Unterwegs mit zwei Sperrmüllfahrern

„Bei manchen Stücken tut’s einem echt weh"

07:10 Minuten
Ein Sperrmüllfahrer lädt Hausmüll in den Laster.
Sobald der Sperrmüll draußen steht, gehört er der Stadt Potsdam, trotzdem werden häufig Sachen entwendet. © Amelie Ernst
Von Amelie Ernst · 23.04.2019
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Eine alte Truhe, ein schönes Kinderbett, ein selbst gebauter Handwagen - da werden selbst Sperrmüllfahrer sentimental. Sie finden so manches, was eigentlich zu schade ist für die Presse. Eine Tour durch Potsdam zeigt ein Abbild unserer Wegwerfgesellschaft.
Null Grad zeigt das Thermometer, morgens um kurz nach halb sechs auf dem Betriebshof der Potsdamer Stadtentsorgung. Meik Dettweiler schnappt sich seine orangene Dienstjacke und verzieht sich lieber gleich in die Fahrerkabine des Sperrmüll-Lasters. Erstmal eine Zigarette - und ein Blick auf den Tourenplan.
"Da sind die Aufträge, 45 Stellen. Und dann gucken wir, wie wir am besten fahren, also was für uns am wirtschaftlichsten ist oder was dicht beieinander ist. So nach und nach arbeiten wir uns da durch."
Auf der Liste kann Dettweiler genau sehen, wer im Potsdamer Stadtteil Babelsberg für heute wo Sperrmüll angemeldet hat - und welchen: ob Möbel - also meist Holz -, Metall oder auch Elektroschrott. Zwar passt die Anmeldung nicht immer zu dem, was Dettweiler und seine Kollegen dann vor Ort finden. Aber erstmal richtet sich der 48-Jährige nach der Liste. In der ersten Tour sammelt er alle Holzteile ein, später in der zweiten dann alles aus Metall und anderen Materialien.
Ein Sperrmülllaster kippt Holzteile auf einen großen Müllhaufen.
In der ersten Tour sammeln die Potsdamer Sperrmüllfahrer alle Holzteile ein, später dann alles aus Metall und anderen Materialien.© Amelie Ernst
Ein paar Minuten später ist auch Kollege Christopher Becker da. Mit ihm wird Dettweiler die Tour heute fahren. Zwei Paar dicke Arbeitshandschuhe landen auf der Ablage vor dem Fenster, außerdem eine Schachtel Zigaretten und im Fußraum eine Flasche Eistee.

Sperrmüll entwenden ist nicht erlaubt

"Okay, dann legen wir mal los…"
Noch sind die Straßen fast leer. Nach zehn Minuten haben die beiden die erste Station auf der Liste erreicht. Doch statt der erwarteten Ladung Holz liegt vor dem Mehrfamilienhaus exakt: nichts.
Dass irgendjemand den Sperrmüll entdeckt und etwas mitnimmt, das kommt öfter vor. Obwohl es eigentlich nicht erlaubt ist, sagt Dettweiler.
"Eigentlich gehört es, sobald es draußen steht, der Stadt Potsdam. Weil wir ja für die Entsorgung zuständig sind. Es gibt ja auch viele Schrottsammler oder so, die sich dann ein Kabel abschneiden und denn wild da drin rumwühlen, weil sie noch irgendwas gebrauchen können. Das ist für uns immer ein bisschen blöd, weil dann ist der Haufen total zerruppt. Aber wenn sich einer ein Brettchen mitnimmt für ´nen Einlegeboden, dann hat man natürlich nichts dagegen. Dann braucht man auch nicht schimpfen, dann ist das schon okay."
An der nächsten Adresse sind die beiden Sperrmüllfahrer erfolgreicher: Ein einwandfreies Kinderbett aus Holz steht am Straßenrand. Trotzdem heben es Becker und Dettweiler in die Presse hinten im Lkw.
"Das hätte man bestimmt noch gebrauchen können… Da gibt’s ganz viele Dinge, die man noch gebrauchen kann", sagt Christopher Becker.
Das sieht auch Meik Dettweiler so: "Bei manchen Stücken tut’s einem echt weh, weil es gibt auch so viele schöne, alte Schränke. Wo man sich dann denkt: Eigentlich ist es schade drum. Es war mal ´ne schöne, alte Truhe – die hätte ich am liebsten mitgenommen. Aber wohin? Dann geht sie halt in den Müll. Ist zwar traurig, aber ist halt so. Ist ja unser Job."

