Unterwegs mit Fahndern

Die Tricks der Taschendiebe

Taschendiebstahl
Ein Großteil der Versuche muss abgebrochen werden, trotzdem sind Taschendiebe oft erfolgreich. © dpa / picture alliance / Roland Weihrauch
Von Gerhard Richter · 02.08.2015
Sie arbeiten mit verschiedenen Methoden und Tricks, nutzen Gedränge oder Arglosigkeit aus: Taschendiebe. Zu jeder Tageszeit sind sie unterwegs und spielen Katz und Maus mit der Polizei.
Archie Clapp: "Hällöchen, wollen sie ein Zauberkunststück sehen?"
Marion Boländer: "Was denn? Was möchte ich?"
Archie Clapp: "Ein Zauberkunststück sehen. Ich bin Zauberer. Archie Clapp mein Name."
Mit sicherem Blick hat Archie Clapp eine unscheinbare Passantin ausgewählt. Bereitwillig lässt die sich auf den Trick ein.

"Darf ich Sie bitten, ihre linke Hand aufzumachen. Und kommen sie einen Schritt auf mich zu und schön stillhalten."

Archie Clapp fasst das Handgelenk der Passantin und legt ihr ein Geldstück auf die flache Hand. Neugierig schaut sich die Frau die fremde Münze an. Archie Clapp, der Zauberer, schließt ihre Hand fest um den Penny.

"Das ist ein englischer Penny, der springt direkt durch ihre Hand unter ihre Uhr. Schauen sie nach!"

Die Passantin öffnet die Hand und tatsächlich ist der Penny weg. Der Penny steckt unter ihrer Armbanduhr.
Marion Boländer: (lacht) "...das ist ein Magnet..."
"Sie haben mich durchschaut."
Die Passantin heisst Marion Boländer und ist eine von tausenden Gästen eines Oldie Festivals im hessischen Wettenberg. Sie ist fasziniert von dem sympathischen jungen Mann mit der schief aufgesetzten Baseballmütze, der ihr wie zufällig seine Tricks zeigt. Archie Clapp ist zwar tatsächlich Zauberer, aber er ist auch ein Taschendieb, der mit dem Vertrauen und der Aufmerksamkeit der Passantin spielt. Jetzt fixiert er sein Opfer genau.

"Ich habe ein super Zauberkunststück. Haben sie ein Handy dabei? Können sie es ganz kurz mir einmal zeigen."

Tatsächlich greift Marion Boländer in die Seitentasche ihrer Hose und zeigt dem Fremden ihr Handy. Er nimmt es in die Hand und schätzt ganz unauffällig dessen Wert.

"Ach so, ich bräuchte ein Smartphone zum Arbeiten."
"Nö, nö, so was hab ich nicht."
Archie Clapp steckt das Handy in die Tasche zurück, aus der Marion Boländer es geholt hat. Dann verwickelt er sie schon wieder in den Penny-Trick.
"Sie machen ihre Hand bitte wieder auf, einmal ihre Hand aufmachen."
Dass sie gerade beklaut wurde, hat sie nicht bemerkt
Aber Marion Boländer fummelt den Verschluss ihrer Tasche erst zu, bevor sie sich den Penny geben lässt.
"Genau, machen Sie es erst zu, denn dann ist der Effekt noch stärker. Passen sie auf, noch sehen sie den Penny hier, und wir machen wieder so und er landet neben ihrem Handy in ihrer Tasche. Durch den Reißverschluss. Bitte gucken sie nach."

Tatsächlich ist der Penny wieder aus Marion Boländers Hand verschwunden. Neugierig fummelt sie ihr Handy aus der Tasche und findet dort auch den Penny. Archie Clapp grinst, Marion Boländer ist perplex.

"Verrückt, ist doch verrückt!!!"
"Ja."

Wieder nimmt Archie Clapp, der Straßenzauberer, das Handy der Passantin, dieses Mal ist das schon ganz selbstverständlich – und schiebt es ihr zurück in die Tasche. Jedenfalls tut er so. In Wirklichkeit zieht er es blitzschnell wieder heraus, und reicht die Beute mit einer kaum wahrnehmbaren Bewegung an einen Komplizen weiter, der unauffällig daneben steht. Dann zeigt Archie Clapp seinem arglosen Opfer den nächsten Penny-Trick. Marion Boländer ist begeistert. Dass sie eben beklaut wurde, hat sie gar nicht gemerkt. Aber sie hat Glück, denn Archie Clapp hat eine Überraschung für sie.
"Wir sind vom Weissen Ring und wir machen Präventionsarbeit. Wofür zeig ich ihnen... Sie bekommen ein Geschenk von mir, das ist nicht sehr modern, aber dann haben sie wenigstens..."

