Urteil im Auschwitz-Verfahren vor 50 Jahren

Das Ringen um innere Distanz

Der Angeklagte Oswald Kaduk wird von drei Polizisten in einen Gerichtssaal geführt.
Seit Dezember 1963 wurde im Plenarsaal der Stadtverordnetenversammlung in Frankfurt am Main der erste Auschwitz-Prozess verhandelt. Zum Auftakt wurde einer der Angeklagten Oswald Kaduk in den Gerichtssaal geführt. © picture alliance / dpa / dpa team
Gerhard Wiese im Gespräch mit Nana Brink  · 19.08.2015
Vor 50 Jahren ging in Frankfurt am Main der erste Auschwitz-Prozess zu Ende. Gerhard Wiese war damals einer der drei Staatsanwälte und erinnert sich heute daran, wie er als 34-Jähriger zunächst eine professionelle innere Distanz finden musste.
Der erste Auschwitz-Prozess war das erste große Verfahren, bei dem sich frühere NS-Täter vor einem deutschen Gericht verantworten mussten. Sie wurden beschuldigt, "heimtückisch und grausam" getötet oder "wissentlich Hilfe geleistet zu haben". Mehr als 350 Zeugen schilderten die Gräueltaten, berichteten von den Selektionen an der Rampe, den Gaskammern, von Folter und Erschießungen im Vernichtungslager. Geprägt und initiiert wurde das Verfahren maßgeblich durch den hessischen Generalstaatanwalt Fritz Bauer (1903–1968). Am 19. und 20. August 1965 wurden die Urteile verkündet.
Strafverfahren der besonderen Art
"Wenn man zum ersten Mal, die ersten Tage das nur liest, ist man natürlich innerlich sehr bewegt", sagte der damalige Staatsanwalt Gerhard Wiese im Deutschlandradio Kultur über seine Erfahrungen, als er damals die Anklageschrift mit verfasste. "Aber man muss auf eine innere Distanz gehen zu diesen Dingen", sagte er. Es sei nicht möglich, über lange Zeit Mord und Totschlag so nah an sich herankommen zu lassen. Wiese verglich die Situation mit der eines Arztes, der auch nicht jeden Patienten in die Arme nehmen könne, sondern eine gewisse Distanz wahre. "So haben wir die Dinge auch gemeistert", sagte er. Das habe einige Wochen gedauert und sei dann zum Alltag seines damaligen Arbeitslebens als Staatsanwalt geworden.
Es habe sich bei dem Auschwitzverfahren zwar um ein Strafverfahren besonderer Art gehandelt, aber seine Sicht auf seine Arbeit als Staatsanwalt habe sich nicht grundlegend verändert, sagte Wiese.
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