Uraltes, aktuelles Theater

Von Ulrich Fischer · 05.12.2009
Mit seiner Inszenierung von "Ödipus,Tyrann" fordert Regisseur Dimiter Gotscheff sein Publikum: Unterhaltung wird nicht geboten, Konzentration verlangt. Das Thalia in Hamburg hat eine anstrengende Inszenierung im Repertoire, großes, schweres, uraltes und gleichzeitig ganz aktuelles Theater.
"König Ödipus" gilt als unübertroffenes Meisterwerk von Sophokles. Die Tragödie, wahrscheinlich um 420 vor Christus entstanden, gehört zum festen Bestand der europäischen Theatergeschichte. Jetzt wurde sie wieder aufgeführt - Dimiter Gotscheff führte Regie. Gotscheff ist ein Kenner des Werks Müllers. Nicht zuletzt deshalb wohl hat der bulgarische Regisseur dessen Bearbeitung von "Ödipus" seiner Inszenierung zu Grunde gelegt. Müller selbst stützt sich auf die Übersetzung Friedrich Hölderlins - die Fassung betont, wie fern uns der Text ist, räumlich, vor allem aber zeitlich.

Bernd Grawert hat die Titelrolle übernommen. Er spielt mit starkem Körpereinsatz, abseits aller psychologischen Einfühlung, realistisch, im Sinn von epischem Theater. Der Mime macht deutlich, dass Ödipus' Tragik in einem unaufhebbaren Widerspruch besteht:

Um handeln zu können, muss Ödipus seine Situation zuvor zutreffend analysieren. Doch gerade das kann er nie - er irrt, ist in einem Verblendungszusammenhang befangen. Geht er aber davon aus, dass er nichts wissen kann, so vermag er nicht einzugreifen. Eingegriffen aber hat er, niemand sollte vergessen, dass er es war, der die Sphinx gestürzt hat, die Theben über Jahre Tod und Verderben gebracht hatte.

Wer handelt, macht sich schuldig. Wer nicht handelt, auch. Heiner Müllers Deutung, die Gotscheff und sein engagiert spielendes Ensemble auf die Bühne schaufeln, lotet diesen unlösbaren Widerspruch in seiner tragischen Tiefe eindrucksvoll aus. Im gleichen Maß wie Ödipus' argen Weg der Erkenntnis betont Gotscheff in seiner Inszenierung die Rätselhaftigkeit: Die Inszenierung ist deutlich von der Auseinandersetzung mit dem absurden Drama, mit Samuel Beckett geprägt. Bühnenbildner Mark Lammert belässt die Bühne im großen Haus fast ganz roh, nur ein riesiger, goldfarbener Sack, der entfernt an einen überlebensgroßen Punchingball erinnert, hängt vom Schnürboden herab, wohl ein Symbol für Apoll und sein vieldeutiges Orakel, für das Rätsel, warum das menschliche Vermögen nicht ausreicht, Gründe und Folgen unseres Handelns zu erkennen.

Dimiter Gotscheff fordert sein Publikum, er gibt kein Pardon. Unterhaltung wird nicht geboten, Konzentration verlangt. Das Thalia in Hamburg hat eine anstrengende Inszenierung im Repertoire, großes, schweres, uraltes und gleichzeitig ganz aktuelles Theater.

Aufführungen am 6., 9., 12. und 23. Dezember; 2. Januar
Kartentel.: 040 32 81 44 44 - Internet: www.thalia-theater.de