Marion Boländer staunt nicht schlecht, als Archie Clapp ihr das Handy überreicht. Erschrocken greift sie an die Seitentasche ihrer Hose, und die ist leer!

"Ich hab mein Handy nicht mehr (lacht) Ja, wie kommt denn das? Ich hab doch alles zugehabt?"

Archie Clapp und sein Komplize arbeiten für den Weissen Ring, eine bundesweite Opferhilfe-Organisation. Deren Stand mit Flyern ist in Sichtweite auf dem Festival-Gelände und die ganze Klau-Aktion dient nur der Prävention. Archie Clapp ist nicht der einzige Taschendieb hier – insgesamt sind es sieben. Marion Boländer ist umringt von einem ganzen Rudel ausgebuffter Trickdiebe, die vor dem Stand auf Opfer lauern. Nach allen Regeln der Kunst stibitzen sie unbemerkt Armbanduhren, Geldbörsen oder Handys.

"Ich kann's nicht fassen. Mein Ehering ist noch da, das ist schon mal gut. Handy ist auch noch da. Ich bin fasziniert, bin fasziniert, schon wie die Herren aussehen. Und dann was sie gemacht haben, einmalig."
In der Menschenmenge neue Tricks ausprobieren
"Die Herren" nennen sich "die Gilde der ehrlichen Taschendiebe". Sie kommen aus ganz Deutschland und haben sich beim Oldtimer-Festival in Wettenberg getroffen. Chef der Truppe ist Uwe Mettlach. Schon seit Jahren kommt er mit seinen Klaukünstlern hierher, um in der Menschenmenge neue Tricks auszuprobieren.
"Und hier kann man einfach sehr gut üben. Weil die Leute hier sehr entspannt sind. Wir haben hier ja schon ein bisschen Kultstatus. Und das macht einfach unheimlich viel Spaß hier, in der Gruppe zu klauen."
Uwe Mettlach im Gespräch mit dem Autor Gerhard Richter
Uwe Mettlach im Gespräch mit dem Autor Gerhard Richter© Deutschlandradio Kultur / Gerhard Richter
Freundliches Lächeln, Bügelfalten in der grauen Hose, dazu ein kurzärmeliges weißes Hemd – er sieht vertrauenerweckend aus. Überhaupt nicht wie der Chef einer Diebesbande. Aber das ist er auch nur hier. Im Hauptberuf ist Uwe Mettlach Polizeibeamter, unterrichtet Führungskräfte. Nach Dienstschluss nennt er sich Viktor Wahnsinn und tritt als Zauberer auf. Seine Spezialität: Showdiebstahl. Auf der Bühne klaut er Krawatten vom Hemdkragen. Hier auf dem Festival stiehlt er alle zehn Minuten eine Armbanduhr, um sie dann publikumswirksam zurückzugeben. Eigentlich ein Verbrechen, aber eines das fasziniert, sagt der Polizeihauptkommissar.
"Hier geht es um Unterhaltung bei uns, und auf der anderen Seite geht es um kriminelle Handlungen. Und da ist der Unterschied. Die Grenze ist da relativ eng, aber die Wirkung ist eine andere. Bei dem einen ist es Ärger und Wut, dass die Sachen weg sind und auf der anderen Seite ist es Freude, dass sie wieder da sind. Und eine gewisse Begeisterung."

In der Gilde der ehrlichen Taschendiebe treffen sich Polizisten und Showtaschendiebe, alle vereint das Interesse an guten Tricks. Und die probieren sie gerne am lebenden Objekt aus.

"Wir nutzen diese Location hier um neue Tricks einzustudieren. Die von der Polizei bei uns arbeiten, die haben ein großes Interesse daran, dass es sehr realistisch ist. Und dann gibt's die Bühnenkünstler, und die haben ein Interesse daran, dass es möglichst spektakulär ist."
Es ist Nachmittag. Die ersten Bands beginnen zu spielen. Mehr und mehr Gäste strömen zum Oldie-Festival. Archie Clapp hat schon ein Dutzend Handys geklaut, jetzt sucht er nach einer neuen Herausforderung: der Blocker–Trick, sehr beliebt bei Taschendieben.

