Urheberrechtsreform

Warum der Protest nicht vergeblich war

07:14 Minuten
Demo-Teilnehmer gegen die Reform des Urheberrechts beim Protest gegen Art. 13 in Berlin
Auf Politisierung statt Politikverdrossenheit bei den Demonstranten hoffen Kritiker der Urheberrechtsreform nach der verlorenen Abstimmung. © imago images / Christian Mang
Von Dennis Kogel · 30.03.2019
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Die Urheberrechtsreform wurde diese Woche im EU-Parlament beschlossen – inklusive der umstrittenen Artikel 11 und 13 und trotz der Proteste von Tausenden von Menschen. Die Kritiker sind geschlagen. Doch sie sehen auch Chancen in dieser Niederlage.
Es ist der 23. Februar 2019, Köln, einen Monat vor der Abstimmung um die Urheberrechtsreform im EU-Parlament. Vor tausenden, größtenteils jungen Menschen steht Thomas Hackner auf einer Bühne und brüllt an: gegen Artikel 13, einen Teil der EU-Urheberrechtsreform. Hackner ist YouTuber, als HerrNewstime spricht er über alles, was die deutsche YouTube-Szene bewegt. Wütend ist er dabei nie. Doch die Reform könnte YouTube in Deutschland verändern – und dagegen will er kämpfen, so gut es geht.
Und in diesem Moment wirkt es, als wären die Demos, die gleichzeitig in vielen anderen deutschen Städten stattfinden oder geplant werden so laut, so wütend, so dringlich, dass sie in Brüssel gehört werden müssen. Am 26. März wird klar: Sie waren nicht genug.
"Das ist ein schwarzer Tag für das Internet, das Europaparlament hat der Einigung zum Urheberrecht zugestimmt und zwar mit Artikel 11 und 13. Es war aber denkbar knapp."
Julia Reda, die Politikerin, die den Kampf gegen die Reform angeführt hat, verkündet das Ergebnis in einem Video auf Twitter. Herr Newstime, Thomas Hackner, erfährt die Nachricht kurz vorher.
"Man will es erst nicht wahrhaben. Dann hat ein Schock eingesetzt. Ich war da zu dem Zeitpunkt in einem Livestream wo ich das mit meinen Zuschauern verfolgt habe."

Nach der Abstimmung: Gefühl der Fassungslosigkeit

Mit 20.000 Zuschauern schaut Hackner die Abstimmung. Dann bricht der Livestream der EU zusammen. So ein großes Interesse war wohl nicht erwartet worden. Dann: Ein Anruf. Am Telefon ist der SPD-Abgeordnete Ismail Ertug. Er informiert den YouTuber über das Ergebnis.
"Eine Nachricht, die nicht nur ich mit Schock entgegengenommen habe, sondern auch die Resonanz meiner Zuschauer, die im Chat fleißig geschrieben haben, die waren auch schockiert."
Der Live-Chat rast, ist voller Wut und Schuldzuweisungen.
"Du hattest alles von #niewiedercdu bis #RIPInternet, alles."
Vor allem aber herrscht ein Gefühl: Fassungslosigkeit.
"Wir sind ja auf die Straßen gegangen. Wir waren mit 200.000 Menschen letzten Samstag europaweit draußen und haben lautstark und inhaltsstark demonstriert. Aber dennoch im wesentlichen die Abgeordneten von der CDU wollten es nicht hören, man hat es so beim Abstimmungsverhalten gesehen."
Und diese Fassungslosigkeit birgt eine Gefahr.

Vertrauen in die EU könnte insgesamt verloren gehen

"Es geht hier also eigentlich darum, dass eine Generation ein Vertrauen verloren hat, dass erkennbar falsch, auch erkennbar propagandistisch argumentiert ist von der Politik … und die Leute langsam anfangen zu zweifeln, ob es nicht in anderen Bereichen ähnlich ist."
Sacha Lobo ist Kolumnist beim Spiegel und Netzexperte. Lobos größte Sorge gilt jetzt der Europäischen Union. Er selbst würde das Projekt nicht anzweifeln, auch nach der Urheberrechtsreform.
"Leider scheinen das junge Menschen anders zu sehen. Und darin sehe ich eine Gefahr, der man jetzt sehr schnell, sehr präzise entgegenwirken muss. Ja, es ist doof gelaufen, das bestreite ich in keiner Sekunde, aber wir müssen versuchen, das von der Stimmung nicht auf die ganze Idee der EU übergreifen zu lassen."
Doch das ist eine Herausforderung, wenn man sich die Nachrichtenlage anschaut.
"Und inzwischen deutet auch einiges hin, dass hinter Artikel 13 bzw. der Verabschiedung deutlich mehr stecken könnte."
Laut der Frankfurter Allgemeinen Zeitung könnte hinter der Abstimmung ein Kuhhandel mit Frankreich um eine Gas-Pipeline stecken. Ein Vorwurf, der von Peter Altmaier, Bundesminister für Wirtschaft und Energie, dementiert wird.
Auf Twitter kursieren unterdessen Gerüchte, dass Parlamentarier falsch abgestimmt haben sollen, als es darum ging, ob bestimmte Teile der Reform abgeändert werden sollen. Sie hätten einfach die Frage nicht verstanden. Kompetenz strahlt das nicht aus. Und dann verliert die Bewegung ihre wichtigste Unterstützerin.
"Denn ich werde die Piraten zur Europawahl nicht wählen, tatsächlich bin ich heute aus der Piratenpartei ausgetreten…"
Reda wolle nicht in einer Partei sein, die mit Gilles Bordelais einen Politiker aufstelle, der Mitarbeiterinnen sexuell belästigt habe. Nicht nur ein schwarzer Tag für das Internet, eine schwarze Woche… Hat sie eine ganze Generation politikverdrossen gemacht? Im Gegenteil, glaubt Hackner.
"Die befassen sich mit dem Thema, die machen sich Gedanken darum, die sind politisiert worden durch dieses Thema. Die meisten, die auf diese Demonstrationen gegangen sind, die waren vorher nie auf einer Demonstration."

Politisierung statt Verdrossenheit

Hackner will den Kampf nicht aufgeben und bei seinen Followern, die ihn in Köln schreien sahen, sieht er einen ähnlich Effekt. Genau darauf setzt auch Lobo. Nicht auf Verdrossenheit, sondern auf Politisierung. Auf eine Generation, die hier gemerkt hat, dass sie kämpfen muss.
"Dafür kann es taugen. Wir haben ja eine Reihe von solchen Aktivitäten, Fridays for Future zum Beispiel, dass da eine Klimajugend entstanden ist und wenn noch eine Netzjugend oder Digitalgesellschaftsjugend entsteht, dann kann das was Positives haben."
Und das ist gar nicht so unwahrscheinlich. Protestforscher Simon Teune sagt, dass wenn die Demos aufhören, der Protest weitergehen kann. Demotivation, Verdrossenheit ist nur eine Möglichkeit. Niederlagen können politische Bewegungen auch stärker machen.
"Und die andere Möglichkeit ist, dass sie den Protest auf eine neue Ebene heben, dass sie radikaler werden, dass sie grundsätzlicher in Frage stellen wie Demokratie funktioniert, also nicht mehr Demonstrationen organisieren sondern zivilen Ungehorsam zum Beispiel."
Das vorläufige Ende der EU-Debatte um die Urheberrechtsreform könnte also der Anfang einer jungen Bewegung sein, deren mögliche Auswirkungen noch völlig unklar sind.
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