Urteil zur Sterbehilfe

Das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen wird gestärkt

11:07 Minuten
Zwei Hände liegen auf einer Tischkante tröstend aufeinander.
Politik muss nun die Gesetze anpassen: Menschen, die Sterbehilfe in Anspruch nehmen wollen, müssen über ihre Rechte aufgeklärt werden. © picture alliance / dpa / Jens Büttner
Jochen Vollmann im Gespräch mit Axel Rahmlow · 26.02.2020
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Das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe verstößt gegen das Grundgesetz, urteilte das Verfassungsgericht in Karlsruhe. Das heißt, es gibt ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Medizinethiker Jochen Vollmann von der Uni Bochum begrüßt das Urteil.
"Ich bin sowohl als Bürger als auch als Professor für Medizinethik über dieses Urteil sehr glücklich", sagt Jochen Vollmann, Leiter des Instituts für Medizinische Ethik und Geschichte der Medizin an der Ruhr-Universität Bochum, über das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Dieses bedeutet für die Politik: Der Strafrechtsparagraf 217 muss geändert werden.

Eindeutige Worte vom Gericht

2015 wollte eine Mehrheit der Abgeordneten im Bundestag der Arbeit von Sterbehilfevereinen damit entgegentreten. Seitdem war die geschäftsmäßige Beihilfe verboten. Geschäftsmäßig bedeutet hier nicht, dass damit Geld verdient wird, sondern dass sie wiederholt angeboten wird.
Das Gericht habe klare Worte gefunden: "Es geht hier nicht um ein oberflächliches Shopping von irgendwelchen Konsumangeboten, sondern es geht um die einzelne Selbstbestimmung des Bürgers. Die ist ernst zu nehmen; die ist aber auch zu fördern, zum Beispiel durch eine Information und Aufklärung, die ohne Zeitdruck stattfindet", so Vollmann.

Kritiker warnen vor Missbrauch

Kritiker der Sterbehilfe warnen, dass damit die Selbsttötung zur selbstverständlichen Therapieoption werden könnte. Die Entscheidung des Gerichts erhöhe den Druck auf einsame, alte und schwache Menschen, Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen, um nicht zur Last zu fallen.
Dieser Kritik widerspricht Vollmann: Es gebe "in all den Ländern, wo wir Daten und Erfahrungen haben" keinen Hinweis auf Missbrauch, so der Professor für Medizinethik.
"Das heißt, wenn man vor Entwicklungen warnt, dann muss man auch Substanz und Grundlage haben und nicht eine allgemeine Warnung aussprechen, nur weil es gegen die eigene moralische Überzeugung geht, die man anderen aufzwingen möchte." Die Stimmen gegen ärztlich attestierte Sterbehilfe wollten aus "politisch und ideologischen" Gründen nicht, dass der Patient eine emanzipierte, selbstbestimmte Entscheidung treffe.

Situation von Patienten verbessern

Um die derzeitige Situation von betroffenen Patienten und Patientinnen zu verbessern, müsse nun unter anderem das Betäubungsmittelgesetz so geändert werden, dass Ärzte und Ärztinnen auch eine todbringende Substanz verschreiben dürften, rät Vollmann. Auch Reglungen in ärztlichen Berufsordnungen, die ärztlich attestierte Selbsttötung den Ärzten verböten, müssten angepassten werden.
(nho)
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