Harry Pocket: "Jeder hat seine Aufgabenverteilung, wir haben einen Blocker, der den Geschädigten auflaufen lässt, und dann halt den Zieher, der die Geldbörse an sich nimmt, die Aktion durchführt, dann auch noch den Übergeber, der halt die entwendete Geldbörse übernimmt."

Harry Pocket, der als Polizei-Fahnder in Norddeutschland arbeitet, ist heute der Zieher, Harry Keaton der Übergeber und Archie Clapp der Blocker. Der löst noch kurz die Schnürsenkel seines Turnschuhs, um einen Grund zu haben, sich plötzlich vor dem Opfer zu bücken. Dann streunen die drei durch die Menge, auf der Suche nach einer lockeren Börse.

"Und jetzt einfach auch Fokus auf den Kollegen, der rastert jetzt auch alles, weil der hat einen super Blick, und wenn wir sehen, er läuft vor einem, ja, ich glaub er hat einen gefunden, dann laufen wir einfach alle mit, das ist eine Timing-Geschichte.
Die drei Diebe nicken sich zu
Harry Pocket schlendert durch die Menge, tut so, als schaue er sich die Oldtimer an. In Wirklichkeit flitzen seine Augen blitzschnell herum und scannen Handys und Geldbörsen.

"Die Opfer sind sehr leichtsinnig. Wir erleben es immer wieder, wie Geldbörsen aus der Gesäßtasche herauslugen. Die Leute stecken sich ganz offensichtlich, wenn sie sich was gekauft haben, etwas in ihre Taschen rein. Die Täter sehen das, spähen sie aus und verfolgen dann die Geschädigten bis zu einer Situation, die sie ausnutzen, um die Tat dann zu vollenden."

Und genauso macht er es nun selbst. Ein korpulenter Mann bahnt sich den Weg durch die Menge. Seine Gesäßtasche spannt sich über einer dicken Geldbörse. Die drei Diebe nicken sich zu. Archie Clapp läuft vor ihm, bückt sich plötzlich, um seinen Schnürsenkel zu binden. Der Mann läuft auf und im selben Moment prallt auch Harry Pocket von hinten gegen das Opfer und will ihm blitzschnell die Börse aus der Tasche ziehen. Aber es misslingt, der Mann hat den Griff gemerkt! Wütend dreht er sich um und hebt die Faust.

Harry Pocket: "Oh, Entschuldigung, wir sind vom weißen Ring..."
Opfer: "Vorsicht Freund, ganz vorsichtig!"
Harry Pocket: "Ganz cool, ganz ganz cool!"

Harry Pocket redet beruhigend auf den Mann ein, der immer noch die Faust erhoben hat.

"Wir wollten authentisch erklären, wie Taschendiebe vorgehen, deswegen haben wir sie als Opfer ausgewählt, wissen sie warum? Weil sie haben offensichtlich die Gesäßtasche..."
"Wart ihr nur zu langsam!" (lacht)
Zum Glück! Der Mann entspannt sich und lässt die Faust sinken.
"Richtig, sie haben auch super aufgepasst, das ist auch richtig. Aber es ist gefährlich, wenn man hinten die Geldbörse in der Gesäßtasche hat."
Hunderte Handys werden am Tag mit dem Abdeckertrick geklaut
Harry Pocket gibt dem Mann gleich noch ein paar Tipps auf den Weg.

"Als Präventionshinweis auf jeden Fall: So wenig mitnehmen, wie möglich. Nur das notwendigste. In der Geldbörse sollte man getrennt aufbewahren, sprich Bargeld, wo man raus zahlt in der einen Tasche, die Geldbörse dann in der anderen Tasche. Handtaschen sollten mit dem Verschluss zum Körper. Und auf keinen Fall gehören Geldbörsen oder Wertsachen in den Rucksack, da wo man's nicht merkt. Immer dicht am Körper tragen und so wenig wie möglich mitnehmen. So minimiert man die Gefahr, Opfer von Taschendieben zu werden."
Die drei ziehen nochmal los, und dieses Mal klappt es. Archie blockt, Harry zieht, und der andere Harry übernimmt die Börse. Das Opfer hat nichts bemerkt.
Archie Clapp und Harry Keaton üben nun den Abdeckertrick. Hunderte Handys werden täglich damit geklaut. Die Opfer sitzen meist im Café und haben ihr Smartphone oder ihre Börse vor sich auf dem Tisch liegen. Dabei hält einer dem Opfer einen Stadtplan vor die Nase, verdeckt damit die Beute, die sich der andere ungesehen greifen kann. Es geht los. Die beiden suchen das ideale Opfer, und das sind schwache Typen mit teuren Handys.

