Unternehmen Blendle verkauft Zeitungsartikel

Journalismus à la carte

Marten Blankesteijn
Marten Blankesteijn, Chef des niederländischen Online-Dienstes Blendle: "Wir haben in unserem Repertoire alle großen Zeitungen und Magazine." © picture alliance / dpa / Foto: Kay Nietfeld
Von Ronja Morgenthaler  · 17.11.2015
Die Zeitungsverlage stecken in einem Dilemma: Entweder bieten sie ihre Artikel kostenlos online an oder sie verlieren an Reichweite. Die rettende Lösung, mit der sich im Netz endlich Geld machen lässt, scheint jetzt mit der Firma Blendle aus den Niederlanden zu kommen.
Das Internet setzt Zeitungen und Verlage ökonomisch unter Druck und bringt sie in ein aussichtloses Dilemma.
Die rettende Lösung, mit der sich im Netz endlich Geld machen lässt, scheint jetzt aus den Niederlanden zu kommen. "Blendle" heißt das Unternehmen, das Journalismus im Internet lukrativ machen soll.

"Hallo, gut, das ist Blendle. Schön dass du da bist. Mit Blendle kannst du die besten Zeitungen und Zeitschriften aus Deutschland durchstöbern und lesen."
Alles super einfach, verspricht das Werbevideo von Blendle. Klick Klick Ich klicke mich durch den neuen Online-Kiosk. Auf meinem Bildschirm erscheinen die Printausgaben aktueller Tageszeitungen und Magazine. Als Neukundin schenkt mir Blendle 2,50 Euro und ich kann direkt loslegen:
Marten Blankensteijn:"Im Grunde können Sie sich ihr eigenes Magazin zusammenstellen. Wir haben in unserem Repertoire alle großen Zeitungen und Magazine. Diese kann man zunächst durchblättern und sich dann die Artikel aussuchen, die man gerne lesen möchte. Außerdem kann man eine Vorauswahl treffen. Sagen wir zum Beispiel, Sie haben Interesse an Politik oder Medien oder anderen Themengebieten, dann schlagen wir Ihnen Artikel genau zu diesen Themen vor."
Marten Blankensteijn ist der Gründer des niederländischen Start-Up’s. Seit September ist Blendle in Deutschland auf dem Markt.
Große Verlagshäuser sind mit an Bord
Die Website funktioniert nach dem Prinzip itunes: Die Nutzer können mit geringen Geldbeträgen einzelne Artikel kaufen, ohne die gesamte Ausgabe der jeweiligen Zeitung kaufen zu müssen. Mit an Bord sind die Schwergewichte des deutschen Zeitungsmarktes: ZEIT, FAZ, Süddeutsche, der Spiegel aber auch eine Menge Lokalzeitungen und Illustrierte. Axel Springer und die New York Times haben drei Millionen Euro in das niederländische Unternehmen investiert und halten zusammen 23 Prozent der Anteile.
Die Preise für ihre Artikel bestimmen die Verleger selbst. So kostet die Seite 3 der Süddeutschen Zeitung 79 Cent, die Titel Story des Spiegels 1,99 und ein Artikel in der Welt grundsätzlich 25 Cent.
Schwarze Schrift auf weiß-grauem Hintergrund. Blendle ist schlicht, die Website ist leicht zu bedienen und besticht durch ihr simples und ästhetisches Design. Keine Werbung, kein Schickschnack. Das Blättern durch die Zeitungen ist tatsächlich fast wie das Stöbern im Kiosk, so gut das virtuell eben geht.
Doch sind die Menschen in Zeiten von kostenloser digitaler Informationsflut wirklich bereit, für journalistische Inhalte zu zahlen?
"Es sind vor allem die jungen Leute, die diese Flut an Informationen bekommen. Aber diese Flut besteht vor allem aus dreizeiligen "Nachrichten-Häppchen". Ich denke, grundsätzlich werden die Leute erkennen, dass ein Artikel, an dem jemand über Wochen gearbeitet hat, wertvoller ist, als etwas, woran jemand nur ein paar Minuten saß. Und schlussendlich werden die Leute zu dem Ergebnis kommen: Hey, wenn ich mir ein paar Minuten Zeit nehme, um die Titel-Geschichte des SPIEGELs zu lesen, bin ich besser informiert, als wenn ich fünfzehn Minuten lang Nachrichten auf kostenfreien Nachrichten-Websites lese. Und für diese Leute letztlich machen wir Blendle."
