Aus den Feuilletons

Das unglückliche Reden vom Krieg

Ein französischer Soldat patroulliert am 23. Dezember 2014 vor dem Eiffelturm in Paris
Ein französischer Soldat patroulliert vor dem Eiffelturm in Paris. © dpa / Etienne Laurent
Von Hans von Trotha · 16.11.2015
Wie viel hat der Islam mit Terror zu tun? Ist "Krieg" der richtige Begriff, um die Anschläge von Paris einzuordnen? Und kann uns die Freiheit schützen? Mit diesen Fragen beschäftigen sich heute die Feuilletons der großen Tageszeitungen.
Der tiefe Schock provoziert offenbar tiefe Gedanken. Viel Reflektiertes zu den Anschlägen in Paris in den Feuilletons. In der WELT schreibt der Schriftsteller Yannick Haenel: "Die Killer von Paris zielten auf eine Freiheit, die Gott entthront hat." Und: "Freiheit – muss daran erinnern werden? – ist genau das, was uns nicht schützen kann."
In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG weist Johan Schloemann auf einen IS-Propagandatext hin, in dem es heißt:
"Mit dem Kalifat des IS sei jetzt 'die Zeit gekommen, noch mehr Zerwürfnis in die Welt zu bringen und allerorten die Grauzone zu zerstören'. Mit diesem ausführlich empfohlenen Zielpunkt ‘Grauzone‘ meinen die anonymen IS-Autoren zum einen die Indifferenz in der ungläubigen Welt, aber auch all das, was sich einem liberalen, friedlichen, reformerischen, ‘europäischen‘ Islam zuordnen lässt. Dass man nicht neutral und unabhängig sein dürfe, ist seit jeher ein klassischer Gedanke des Bürgerkriegs. So gesehen, wäre eine Antwort auf die Morde von Paris, die ihre Drahtzieher am meisten irritieren dürfte, gerade nicht die in diesen Tagen viel beschworene ‘Geschlossenheit‘. Sondern die Ausweitung der Grauzone."
"Die Vorstellung, mit Terroristen Frieden zu schließen, ist abwegig. Aber darum dürfen wir ihnen auch nicht ähnlich werden. Deshalb ist auch die wiederkehrende Rede vom ‘Krieg‘, wo es eigentlich um Verbrechensbekämpfung geht, so unglücklich."
Und Lena Bopp berichtet in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG aus Paris:
"Der Dschihadismus ist nicht nur eine Bedrohung für [die] Sicherheit, er stellt ganz wesentliche Elemente des republikanischen Selbstverständnisses in Frage: die Laizität, den Zentralismus und nicht zuletzt das ewige Dogma der Gleichheit, die, wie alle wissen, für manche mehr gilt, aber für andere weniger."
"Muslime in aller Welt sind entsetzt darüber, was in ihrem Namen passiert. Aber sie tun nicht wirklich etwas, um ihren Glauben von der politischen Ideologie zu befreien. Weil der Islam alles sein kann, ist er das, was in seinem Namen geschieht. An ihren Taten sollt ihr sie erkennen. Anders gesagt: Der Islam ist, was er ist, und nicht das, was man über ihn sagt oder sich von ihm erträumt."
Deutlicher – und deutlich polemischer - begehrt Deniz Yücel in der WELT auf:
"Noch immer kann man sich nach jedem Blutbad, das Dschihadisten in Europa oder Nordamerika anrichten, auf das apologetische Gerede verlassen: Der Terror hat nichts mit dem Islam zu tun, der Islam ist eine Religion des Friedens, örötörötö. Doch ein anderer Chor ist inzwischen schneller: nämlich jener, der diese Reaktion vorhersagt, mit triumphierender Geste, ja mit Schadenfreude. Ha, gleich wird wieder jemand sagen, dass – örötörötö! Zwei Seiten derselben elendigen Debatte. Dabei unterliegen beide demselben Irrtum: der Annahme nämlich, dass es den wahren Islam gäbe. Den gibt es nicht. Jedes Glaubens- und Weltanschauungssystem ist die Summe dessen, was seine Anhänger denken und tun."
Viel ist bei alledem von Werten die Rede. Eine wichtige Intervention kommt von Doris Akrap in der tageszeitung:
"Werte, Wurst, Weltkrieg. Werte, Wurst, Weltkrieg. Werte, Wurst, Weltkrieg. Jedes Wort wird leer, wenn man es nur einige Male hintereinander sagt. Und man beginnt zu fragen: Gehört zu unseren Werten auch die Hoffnung, der Anschlag von Paris möge der Diskussion über muslimische Jugendliche eine ‚frische Richtung‘ geben (Matussek)? Gehört zu unseren Werten auch der Wille, Kanzler zu werden und dafür über Leichen zu gehen‘ (Söder)?"
Akrap setzt dagegen:
"Was ich weiß, ist, dass es Leute wie Zouheir gibt. Zouheir heißt der Mann, der verhinderte, dass es im Stade de France zu einem Blutbad gekommen ist. Zouheir heißt der Mann, der den Wert vertritt, dass jemand mit Bombengürtel kein Fußballstadion betreten darf. Zouheir ist nach allem, was wir wissen, Angestellter einer Sicherheitsfirma und muslimischen Glaubens. Ich warte darauf, dass sich die Söders, Matusseks und all die anderen Knalltüten bei Zouheir dafür bedanken, dass er seine Werte verteidigt hat."
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