"Natürlich geht der Taschendieb den Weg des geringsten Widerstands. Warum auch. Er will sich ja nichts beweisen, er will ja Geld verdienen. Das kann aber auch der starke Typ sein, der fahrlässig mit seinen Gegenständen umgeht. Es gibt kein Schema F."
Zwei Männer auf einer Bierbank. Vor ihnen auf dem Tisch zwei Becher Bier, eine Schachtel Zigaretten, ein halbvoller Aschenbecher - und ein Smartphone. Archie Clapp und Harry Keaton nicken sich zu und nähern sich dem Tisch. Harry Keaton hat ein Faltblatt vom Weissen Ring, mit Ratschlägen, wie man sich vor Dieben schützt. Und frecherweise versucht er ausgerechnet damit den Abdeckertrick.

"Hallo, herzlich willkommen, wir sind vom Weissen Ring, wir wollten sie aufmerksam machen über Trickdiebstähle."

"Das versuchen sie jetzt mal, lassen Sie mein Handy schön liegen!"
"Auf jeden Falls haben Sie hier so... dass Sie keinen Fremden in die Wohnung lassen, keine Geldbeträge."
Das Risiko, beim Taschendiebstahl entdeckt zu werden, ist hoch
Harry deutet auf die einzelnen Punkte des Faltblatts, dabei verdeckt er mit dem Zettel das Handy. Dann greift Archie ganz unauffällig nach dem Mobiltelefon. Aber die beiden vermeintlichen Opfer haben den Trick durchschaut und werden aggressiv.
"Freund, so nicht!"
"Jetzt verschwinde mal, sonst werd ich sauer. Aber richtig!"
"Wir sind wirklich vom Weissen Ring..."
"Weg! Weg!"

Ein Stadtplan wäre vielleicht doch unauffälliger gewesen als ein Faltblatt mit Ratschlägen gegen Diebe.
"Wenn ihr Ärger haben wollt, ich bin euch auf den Fersen. Der hat's Messer schon in der Hand gehabt."

Das Risiko beim Taschendiebstahl entdeckt zu werden ist hoch, die echten Taschendiebe brechen neun von zehn Versuchen ab, um solchen Ärger zu vermeiden. Harry Pocket und Archie Clapp lösen die Situation auf, indem sie sich höflich verabschieden und zum Stand des Weissen Rings gehen. Harry Pocket, der im Hauptberuf Taschendiebe fängt, ist trotz der vertrackten Situation froh darüber, dass die Männer aufmerksam waren. Denn die Polizei allein kann gegen Trickdiebe nur bedingt etwas ausrichten.