Mehr als eine halbe Million Nutzer in Deutschland
"Blendle-User sind jung und lieben Qualitätsjournalismus", so das Fazit des Unternehmens. Vor kurzem veröffentlichte Blendle die ersten Zahlen zum Deutschlandstart. Demnach nutzen schon über eine halbe Millionen Menschen den Online-Dienst. Blendle wächst in Deutschland viermal schneller als in Holland. Das Unternehmen will expandieren. Gespräche über einen Start in Frankreich laufen.
Blendle setzt auf das Prinzip der sozialen Netzwerke. Die Nutzer können Artikel, die ihnen gefallen, teilen und weiterempfehlen. Sie können anderen Leuten folgen und Ressorts abonnieren, aus denen sie Lesevorschläge erhalten.
Damit ist Blendle nicht alleine. Journalistische Beiträge auf verlagsfremden Plattformen anzubieten, ist längst ein Trend. Ganz oben mit dabei ist der Internet-Riese Facebook. Facebook ist mittlerweile zur wichtigsten Traffic-Quelle für journalistische Inhalte geworden.
Doch welche Auswirkungen hat diese Verschiebung hin zu den sozialen Netzwerken?
Daniel Leisegang: "Dieses 'unbundeling', das so genannte, also das Entbinden von Texten, der Einzelverkauf von Texten, der ist erstmal für mich von Vorteil als Kunde. Auf der anderen Seite ist ja gerade die ironische Entwicklung die, dass ich mit Redaktionen, mit traditionellen Redaktionen sogenannte 'Gate-Keeper' habe. Die haben darüber entschieden, was in die Zeitung kommt und diese Auswahl, für die bezahl ich dann auch. Blendle macht aber nichts anderes. Blendle wird praktisch ein noch erneut vorgeschalteter Gate-Keeper, der nochmal eine Auswahl trifft und mir zugänglich macht. Und dann nochmal nach Algorithmen und mit Hilfe von so genannten Kuratoren filtert, so dass ich eigentlich in einer doppelten Filterblase bin.
Plattformen im Netz als "Superverleger"?
Der Journalist Daniel Leisegang nimmt die Zusammenarbeit der Verlage mit den digitalen Vertriebs-Plattformen kritisch unter die Lupe. Die vielzitierte Filter-Blase ist aber nicht das einzige Problem. Auch für die Verlage könnte sich die Kooperation mit den neuen Online-Diensten zur existenziellen Bedrohung entwickeln.
Der Journalist befürchtet, dass die Plattformen langfristig die Produkte nicht mehr nur vermarkten, sondern selbst zu "Superverlegern" mutieren.
Marten Blankensteijn teilt diese Ansicht nicht: "Ich denke, er bezieht sich dabei auf Spotify und Netflix. Netflix produziert mittlerweile seine eigenen Filme und Serien und auch auf Spotify können Künstler direkt veröffentlichen. Der Unterschied zwischen der Musikindustrie und Journalismus ist allerdings, dass jeder Mensch zum Beispiel Robbie Williams kennt, aber keiner sein Label. Beim Journalismus ist das genau andersrum. Ich denke, man braucht hier, um erfolgreich zu sein, eine vertrauensvolle Marke. Zwar können einzelne Autoren auch hier sehr erfolgreich sein, aber auch für erfolgreiche SPIEGEL-Autoren ist es wichtig, dass sie SPIEGEL-Autoren sind und nicht nur Autoren."
Daniel Leisegang:"Also zum einen ist es so, dass Blendle gerade aus meiner Sicht dafür sorgt, dass die Verlage ihre Marken aushöhlen, gerade weil die Inhalte nicht mehr auf Zeit-online oder SPIEGEL oder eben auch auf anderen Verlagsseiten erscheinen, sondern bei Blendle erscheinen. Diese Artikel selber kusieren dann ja auch innerhalb des Netzwerkes, sie werden kuratiert innerhalb des Netzwerkes und sie werden gelesen und weiter geteilt innerhalb dieses Netzwerkes. Das heißt, die Marke, die ursprünglich dahinter steht, das Verlagshaus mit allem was dazugehört, das verschwindet und tritt zurück."