Unterlassungsklage von Erdogan

"Es geht um Schmähkritik"

Jan Böhmermann als Videoeinspiel bei der ersten Verleihung des Preises für Popkultur des "Vereins zur Förderung der Popkultur"
Das Hamburger Landgericht verhandelt über das Gericht von Jan Böhmermann. © picture alliance / dpa / Britta Pedersen
Friedhelm Hufen im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 02.11.2016
Der Staats- und Verfassungsrechtler Friedhelm Hufen beurteilt Jan Böhmermanns Gedicht über den türkischen Präsidenten als einen "Eingriff in die Menschenwürde". Sie komme auch einem Diktator wie Recep Tayyip Erdogan zu, meint er.
Vor dem Hamburger Landgericht beginnt heute die mündliche Verhandlung zur Unterlassungsklage des türkischen Präsident Recep Tayyip Erdogan gegen den ZDF-Moderator Jan Böhmermann. Es geht um das Gedicht "Schmähkritik", das Böhmermann in seiner Sendung "Neo Magazin Royale" am 31. März verlesen hatte. Der türkische Präsident hat als Privatmann gegen Böhmermann geklagt und will ein Verbot des gesamten Gedichts durchsetzen.
Für das Verhältnis zwischen Kunstfreiheit und Schutz der Persönlichkeit in Deutschland gelte – auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht – grundsätzlich immer noch der alte Satz von Kurt Tucholsky, sagt Friedhelm Hufen, Staats- und Verfassungsrechtler an der Johannes Gutenberg Universität in Mainz im Deutschlandradio Kultur:
"Satire darf eigentlich alles. Man muss aber hinzufügen: Fast alles. Es gibt eine Grenze in der Menschenwürde. Und die steht genau in diesem Verfahren und auch in dem anhängigen Strafverfahren in Rede."
Die Überlegungen des Gerichts würden sich also vor allem um den Punkt Menschenwürde drehen, so die Einschätzung von Hufen:
"Und das kann nun in der Tat den Ausschlag geben. Ob das Gericht sagt: In diesem einen Fall geht es nicht mehr um politische Satire, sondern es geht um Schmähkritik. Der Angriff gilt der Person als solcher. Und damit wäre die Menschenwürde tangiert. Und damit wäre das Gedicht trotzdem rechtswidrig."

Die Vorrede Böhmermanns zur "Schmähkritik"

Die Vorrede Böhmersmann zur "Schmähkritik" ändere seiner Auffassung nach nichts an den Aussagen des Gedichts, meint Hufen. Es handele sich um schwerwiegende Vorwürfe, die auch "übelste Perversionen" enthielten:
"Die wirklich fast unmenschlich sind. Und da kann man dann nicht sagen: 'Ich packe das jetzt man schön ein. Und wenn es schön eingepackt ist, dann ist es nicht mehr strafbar. Oder: Ich weise dich jetzt drauf hin: Das ist jetzt eine Satire. Die ist strafbar. Auch in Deutschland. Und dann trete ich erst richtig zu.' Das geht nun wirklich nicht. Und ich finde, auch dieses 'Im Zweifel für die Satire'-Argument und auch dieses Einpackungs-Argument – das zieht dann nicht mehr, wenn die Form so schlimm ist, dass sie tatsächlich nur noch als Eingriff in die Menschenwürde bezeichnet werden kann. Und das ist meiner Meinung nach der Fall."

Die Grenzen der Kunstfreiheit

Hufen verwies auf die Grenzen der Kunstfreiheit:
"Wenn der Angriff keinen sachlichen Bezug mehr hat, wenn es also nicht nur um die Politik geht, sondern wenn die Form tatsächlich nur noch dazu da ist, den anderen als Menschen zu schmähen, dann ist die Grenze überschritten, die auch das Bundesverfassungsgericht in einer ganzen Reihe von Entscheidungen gezogen hat. Und dann muss man sagen: Das geht in der Tat zu weit. Und dann ist auch die Kunstfreiheit – unterstellen wir einmal, dass dieses Gedicht ein Kunstwerk ist – dann ist auch die Kunstfreiheit einschränkbar durch die Menschenwürde, die auch einem Diktator wie Erdogan zukommt."

Liane von Billerbeck: Er hatte es "Schmähgedicht" genannt, der Satiriker Jan Böhmermann, und dann, wie angekündigt, den türkischen Präsidenten geschmäht. Noch gibt es ja einen Paragrafen, der die Beleidigung unter Strafe stellt, soll abgeschafft werden, aber dieser Wurmfortsatz der Majestätsbeleidigung existiert eben noch. Aber um Strafe geht es heute nicht, sondern um die Unterlassungsklage gegen Böhmermann. Das Hanseatische Oberlandesgericht in Hamburg verhandelt über das Begehren Erdogans gegen Böhmermann. Anlass für uns, über Kunstfreiheit und Grenzen der Kunst zu sprechen, mit Professor Friedhelm Hufen. Er ist Staats- und Verfassungsrechtler an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz und jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen!
Friedhelm Hufen: Guten Morgen, Frau von Billerbeck!
von Billerbeck: Da fühlt sich wer durch ein Kunstwerk oder durch einen Künstler auf den Schlips getreten und klagt – wie ist denn das Verhältnis zwischen Kunstfreiheit und Schutz der Persönlichkeit in Deutschland geregelt?
Hufen: Grundsätzlich gilt eigentlich der alte Satz von Tucholsky in Deutschland auch verfassungsrechtlich: Satire darf eigentlich alles. Man muss aber hinzufügen, fast alles. Es gibt eine Grenze der Menschenwürde, und die steht genau in diesem Verfahren und auch in dem anhängigen Strafverfahren in Rede.
von Billerbeck: Das heißt, dieses kleine Wörtchen "fast", das Sie da eben benutzt haben, kann den Ausschlag geben dafür, welchen Stellenwert der Schutz der Persönlichkeit auch im Fall des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan bekommt.