"Es ist allgemein in Deutschland so, die Fallzahlen der Kriminalstatistik sind auf einem Höchststand, währenddessen die Aufklärungsquote immer noch sehr gering ist. Und diese Problematik gibt es in Großstädten als auch in kleineren Städten eigentlich. Aber grade in Ballungsräumen sind die Täter natürlich in der Mehrzahl vertreten."
Im dritten Stock des Polizeireviers 33 in Berlin sind rechts und links eines nüchternen Flures die Räume der Ermittlergruppe 711 des Landeskriminalamtes Berlin. Hauptarbeitsgebiet: Trickdiebstahl. Als zentrale Polizeieinheit für ganz Berlin bekämpfen hier 45 Polizisten den täglichen Klau auf der Straße.
Nachts werden die Schlafenden in der Bahn beklaut
Jeden Vormittag treffen sich einige Mitarbeiter im Büro von Kommissariatsleiterin Birgit Spier zur Auswertung. An diesem Montag hat Volkmar Bialek mehrere Listen mit den Delikten der letzten Tage mitgebracht.
"Schönen guten Morgen, Auswertung vom Wochenende. Wir haben insgesamt 198 Taten Im Bereich Taschendiebstahl gehabt übers Wochenende."
Aus allen Direktionen von Berlin hat sich Volkmar Bialek die Zahlen geben lassen und sauber aufgelistet. Blatt für Blatt geht er die Stadtteile durch.
"So, dann die Bärenanteile: Direktion drei, sprich: Berlin Mitte haben wir insgesamt 50 Taten, davon 21 sogenannte Abdeckertaten, also diese Sachen in den Lokalen, wo man mittels Trick die Handys die auf dem Tisch liegen, abgedeckt und weggenommen haben."
Birgit Spier: "Das sind aber richtig viel!"
Volkmar Bialek: "Da haben sie sich am Wochenende ausgetobt."
MikeKriz: "Wann war das, nachmittags, oder?"
Volkmar Bialek: "Da kommen wir gleich drauf. Erstmal Gesamtübersicht. Sieben Mal Gehweg, also ohne besondere Merkmale. Dreimal im Geschäft, 13 mal ÖPNV, sind überwiegend die Schlafenden nachts vom Wochenende, die unterwegs sind. So ist das eigentlich aufgeteilt."
Täglich werden rund 50 Taten angezeigt, geklaut wird mit Sicherheit deutlich mehr, ohne dass die Anzeigen auf dem Tisch von Birgit Spier landen.
"Weil die Leute dazu tendieren zu sagen: Bringt ja sowieso nichts oder sie sind nicht versichert und wissen, es wird ihnen auch nicht ersetzt. Und dann brauchen sie auch keinen Nachweis von der Polizei. Und da wird die Dunkelziffer noch um einiges höher sein."
Hinter den fast 200 angezeigten Trickdiebstählen allein an diesem Wochenende steht ein Schaden von rund 60.000 Euro. Früher waren es Bargeld und Schmuck, heute ziehen die Diebe immer mehr Handys.
Adham Charaby: "Diese Smartphones und Tablets sind regelrechte Kriminalitäts-Treiber. Das muss man einfach mal sagen. Weil seitdem jeder mit einem 700 Euro Gerät durch die Gegend läuft - vorher hatte niemand solche Sachwerte in der Tasche - wird das natürlich auch für die Diebe attraktiver."
Die Dunkelziffer ist hoch
Die Auswertung zeigt auch, dass die Diebe rund um die Uhr auf Opfer lauern. Früh, wenn sich die Pendler in Bus und Bahn drängeln, vormittags, wenn Senioren bei der Post ihre Rente abheben und einkaufen gehen. Nachmittags in vollbesetzen Straßencafs, abends im Restaurant und nachts im Gedränge vor den Eingängen angesagter Clubs. Beliebte Opfer sind Touristen, sagt Patrick Schwarz.

"Ja, Touristen sind oft ein bisschen leichtsinniger, sind in Urlaubsstimmung und führen oft Bargeld mit sich. Das wissen die Täter. Oftmals zielen die Täter auf asiatische Touristen ab, weil die pflegen immer viel Bargeld in den Taschen mit sich rumzuführen."
Uwe Mettlach
Uwe Mettlach© Deutschlandradio Kultur / Gerhard Richter
Patrick Schwarz ist der Einsatzleiter der 20 operativen Kräfte, also der Beamten, die draußen auf den Straßen, in Bussen und Bahnen nach Trickdieben fahnden und sie festnehmen. Manchmal schreiten auch Zeugen ein, die einen Diebstahl beobachten. So ein Fall steht heute im Bericht von Volkmar Bialek:

"In der Friedrichstraße in einer Gaststätte wieder die übliche Begehensweise, einen Zettel auf den Tisch legen, damit das Handy, das dort abgelegt ist, abdecken. Das hat die Kellnerin beobachtet, hat versucht der Täterin ein Hausverbot auszusprechen. Die hat sich gewehrt, es kam zum Gerangel: Haare ziehen, Kratzen, sogar beißen, bis sie dann endlich den Laden verlassen hat, ohne dass es zur Diebstahlshandlung kam. Und dann: Durch Absuche im Nahfeld konnte die Dame festgenommen werden."
Charaby: "Minderjährig, ne?"
Bialek: "Ja, 1997 geboren, richtig."
Fast jeden Tag können die Ermittler einen Taschendieb festnehmen. Jeder fünfte davon ist minderjährig, viele davon sind erst dreizehn oder vierzehn, oder sie behaupten es zumindest. Diese sogenannten Klaukinder – fast alle stammen aus Rumänien - sind nicht strafmündig und werden zu ihren Eltern gebracht.
Viele der Diebe sind minderjährig
Falls die Eltern nicht auffindbar sind, kommen die Kinder zum Jugendnotdienst, bekommen etwas zu essen und sind tags darauf wieder auf der Straße. Das hat natürlich wenig Wirkung, Birgit Spier und ihre Truppe versuchen deshalb immer, einen Haftbefehl zu erwirken.

