Unterwegs zwischen den Welten

27.05.2009
Es ist die Geschichte einer rastlosen Reise zwischen England, Italien und Frankreich: Die 2006 gestorbene Autorin Sybille Bedford setzt in ihrem Roman "Rückkehr nach Sanary" ihrer Mutter, einer geistreichen und eigenwilligen Nomadin, ein Denkmal. Bedford beschreibt Charaktere, Orte und Milieus in wenigen Sätzen - aber mit großer Sinnlichkeit.
Schon ihr Leben ist ein Roman. Mehr noch: Es bietet Stoff für viele Romane. Die hat sie selbst geschrieben, elegante Gesellschaftspanoramen, allen voran "Ein Liebling der Götter" und "Ein trügerischer Sommer". Sybille Bedford wuchs zwischen den Welten auf und sie durchmaß ein ganzes Jahrhundert.

1911 wurde sie als Tochter eines deutschen Barons und einer Engländerin in Berlin geboren. Sie wuchs zunächst bei ihrem extravaganten Vater in einem badischen Schloss auf, wo sie zwar keine normale Schulbildung erfuhr, dafür aber alles lernte über gotische Altarschnitzerei, das Sammeln von Antiquitäten, den Weinanbau und die Literatur des 18. Jahrhunderts.

Später zieht sie mit ihrer schönen, kapriziösen Mutter und deren jungem Liebhaber durch halb Europa, lebt das unbehauste, aber abenteuerliche Leben einer heranwachsenden Kosmopolitin zwischen England, Italien und Frankreich, bis sich alle drei an der französischen Riviera niederlassen: in Sanary-sur-Mer, einem kleinen Fischerort, der in den 30er Jahren zur Zufluchtsstätte der "deutschen Literatur im Exil" wird.

Von all diesen wechselnden Stationen, von zwielichtigen Persönlichkeiten und skurrilen Ereignissen auf dieser Wanderschaft von Venedig nach Rom, von London nach Bandol handelt Sybille Bedfords "Rückkehr nach Sanary". In leichtfüßigem Plauderton führt sie den Leser durch die düsteren Gänge eines preußischen Stadtpalais im Berlin der Vorkriegszeit ebenso wie durch die Seelennöte eines jungen Mädchens, das ohne Aufsicht aufwächst und viel zu früh erwachsen werden muss.

Faszinierend, wie sie der glühend bewunderten Mutter ein Denkmal setzt: Sie schildert sie als geistreiche, temperamentvolle, kluge und eigenwillige Nomadin, ohne jegliche Verklärung. Damit entwirft sie einen neuen Zeittypus, von dem sie immer wieder zeigt, wie sie daran für die schillernd selbstbestimmten Frauenfiguren ihrer Romane (ganz fabelhaft) Maß genommen hat.

Sibylle Bedfords Buch zeichnen jene Eigenschaften aus, die sie so sehr an ihrer Mutter bewunderte: Sinnlichkeit und Selbstironie. Wie diese ist sie "eine Erzählerin, die die Wahrheit mit all ihren Vieldeutigkeiten zu einem Ganzen verwob, den einen Augenblick, die Zusammenhänge, die Perspektiven". Beeindruckend ist ihre offensichtliche Begabung, in wenigen Sätzen Charaktere, Orte, Milieus zu vergegenwärtigen, anhand einzelner sinnlicher Momente und Details Lokal- und Zeitkolorit gewissermaßen im 3-D-Format heraufzubeschwören. Man sieht, riecht und fühlt förmlich die Atmosphäre jener Welt aus Licht, Mimosen und Wind an der südfranzösischen Küste. Geradezu plastisch vor sich sieht man die Gesellschaft aus internationalen Geistesgrößen wie Aldous Huxley, Lion Feuchtwanger, Franz Werfel und den vielen anderen. Die Autorin kommt ohne nostalgische Verklärung aus und spart in ihrem Erinnerungsbuch auch nicht mit der Schilderung rasant komischer Begebenheiten.

Dass Sybille Bedfords Romane und Essays seit 2005 in Deutschland eine strahlende Renaissance erleben, ist das Verdienst des Verlages SchirmerGraf und seiner brillanten (Neu-)Übersetzer. Auch die "Rückkehr nach Sanary"- 1992 unter dem verquasten Titel "Zeitschatten" erschienen - ist erst jetzt in der gewandt-eleganten Übertragung von Sigrid Ruschmeier absolut stilgerecht im Deutschen angekommen.

Mit diesem Buch ist die vorläufige Gesamtausgabe der Bedfordschen Werke abgeschlossen: Eine wunderbare Gelegenheit, dieser lebensklugen Autorin auf der Entdeckungsreise durch ihre literarische Existenz zu folgen.

Besprochen von Edelgard Abenstein

Sybille Bedford: Rückkehr nach Sanary. Roman einer Jugend
Aus dem Englischen von Sigrid Ruschmeier
SchirmerGraf Verlag, München 2009
478 Seiten, 22,80 Euro