Untote und Landadel

17.06.2010
Mit "Stolz und Vorurteil" schuf Jane Austen ein feinsinniges Sittengemälde des aufstrebenden Bürgertums. Ein amerikanischer Autor hat das Buch nun mit Zombies bevölkert. Eine gelungene Travestie, die die satirischen Züge des Originals verschärft.
"Es ist eine allseits anerkannte Wahrheit, dass es einen Untoten, der im Besitz von Gehirn ist, nur nach einem verlangt: mehr Gehirn." Dem literarisch Versierten wird der Satz bekannt vorkommen. Ist das nicht die legendäre Eingangssentenz von Jane Austens Roman "Stolz und Vorurteil"?

Wobei die englische Gesellschaftsdichterin allerdings statt von Wiedergängern von Landaristokraten und ihrer komplexen Heiratspolitik sprach. In Austens Originalversion ist selbstverständlich nicht von Zombies, sondern von Junggesellen die Rede, die, sofern vermögend, zu ihrem Glück nur noch eine Frau benötigen.

Doch die Travestie ergibt einen Sinn: Unter Umständen muss man sogar alle feineren Regungen wie Rücksicht und Mitgefühl abtöten, um gesellschaftlich etabliert zu bleiben.

Der US-amerikanische Autor Seth Grahame-Smith hat aus dieser Idee eine herrliche Textsubversion verfertigt: Unter seiner kongenialen Feder mutiert Austens Sittenpanorama zum Horrorfilm, der virtuos zwischen Schock und Slapstick changiert.

Streckenweise dem Originaltext aufs Wort folgend, bleibt die Tonlage der Austenschen Prosa erhalten, auch die ursprüngliche Handlung wird nicht angetastet. Deshalb hat das Buch zwei Autoren: die berühmte englische Schriftstellerin und den US-amerikanischen Comedy-Autor.

Der Plot ist bekannt: Es geht um Elizabeth Bennett, die höhere Tochter aus bürgerlichem Hause, und um Darcy, den stolzen Aristokraten, dessen moralische Rigidität so legendär ist wie sein gutes Aussehen und sein Vermögen.

Austens Original erschien im Jahr 1813, entsprechend werden im Text die Verhältnisse als Auseinandersetzung zwischen aufstrebendem Bürgertum und distinktionsbewusster Aristokratie geschildert. Elizabeth repräsentiert in Austens Gesellschaftsstudie die emanzipatorische Seite eines erstarkenden Milieus und darüber hinaus den Typus einer neuen, auf Selbstständigkeit bedachten Frau.

Dieser Feminismus avant la lettre wird in Grahame-Smiths Adaption ins Groteske gewendet: Da England seit Jahren von Zombies attackiert wird - die gentilen Kreise nennen sie pietätvoll "die Heimgesuchten" -, müssen die jungen Damen nicht nur für den Heiratsmarkt getrimmt, sondern auch in Selbstverteidigung und Kampfsport unterrichtet werden.

Weibliche Selbstermächtigung verläuft hier nicht mehr nur wie in Austens Vorlage über scharfsinnige Konversation und soziale Diplomatie, sondern über umfassende Expertise in asiatischer Kampfkunst. Entsprechend wütend ist Elizabeth, dass sie von Lady Catherine, ihrer Konkurrentin um die Gunst Darcys, gerade aufgrund eines angeblichen Mangels an Kung-Fu-Know-how deklassiert wird.

Ob es die neue Fassung auf die Lektürelisten der Schulen und Universitäten schaffen wird, ist fraglich. Aber sie ist ein gelungener Appetithappen für einen kanonischen Text der angelsächsischen Erzählliteratur. "Stolz und Vorurteil und Zombies" ist eine Überschreibung und Übertreibung des Austen-Werks - ein blutrünstiges Palimpsest, das beweist, dass große Dichtung in viele Richtungen wuchern kann - auch in skurrile.

Besprochen von Daniel Haas

Jane Austen/Seth Grahame-Smith: Stolz und Vorurteil und Zombies
Aus dem Amerikanischen von Carolin Müller,
Heyne Verlag, München 2010
475 Seiten, 8,95 Euro

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Jane Austen: "Northanger Abbey", Hörspiel, Titania Medien, Leverkusen 2010
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