"Wenn wir jemanden mit einem Untersuchungshaftbefehl beschlagen können, dann brechen Serien ab und wenn er dann entlassen wird nach dem Urteil, dann ist er eher weg aus Berlin. Weil er weiß: Hier ist keine gute Adresse. Geht vielleicht in eine andere Großstadt von Europa. Und das ist das was hier auch motiviert. Dass wir ab und zu diese Erfolge haben, die wir feiern können."
Kürzlich wurde hier im Kommissariat 711 der tausendste Haftbefehl gefeiert. Und bald könnte es den nächsten geben: Einsatzleiter Patrick Schwarz und seine Kollegen haben einen Tipp bekommen. Zwei fremde Trickdiebe haben sich in einer Berliner Pension eingemietet und gehen auf Beutezug.

"Und dann ist der Plan so, dass wir versuchen sie dort in dem Nahbereich festzustellen, und solange beobachten, bis wir sie dann bei einer frischen Tat festnehmen können."
Charaby: "Ist ja perfekt!"
Spier: "Na, dann haben wir ja Erfolgsaussichten. Na, dann wünsche ich euch eine erfolgreiche Woche, Dankeschön."
Patrick Schwarz nimmt sein Handy, sein Funkgerät und seine Dienstpistole vom Schreibtisch. Er zieht sich seine Kapuzenjacke über den sportlichen Körper und geht die drei Stockwerke hinunter zum Parkplatz.
Mit einem grünen VW Bus fährt er zum Einsatzort. Seit frühmorgens sind mehrere Kollegen schon in der Nähe der Pension, um die beiden Diebe zu beschatten. Vermutlich sind sie neu in der Stadt. Die Pension ist jedenfalls gut gewählt, in der Nähe eines Bahnhofs und eines großen Einkaufszentrums.

"Ja, die scheinen sich schon ein wenig auszukennen, oder haben sich schon beraten lassen."

Patrick Schwarz hält auf einem Parkplatz hinter dem Einkaufszentrum – der Treffpunkt, um sich in Ruhe mit den Kollegen auszutauschen. Die sind den beiden Trickdieben schon seit drei Stunden auf den Fersen.

"Bisher, was habt ihr feststellen können, war schon ein bisschen Bewegung? Oder?"
"Sie sind heute früh rausgekommen, sind aber zu Fuß unterwegs gewesen, haben sich so ein bisschen an Supermärkten orientiert, also Rewe, haben sich dann eine Sparkasse angeguckt und haben die älteren Herrschaften beobachtet, die Geld abgehoben haben."
Die beiden Verdächtigen werden observiert
Frank ist einer der operativen Kräfte, seit 1997 fahndet er nach Trickdieben aller Art. Aber dieses Diebespärchen hat er noch nie gesehen.

"Also vom Gesicht, vom Angesicht, kennen wir sie nicht. Ich bin diesmal wirklich gespannt auf die Personalien, ob die schon mal erwischt wurden in Berlin oder woanders im Bundesgebiet und das ist dann halt relativ interessant für uns."

Frank beteiligt sich wieder an der Observierung der beiden Verdächtigen. Im Ohr hat er einen kaum sichtbaren Kopfhörer und auf der Brust ein ebenso unauffälliges Mikro. Damit hält er den Kontakt zu den Kollegen, die sich ebenfalls rund um das Diebespärchen bewegen. Immer darauf bedacht, zu sehen, ohne gesehen zu werden. Schon bald hat Frank das Pärchen entdeckt. Sehen aus wie südländische Touristen. Beide mit Jeans, er im Kapuzenpulli, sie trägt einen hellen Blouson, rotgefärbte Haare und rote Stiefelchen.

