Urlaub in der Hölle

07.10.2008
Krystian Woznicki widmet sich in "Abschalten" dem Tourismus im Zeitalter der Globalisierung. Akribisch weist der Autor nach, dass sich an "Sehnsuchtsorten" wie der Khaosan Road Bangkok militärische, wirtschaftspolitische und kulturelle Interessen überlagern. Der Tourist der Zukunft werde zwischen Bombenkratern und Militärbordellen Weite und Stille finden.
Urlaubsparadiese werden nicht entdeckt, sie werden gemacht. Das ist der Ausgangspunkt von Krystian Woznickis Essay "Abschalten". Mit der Khaosan Road in Bangkok besucht er gleich zu Beginn einen legendären Backpacker-Treffpunkt, dessen Geschichte überraschenderweise eng mit dem Vietnamkrieg verbunden ist.

Thailand war damals Bündnispartner der USA und hatte im Gegenzug kräftige Finanzspritzen erhalten. Das Land erlebte einen wirtschaftlichen Aufschwung, und gleichzeitig entstand durch die G.I.s eine touristische Infrastruktur. Nach den Soldaten kamen die Hippies, die in den billigen Hotels der Khaosan Road ihr Basislager einrichteten, mit eiskaltem Singha-Bier und Drogen zum Einkaufspreis: Der Krieg hatte die Tür zum Paradies geöffnet.

Akribisch weist Woznicki nach, dass sich an "Sehnsuchtsorten" wie der Khaosan Road militärische, wirtschaftspolitische und kulturelle Interessen überlagern. So hatten die sogenannten Individualtouristen, die in den Achtzigern mit Traveler Checks und Kreditkarten nach Asien kamen, zum Beispiel immer den "Lonely Planet" im Gepäck.

Der extrem erfolgreiche Reiseführer erscheint in dem gleichnamigen Verlag, den die Rucksack-Reisende Maureen Wheeler 1973 nach ihrer ersten Asienreise gegründet hatte und mit dem der Ausverkauf der "Hippiestraßen" zwischen Bangkok und Bombay an den Mainstream begann. Von diesem Prozess hat auch Hollywood profitiert. Mit dem Film "The Beach" wurde der Untergang der Khaosan Road in den Fluten des Massentourismus zum Kassenschlager.

Einige der Orte in "Abschalten" hat Krystian Wozniki selbst bereist. Ansonsten arbeitet sich der Publizist, der im Netz mit der "Berliner Gazette" ein "digitales Feuilleton" betreibt, zeitgemäß an den medialen Oberflächen ab. Er zitiert Filme, Websites und Werbebroschüren, um anhand dieses Materials zu zeigen, wie die touristischen Paradiese im 20. Jahrhundert zur Hölle wurden.

Hier hat Hollywood ebenfalls kräftig mitgeholfen: Unter anderem führte der Erfolg des Films "Die Brücke am River Kwai" dazu, dass der im Nordwesten Thailands gelegene Schauplatz des Kriegsdramas zu einer trostlosen Touristenfalle geworden ist, in der die Besucher unaufhörlich mit dem lärmenden Militärmarsch des Soundtracks terrorisiert werden.

Doch auch die Hölle kann anziehend wirken. Nachdem die Traumstrände und andere Paradiese im 21. Jahrhundert durch Billig-Airlines und Ballermann-Angebote an Attraktivität verloren haben, liegt jetzt "dark tourism" schwer im Trend: Gefahrensucher aus aller Herren Länder erkunden Bürgerkriegsgebiete auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion oder starten mit dem Motorrad zu einer riskanten Tour durchs Grenzland zwischen Kolumbien und Panama.

Das ist die teuflische Dialektik des Reisens im Zeitalter der Globalisierung - eine Überlegung, auf die der verspielte Kulturkritiker Woznicki trotz zahlreicher Exkurse und assoziativer Hyperlinks immer wieder zurückkommt: In einer Welt, die McDonalds, Google Maps und Easy Jet lückenlos erschlossen und entzaubert haben, werden internationale Krisenherde zu begehrten Reisezielen.

Doch wie geht es weiter? Wenn auch die letzten Bastionen fallen und Neckermann Pauschalreisen nach Bagdad und Pjöngjang anbietet, meint Woznicki in einem versöhnlichen und zugleich etwas verstörenden Ausblick am Ende seines Buches, wird ein neuer Typ des Reisenden entstehen und neue Form des Paradieses. Der "desillusionierte Tourist" findet zwischen Bombenkratern und Militärbordells, Shopping-Malls und künstlichen Palmenlandschaften das, "was einst nur die vermeintlich unberührte Natur versprach", nämlich: "Weite und Stille".

Rezensiert von Kolja Mensing

Krystian Woznicki: Abschalten. Paradiesproduktion, Massentourismus und Globalisierung
Kadmos, Berlin 2008
231 Seiten, 19,90 Euro