Chaotische Haufen sind das größte Ärgernis

Ein paar Meter weiter in derselben Straße wieder so ein Moment: Ein kleiner Handwagen aus Holz steht vor dem Haus, vermutlich selbstgebaut.
"Oh, 'ne richtige Handarbeit! Schade drum…"
Auch der Handwagen wird binnen Sekunden dank der Presse zu Kleinholz - aber keine Zeit für Sentimentalitäten: An der nächsten Ecke sind die ohnehin schnell vergessen. Denn dort liegen Matratzen, Lattenroste, Klappstühle, Bücher, Farbeimer und jede Menge anderer Müll wild durcheinander.
"Hier ist natürlich so eine Stelle, wo man dann sieht: Viele Leute wissen nicht, dass wir die erste Runde Holz fahren. Das heißt, da können wir jetzt alles irgendwie sortieren, damit wir ans Holz rankommen, was natürlich wieder ganz hinten ist, oder irgendwo mit zwischen ist. Das sind dann so die Sachen, die echt aufhalten."
Chaotische Haufen sind eigentlich das größte Ärgernis für die beiden Sperrmüllfahrer. Und die Haufen, bei denen Nachbarn schnell noch irgendwas dazustellen oder -werfen.
"So, haben wir die auch erledigt. Neuer Versuch mit der Siemensstraße…"

Kein ungefährlicher Job

An der nächsten Station ein ähnliches Bild. Dettweiler steht vor einem Berg zersplitterter Latten, aus denen rostige Nägel hervorschauen. Die erkennt man allerdings nur, wenn man im morgendlichen Halbdunkel genau hinsieht. Ungefährlich sei sein Job jedenfalls nicht.
"Entweder hier fliegt hinten was raus, wenn man gerade presst, dass man was abkriegt. Oder einer hebt was auf, passt nicht auf und hat den Kollegen nicht gesehen, dann dreht man sich – auch schon vorgekommen. Oder man nimmt irgendwas weg, was anderes fällt um. Und dann sieht man über die Jahre so aus…"
Dettweiler zieht an seiner Zigarette und hebt sein Hosenbein ein Stück - zum Vorschein kommen mehrere Narben, und auch die tätowierten Hände haben offenbar trotz der Handschuhe schon den einen oder anderen Nagel zu spüren bekommen.
"Da ist über die Jahre immer mal ein Brett gegen gekommen oder irgendwas anderes. Nach 26 Jahren sieht das halt so aus."
Trotzdem mag Dettweiler seinen Job - früher hat er Mülltonnen geleert. Doch Sperrmüll sei spannender.
"Hier ist es jeden Tag was anderes. Auch vom Kopf her fit zu bleiben – wo sind die Nummern, also zum Beispiel hier sind die geraden Nummern auf der Seite, auf der Seite sind die ungeraden. Auf der anderen Straße geht das eine Seite hoch, eine Seite runter. Das ist auch für den Kopf ganz hilfreich, dass man nicht verblödet oder stupide seine Arbeit macht. – So: 32, 38…"

Hoffen auf einen Koffer voller Geld

Schade nur, dass man mit dem Sperrmüllfahren nicht reich werden könne, findet Dettweiler - weder mit dem Verdienst, noch mit dem Müll.
"Darauf hoffe ich immer noch, auf so einen Koffer, wo Geld drinne ist. Aber ist eher selten, weil wie gesagt: Es wird schon vorher da drin gewühlt, bis wir denn kommen. Und dann ist das, was wertvoll war, mit Sicherheit schon weg."
Auch heute war noch nichts augenscheinlich Wertvolles dabei - die Gemälde im Goldrahmen stellen sich bei näherer Betrachtung als Farbdrucke heraus. Und in den schicken Designertüten liegen dann doch nur Gardinenringe. Aber schlimmer geht's immer.
"Na wenn die Leute ihre Hundekotbeutel noch mit zuschmeißen, die denn aufgeplatzt irgendwo drauf liegen, ist dann nicht so… Naja, reden wir nicht drüber."
Nach gut drei Stunden machen Dettweiler und Becker das erste Mal auf dem Recyclinghof Station und kippen ihre Holzladung in die Sortieranlage. Kurze Kaffeepause, dann sind die Metallteile dran. Und garantiert wartet auch auf dieser Tour wieder die eine oder andere Überraschung - vielleicht ja sogar eine positive.
"Die Kinder – die freuen sich immer, bleiben mit Absicht stehen, gucken uns bei der Arbeit zu, dann winken wir. Das ist immer ´ne tolle Sache", findet Christopher Becker.
Und Meik Dettweiler ergänzt: "Es ist nicht alles schlecht, es ist nicht alles schön. Und einer muss es ja machen – in dem Falle wir."
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