"Sie sind nicht so auf den ersten Blick erkennbar als Taschendiebe, sind gut angezogen und verhalten sich professionell, also sie drehen sich nicht extrem um und wirken so, als wenn sie ein eingespieltes Team sind einfach."

Die beiden Diebe gehen in einen Supermarkt. Schlendern durch die Regale. Beobachten dabei aber die Kunden an der Kasse. Was ganz unauffällig aussieht, ist für den erfahrenen Trickdiebfahnder eine klare Masche.

"Sie verständigen sich oft nonverbal, also durch Blicke und man hat den Eindruck, es ist schon alles hundertmal geprobt worden oder durchgeführt worden. Also sie müssen sich nicht lange absprechen. Jeder weiß was er zu tun hat und die Arbeitszielrichtung ist relativ klar erkennbar bei beiden."
Die beiden Diebe sind sogenannte Nachläufer, dass heisst sie spähen ihre Opfer aus und verfolgen sie dann. Hier im Supermarkt werfen sie ein Auge besonders auf Menschen, die sich schlecht wehren können. Mütter mit Kinderwagen, Rentner, Gebrechliche, Leichtgläubige.

"Was ich auch persönlich so extrem mies finde. Körperlich eingeschränkte Menschen, die fast blind sind. Wo du siehst, okay, die werden jetzt gezielt verfolgt. Wo man dann so einen Hals kriegt. Wo man denkt, ja, okay, die machen das auch aus Armutsgründen, aber das ist so, na ja. Man kann ja nicht alles entschuldigen."
Ein älterer Mann verstaut seine Einkäufe und die Geldbörse in seinem Rollator, macht sich langsam auf den Heimweg. Die beiden folgen ihm unauffällig in eine Nebenstrasse. Das Gaunerpaar versucht den Abdeckertrick. Sie spricht den Rentner an, faltet einen großen Stadtplan auf und fragt nach dem Weg. Dabei verdeckt sie den Rollator und ihr Komplize versucht hineinzugreifen. Aber zum Glück: Eine Passantin biegt um die Ecke, die Diebe brechen ab. Vollprofis, sagt Frank.

"Die fühlen sich sofort gestört, wenn ein anderer Passant in der Nähe ist, und gehen überhaupt kein Risiko ein."
Hat das Diebespärchen die Fahnder bemerkt?
Der alte Mann mit dem Rollator hat Glück gehabt. Pech für die Polizei, denn sie muss weiter beschatten, abwarten. Die Polizei muss die Diebe auf frischer Tat festnehmen, sagt Patrick Schwarz, der über Funk alles mitbekommt.

"Ja, wir müssen die Tat natürlich auch nachweisen können. Oftmals wird behauptet, sie hätten die Brieftasche gerade gefunden, die sie in ihren Händen haben, wenn wir sie festnehmen, und dann müssen wir natürlich nachweisen können, dass sie gerade gestohlen wurde. Gegebenenfalls haben wir auch eine Beobachtung dazu, die passt. Dass wir das dann nachweisen können, und das dem Richter auch plausibel darlegen können."
Die beiden Diebe versuchen es noch ein paarmal, aber heute scheinen sie kein Glück zu haben. Vielleicht fühlen sie sich auch beobachtet, oder haben einen der Fahnder bemerkt. Jedenfalls gehen sie gegen Mittag zurück zu ihrer Pension. Die Frau dreht sich noch einmal um, um sicherzugehen, dass ihnen niemand folgt. Dann gehen sie getrennt voneinander hinein. Zwei Stunden warten die Beamten, ob die beiden Diebe nochmal rauskommen, dann brechen sie den Einsatz ab. Unwahrscheinlich, dass sie heute noch einen zweiten Beutezug starten.

"Kernzeit wäre sowieso eher für diese Nachläufer vormittags, und nicht die ganz späten Nachmittagsstunden, so dass wir denken, dass sie heute nicht mehr rauskommen werden, und da die sehr professionell arbeiten, denke ich, dass die jeden Tag losgehen, um ihr Geld zu verdienen. So dass wir auf morgen hoffen."

Aber auch am nächsten Tag bleiben die beiden Trickdiebe verschwunden. Vielleicht haben sie in Berlin die Adresse gewechselt, vielleicht suchen sie schon in einer anderen Stadt nach arglosen Opfern.
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