US-Demografie

Die Generation 70+ hat zu viel Macht

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Eine ältere Frau, die einen Hut des US-Marinekorps trägt, streckt den Daumen hoch, als sie mit ihrem Motorrad an einer Parade zum Veteranentag in Santa Fe, New Mexico, teilnimmt.
Viele ältere Amerikaner, wie hier beim Veteranentag in Santa Fee, sind konservativer, weißer und reicher als die jungen. © Getty Images / Robert Alexander
Ein Kommentar von Max Paul Friedman · 12.05.2020
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US-Präsident Donald Trump ist 73 und will im November wiedergewählt werden. Der 77-jährige Joe Biden tritt als Gegenkandidat an. Die Macht der Alten gehe zu Lasten der Jungen, kritisiert der amerikanische Historiker Max Paul Friedman.
Das Alter eines Menschen taucht in keinem amerikanischen Lebenslauf auf. In Bewerbungsgesprächen darf ein Chef niemals fragen: Wie alt sind sie eigentlich? Der Grund: Seit 1967 ist es in den USA per Gesetz verboten, das Alter bei der Beschäftigung zu berücksichtigen. Offiziell gibt es Altersdiskriminierung in den USA also nicht, aber sie durchflutet die Populärkultur.

Schönheitsoperationen befördern Karriere von Älteren

Wenn ältere Schauspieler im Fernsehen auftreten, werden sie entweder bemitleidet und verspottet, oder sie sind die sogenannten "jungen Alten", jene dynamischen, sonnengebräunten Wesen, die immer perfekt gepflegt Tennis spielen und neue Romanzen finden. Botox und Schönheitschirurgie sind Voraussetzungen für die Karriere, denn nur dann werden vor allem Politiker von der Öffentlichkeit ernst genommen. Wir sehen nicht die sogenannten "alten Alten". Das schönste Kompliment an eine ältere Person in Amerika: Das Alter sieht man ihnen gar nicht an.

Vor New Deal Politik hungerten viele US-Senioren

Im 20. Jahrhundert entstand die Jugendkultur, mit der die USA dank Hollywood, Coca-Cola und Rock'n'Roll große Teile der Welt ansteckten. Zeitgleich verbesserte die Regierung das Leben der Senioren: Durch Roosevelts New Deal gab es erstmals Sozialversicherungen, und staatlich geförderte Rentenzahlungen. Circa 30 Jahre später bekamen alle Menschen über 65 Medicare, eine staatliche Krankenversicherung. Diese größten und erfolgreichsten Sozialprogramme der amerikanischen Geschichte, führten dazu, dass das Älterwerden in den USA nicht mehr hungern und krank sein ohne Behandlung bedeutete.

Altaussehende Senioren werden diskriminiert

Ein Drittel der US-Bevölkerung ist über 50 Jahre alt, aber Werbeagenturen ignorieren sie: Sie erscheinen nur in 15 Prozent der Medienbilder – obwohl sie mehr Kaufkraft besitzen als junge Zuschauer. Einige Modehäuser versuchten eine Kampagne nach dem Motto "Alt ist das neue jung". Joni Mitchell posierte für Yves Saint Laurent und Cher für Marc Jacobs. Aber sie sind wieder die "jungen Alten", nicht die "alten Alten". Sie werden immer noch übersehen oder lächerlich gemacht. Auch Popkönigin Madonna – 61 Jahre – behauptet: Altersdiskriminierung sei das letzte salonfähige Vorurteil.

Jugend kritisiert politische Macht der älteren Generation

In dem Generationskonflikt von heute geht es aber auch um politische Macht. Der Ausdruck "OK, Boomer", der mittlerweile auf Handyhüllen und T-Shirts erscheint, ist die Kritik der Jugend an den nach dem Zweiten Weltkrieg geborenen "Baby Boomern". "OK, Boomer" ist eine Abkürzung, die zwischen Progressiven und Gestrigen unterscheiden soll. Ältere Amerikaner sind in der Tat konservativer, weißer und reicher als die jungen. Es sind ihre Stimmen, die uns eine politische Führung gebracht haben, die älter als das Politbüro ist, eine Gerontokratie, die fortschrittlicher Politik in Bezug auf Wirtschaft, Gesundheitssystem, Einwanderung, Waffengewalt und Umwelt im Wege steht.
Junge Menschen meinen: Ihr habt gerade die ganze Welt geschlossen, um alte Menschen in ihren Pflegeheimen von einem Virus zu retten. Könntet Ihr jetzt nicht wenigstens etwas Ernstes unternehmen, um den Planeten zu retten, den wir erben werden, wenn Ihr weg seid? Wahre Schönheit kommt von innen. Von daher wäre vielleicht der beste Weg für die ältere Generation, ihr Image bei den Jungen aufzubessern, und gemeinsam die Probleme der Zukunft anzugehen.

Max Paul Friedman ist Geschichtsprofessor an der American University in Washington. Im Januar erhielt er den Friedrich-Wilhelm-Bessel-Forschungspreis der Alexander von Humboldt-Stiftung. Derzeit forscht er als Gast am Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin. Sein bekanntestes Buch "Rethinking Anti-Americanism" erschien bei Cambridge University Press.

Der Historiker Max Paul Friedman
© American University / Jeff Watts
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