichen und es gibt einen Weg, es nicht zu erreichen. Wie im Falle Chinas - das wirklich nicht da ist, wo es sein sollte, in Bezug auf internationale Wirtschafts-,Handels- und Währungsfragen – sind das in der Sache richtige Aussagen. Aber der Schlüssel ist die Art und Weise, wie man die Dinge angeht. Im Falle Europas geht es darum, die transatlantischen Beziehungen zu vertiefen und uns zu ergänzen – etwa wie wir unsere Ressourcen, unsere Energie oder unsere Zeit einsetzen.
Deutschlandfunk Kultur: Aber wie weit sollte diese Emanzipation aus ihrer Sicht gehen? Bis zu einem eigenen Europäischen Währungsfond? Einem europäischen Zahlungssystem ähnlich wie Swift? Einer Europäischen Sicherheits- und Verteidigungsunion?
Phil Murphy: Ich richte meinen Blick zu allererst auf New Jersey. Ich befasse mich nicht mehr täglich mit solchen Fragen. Ich will dazu eine Einerseits-Andererseits-Antwort geben. Darin bin ich ausgesprochen gut.
Einerseits: Wie kann man Heiko Maas einen Vorwurf machen für das, was er sagt, wenn man sieht, was den Deutschen und Europäern dieser Tage von Washington aufgetischt wird.
Andererseits wäre es mein größter Wunsch, dass wir wieder eine Vertiefung und Stärkung der transatlantischen Beziehungen erleben. Vielleicht bewegt sich nach den Midterm-Wahlen in drei Wochen tatsächlich etwas in diese Richtung, falls wir eine andere Zusammensetzung im US-Kongress bekommen. Möglicherweise werden wir dann das erleben, was manche, die Trump gut kennen, für möglich halten.
Europäer und Amerika sollten gemeinsam agieren. Wir sind stärker gemeinsam.
Warten wir jetzt erst mal ab, wie die Wahlen im November ausgehen und ob sie einen Einfluss auf die Politik haben werden. Natürlich werden die Neuen erst im Januar im Amt sein.
Ich glaube schon, dass die große Mehrheit der Menschen und der Institutionen um den Wert der transatlantischen Beziehungen weiß. Wir haben zurzeit einige große Herausforderungen. Aber ich bin ehrlich überzeugt, dass das ohne Frage vorübergehend ist. Manche glauben zwar, dass es wohl vorübergeht, dass aber Schaden angerichtet sein wird, der schwer zu reparieren ist. Ich sehe das nicht so. Aber naiv bin ich auch nicht und ich weiß, es ist großer Schaden angerichtet worden.
Trotzdem - wenn man die Wahl hat, aggressiv seinen Weg allein zu gehen, oder Bereiche zu suchen, wo man gemeinsame Interessen hat, würde ich mich immer für letzteres entscheiden. Das heißt nicht, dass man seine Prinzipien aufgibt; das sollte man nie tun. Man sollte niemals, nur um der Gemeinsamkeiten Willen etwas tun, woran man nicht glaubt. Es muss eben eine Kombination aus beidem sein.
Wenn die Demokraten jetzt nicht zumindest das Repräsentantenhaus zurückgewinnen oder keine erhebliche Zahl von Gouverneuren stellen, dann wird die Realität anders aussehen. Dann wird man wohl mehr von dem Trump sehen, wie man ihn kennt. Wenn es sich, aus unserer Sicht, besser entwickelt, werden wir Veränderungen sehen.
Deutschlandfunk Kultur: Haben wir dieses Gespräch eigentlich gerade mit einem potentiellen demokratischen Präsidentschaftskandidaten für 2020 geführt?
Phil Murphy: Ganz bestimmt nicht! Sie haben dieses Gespräch mit dem amtierenden Gouverneur des wundervollen Bundesstaates New Jersey gemacht….
Deutschlandfunk Kultur: … der je vielleicht auch noch mal andere Dinge vorhat.
Phil Murphy: Wenn Sie die Presse in New Jersey lesen könnten, dann wüssten Sie, dass ich dort alle Hände voll zu tun habe. Darauf fokussiere ich mich komplett und exklusiv.
Lassen Sie mich nichtsdestotrotz zum Schluss, als ehemaliger US-Botschafter in diesem wunderbaren Deutschland, als Repräsentant meines Landes, das ich zutiefst liebe, noch mal eines sagen: Unter Präsident Obama waren wir uns immer einig: Je tiefer und je stärker die transatlantischen Beziehungen sind, desto besser für uns auf beiden Seiten des Atlantiks. Selbst wenn wir nicht immer einig sind oder Dinge mal unterschiedlich bewerten. Es gibt immer einen Weg das aufzulösen. Und das hat eine Bedeutung für alle 350 Millionen Amerikaner – ob sie es nun wissen oder nicht.
Und es bedeutet auch mir viel, als politischer Führer eines US-Bundesstaates mit so tiefen Verbindungen mit Deutschland. Letztlich bin ich deswegen hier.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.