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Schulen in NRW
Landesrechnungshof rügt Unterrichtsausfall

Mogelei, geschönte Zahlen, Unterrichtsausfall durch die Hintertür. Die Bildungsministerin in NRW muss sich schwere Vorwürfe anhören, denn der Landesrechnungshof stellte fest: In den Schulen des Landes fällt mehr Unterricht aus als bisher angenommen, weil sie nicht als Fehlstunden deklariert wurden.

Von Hilde Braun | 18.08.2015
    Die Schüler laufen am 08.06.2015 durch das Foyer der Gesamtschule Barmen in Wuppertal (Nordrhein-Westfalen). Die Schule ist Preisträgerin des Deutschen Schulpreises 2015. Foto: Marius Becker/dpa (zu dpa-KORR.: "Das Geheimnis von Deutschlands bester Schule 2015: Respekt" vom 10.06.2015)
    Offenbar fällt in NRW mehr Unterricht aus als bislang angenommen. (dpa / picture alliance / Marius Becker)
    Die Stimmung in NRW ist aufgeheizt, seit die Zahlen des Landesrechnungshofes auf dem Tisch liegen. Schwarz auf Weiß zeigen sie, dass an Nordrhein-Westfalens Schulen deutlich mehr Unterricht ausfällt als angenommen. Vorgeschriebene Stunden werden nicht im Stundenplan eingeplant, weil sie - meist durch einen Mangel an Fachlehrern - gar nicht erteilt werden können.
    Brigitte Mandt ist Präsidentin des Landesrechnungshofes und spricht deutliche Worte:
    "Ganz deutlich sind es zu viele, es kann nicht angehen, dass ein Großteil der Schulen die Vorgaben nicht erreicht, wir reden hier von 67 Prozent der Gymnasien und 76 Prozent der Realschulen, das ist eindeutig zu viel!"
    Für den Jahresbericht des Landesrechnungshofes wurden die Stundenpläne aller 508 öffentlichen Gymnasien und 507 Realschulen über einen Zeitraum von sechs Jahren überprüft. Das Ergebnis sind massive Unterrichtslücken, die bei Lehrern und Eltern auf heftige Kritik stoßen. Eberhard Kwiatowski ist Vorsitzender der Landeseltern-Konferenz NRW.
    "Wir stellen fest, dass teilweise jahrgangsweise Fachunterricht nicht gegeben wird, Physik ist für mich immer so der Klassiker und dass ist für uns ein unhaltbarer Zustand und der Landesrechnungshof gibt hier der Landesregierung die rote Karte: Hier muss etwas getan werden!"
    Schulministerium in der Defensive
    Das NRW Schulministerium gerät also zunehmend unter Druck. In einer schriftlichen Stellungnahme verbittet es sich aber vorschnelle oder einseitige Schuldzuweisungen. Und verweist darauf, dass die Zahlen des Landesrechnungshofes zunächst einer genauen Analyse und Bewertung bedürfen, und dem Problem nicht kurzfristig begegnet werden könne.
    Peter Silbernagel ist Vorsitzender des Philologenverbandes NRW, der die Interessen von Lehrerinnen und Lehrern vertritt.
    "Also bei den Anliegen von Schülern und Schülerinnen von einer Langfristigkeit zu sprechen, klingt fast zynisch weil Schülern und Schülerinnen haben ja nur einmal in ihrem Leben eine Bildungslaufbahn zu durchlaufen und wenn sie beispielsweise in der Mittelstufe, 7./8. Klasse bestimmte Angebote nicht erhalten, dann sind die nicht nachzuholen."
    Als strukturellen Unterrichtsausfall bezeichnet der Philologenverband die von vornherein nicht eingeplanten Stunden. Der Verband fordert nicht nur, etwas gegen den Fachkräftemangel zu unternehmen, sondern auch endlich über andere Lösungsmöglichkeiten nachzudenken, wie zum Beispiel, pensionierte Lehrer zurück an die Schulen zu holen, oder Fachkräfte aus der Wirtschaft einzusetzen. Und er plädiert für eine bessere Zusammenarbeit von Schul- und Wissenschaftsministerium. Damit spricht er auch Elternverbänden aus dem Mund. Der Landeseltern-Verband in NRW für das Gymnasium fordert eine 105 prozentige Versorgung von Lehrern an den Schulen, damit beispielsweise kranke Lehrer sofort ersetzt werden können. Vorsitzender Ulrich Czygan spricht von einem Zahlentrick des Ministeriums, denn:
    "Unterrichtsausfall ist eben auch, wenn Matheunterricht vom Kunstlehrer vertreten wird, das soll nichts gegen das Fach Kunst sein, nur wenn die Kinder statt 21 Mal Mathe – 21 Mal Kunstunterricht haben, dann können die vielleicht ganz tolle Bilder malen, erreichen ihr Klassenziel aber nicht."
    Lehrerverband sieht grundlegende Probleme
    Eine schulübergreifende Software könnte dabei helfen, Unterrichtsausfall punktgenau zu dokumentieren, so wie sie in anderen Bundesländern längst der Fall ist, hier aber nur bei jeder dritten Schule. Fakt ist: Die Schüler leiden unter der Misere und – der Unterrichtsausfall ist, so vermutet Peter Silbernagel, der Beginn eines gesamtgesellschaftlichen Problems:
    "Im Bereich des fachspezifischen Mangels gibt es dieses Problem schon seit längerer Zeit, sodass man darauf eigentlich sich seit vielen Jahren hätte einstellen können und auch müssen, dass in Latein, Musik, insbesondere auch in den Naturwissenschaften wie Mathematik und Physik eben Engpässe auftreten können, aber man verlässt sich hier auf die Kräfte des Marktes und appelliert, dass junge Menschen diese Fächer studieren. Wenn die in den Schulen aber nicht angeboten werden, fehlt auch die Verlockung, diese Fächer dann in einem Studium anzugehen."