Urteil gegen Radovan Karadzic

Ein Zeichen gegen das Vergessen

Der Bosnische Serbenführer Radovan Karadzic vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal im Gerichtssaal im Den Haag
Der bosnische Serbenführer Radovan Karadzic zeigte sich schockiert über das Urteil des UN-Kriegsverbrechertribunals in Den Haag. © AFP / Michael Kooren
Von Gerwald Herter · 24.03.2016
Das Urteil des Kriegsverbrechertribunals in Den Haag gegen Radovan Karadzic komme mehr als zwei Jahrzehnte nach dem Massaker von Srebrenica zwar spät, aber nicht zu spät, kommentiert Gerwald Herter. Es sei auch heute noch ein wichtiges Zeichen für die Überlebenden und die Familien der Opfer und gegen das Vergessen.
Das Urteil gegen Radovan Karadzic kommt spät, aber doch nicht zu spät. Selbst mehr als zwei Jahrzehnte nach dem Massaker von Srebrenica und dem Ende des Kriegs in Bosnien hat es immer noch seinen eigenen unersetzlichen Wert: Zunächst für Karadzic selbst, denn sogar er dürfte nun ahnen, dass er schuldig ist, obwohl er in Berufung gehen wird.
Viel wichtiger aber ist dieses Urteil für die Familien seiner Opfer und jene, die trotz allem überlebt haben – die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, den organisierten Völkermord. Auch wenn diese Begriffe aus dem Urteilstext juristisch betrachtet ebenso wuchtig wirken wie das Strafmaß von 40 Jahren: Man muss wohl auf die Verhandlung, vor allem die Zeugenaussagen zurückblicken, um zu begreifen, um was es tatsächlich ging.
Da war der anonyme Zeuge, der den Völkermord von Srebrenica wie durch ein Wunder überlebte. In irgendeinem Gebäude blieb er unter Leichenbergen liegen, weil die Mörder ihn vergessen oder ihre Schüsse ihn verfehlt hatten. Tagelang schleppte er sich durch die Wälder bis er bosnisches Gebiet erreichte.
Karadzic konnte jahrelang unbehelligt in Belgrad leben
Da sind die anderen Männer und Frauen aus den Enklaven, die jahrelang terrorisiert wurden - nicht allein in Srebrenica und in Sarajevo. Bosnisch-serbische Truppen versuchten, diese Menschen auszuhungern. Kinder, Frauen, Alte wurden immer wieder wahllos beschossen. Radovan Karadzic ging es darum, Muslime überall dort zu terrorisieren, wo aus seiner Sicht großserbisches Gebiet sein sollte. Kein Moslem sollte dort jemals wieder leben.
Zumindest am Ende stand der Versuch des Völkermords in Srebrenica. Wie sollte man es sonst bezeichnen, wenn eine Handvoll Männer den Befehl erhält, hunderte Unschuldige zu erschießen - solange bis selbst den Mördern schlecht wird und die Dunkelheit hereinbricht, ohne dass sie ihre barbarischen Taten hätten zu Ende führen können?
Dass dieses Urteil so spät gesprochen wurde, liegt vor allem daran, dass Radovan Karadzic jahrelang unbehelligt in Belgrad leben konnte. Als die serbische Regierung den Moment und die Umstände für günstig hielt, nutzte ihm dann auch seine neue Existenz als Dr. Babic nichts. Es stimmt, die Vorsicht, die juristische Präzision mit der hier verhandelt und geurteilt wurde, wirkt seltsam, wenn man weiß, wie viele der Verbrechen aus den Balkankriegen niemals gesühnt werden dürften.
Karadzic hätte seine Taten bekennen können
Aber das Haager Tribunal hat ein Zeichen gesetzt – gegen das Vergessen, für die Menschen, die in Srebrenica oder Sarajevo auch heute noch auf andere treffen, die ihnen seltsam bekannt vorkommen, aus früheren Zeiten: Polizisten, Soldaten, ganz normale Jugoslawen, die im Sinne der großserbischen Sache zu Folterknechten und Mördern wurden.
Radovan Karadzic stand an ihrer Spitze. Er hätte in Den Haag die Möglichkeit gehabt, sich zu seinen Taten zu bekennen, sie zu gestehen. Stattdessen gab er sich über das Urteil schockiert. Dabei hätte Karadzic seiner geliebten serbischen Heimat damit endlich einen Dienst erwiesen.
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