Das Wort "Menschenwürde" könnte den Ausschlag geben

Hufen: Das ist vordergründig ein kleines Wörtchen. In Wirklichkeit steht da ein sehr großes Wort dahinter, die Menschenwürde. Und das kann nun in der Tat den Ausschlag geben, ob das Gericht sagt, in diesem einen Fall geht es nicht mehr um politische Satire, sondern es geht um Schmähkritik, der Angriff gilt der Person als solcher, und damit wäre die Menschenwürde tangiert, und dann wäre das Gedicht trotzdem rechtswidrig.
von Billerbeck: Aber nun gibt es ja einiges gegen Erdogan zu sagen – das darf man aber dann nicht in dieser Form tun.
Hufen: Es gibt in der Tat sehr viel gegen Erdogan zu sagen. Er hat wirklich Verbrechen begangen, wie ich finde. Er hat einen fast Bürgerkrieg vom Zaun gebrochen, er beseitigt im Moment die Demokratie. Da kann man schon mit harten Geschützen auffahren, um dieses Verfahren zu kritisieren.
Das ist alles sicher richtig, und das geschieht ja auch in weitem Sinne. Sie dürfen Erdogan einen Verbrecher nennen, Sie dürfen Erdogan eines Staatsstreichs von oben bezichtigen, Sie dürfen ihn Folterer nennen und so weiter, und es gab ja ein erstes Gedicht, wo schon sehr gut zugegriffen wurde, aber in sehr satirisch verbrämter und sehr schöner Form. Und insofern war das sicherlich kein Angriff auf die Persönlichkeit selbst, sondern das war gerechtfertigt durch das Verhalten eines Staatsoberhaupts.

Kunstfreiheit und Grenzüberschreitung

von Billerbeck: Das heißt, in dem Moment, wo Böhmermann unter die Gürtellinie geht, ist Schluss mit lustig und Schluss mit Kunstfreiheit?
Hufen: Das ist in der Tat – das kann man mit Gürtellinie bezeichnen, ich sage da lieber, dass die Menschenwürde tangiert ist. Wenn der Angriff keinen sachlichen Bezug mehr hat, wenn es also nicht mehr um die Politik geht, sondern wenn die Form tatsächlich nur noch dazu ist, den anderen als Menschen zu schmähen, dann ist die Grenze überschritten, die auch das Bundesverfassungsgericht in einer ganzen Reihe von Entscheidungen gezogen hat.
Und dann, muss man sagen, geht das in der Tat zu weit, und dann ist auch die Kunstfreiheit – unterstellen wir mal, dass dies Gedicht ein Kunstwerk ist –, dann ist auch die Kunstfreiheit einschränkbar eben durch die Menschenwürde, die auch einem Diktator wie Erdogan zukommt.

Sinn und Unsinn der Vorrede Böhmermanns

von Billerbeck: Aber nun hatte Böhmermann ja diesen Text bekanntlich eingeordnet in Anführungsstrichen. Ändert das was an Ihrer Einschätzung?
Hufen: Im Ergebnis nicht. Es ist in der Tat so – er hatte ja das vorgeführt und hatte gesagt, jetzt zeigen wir Ihnen mal, was hier strafbar ist –, und da kam dann doch – das kann man ja gar nicht zitieren, was da alles kam. Aber es sind doch sehr schwerwiegende Vorwürfe. Geschlechtsverkehr mit Ziege, Sodomie, Übergriffe, im Grunde genommen die übelsten Perversionen, die wirklich fast unmenschlich sind. Und da kann man dann nicht sagen, ich pack das jetzt mal schön ein, und wenn es schön eingepackt ist, ist es nicht mehr strafbar. Oder ich weise dich darauf hin, das ist jetzt eine Satire, die ist jetzt strafbar, auch in Deutschland, und dann trete ich erst richtig zu.
Das geht nun wirklich nicht, und ich finde auch dieses Im-Zweifel-für-die-Satire-Argument und das Einpackungs-Argument, das zieht dann nicht mehr, wenn die Form so schlimm ist, dass sie tatsächlich nur noch als Eingriff in die Menschenwürde bezeichnet werden kann. Und das ist meiner Meinung nach der Fall. Es ist eine andere Frage, wie die Gerichte das dann beurteilen. Es gibt auch Kollegen, die sagen, hier steht das Satirische eindeutig im Vordergrund, aber dann frage ich mich wirklich, was ist dann noch Schmähkritik, wenn dieses nicht?

Diskussionskultur in Deutschland

von Billerbeck: Nun erleben wir ja, dass die gesamte Diskussionskultur in Deutschland härter zu werden scheint. Es gibt Hasskommentare, es gibt Beschimpfungen nicht nur von Politikern und Künstlern, sondern auch von Privatpersonen. Hilft da das Strafrecht, hilft die Verfassung, oder braucht es da andere Werkzeuge?
Hufen: Es darf nur das Strafrecht und es darf nur die Verfassung hier helfen. Wir dürfen keine Selbstjustiz in diesen Fragen bekommen. Und es ist Aufgabe der Gerichte, hier sehr genau hinzusehen. Und die Verrohung, die nicht nur im Internet, sondern auch in den Medien stattfindet, da ist natürlich die Frage, welche Schlüsse zieht man daraus? Zieht man den Schluss daraus, es ist alles verroht, und wir dürfen es immer weiter verrohen lassen, es ist alles normal, wenn wir die Menschen angreifen, in ihrer Würde tangieren, Politiker als "Schleimwesen im Kanzleramt" bezeichnen und so weiter? Das sind Dinge, die in der Tat, wie ich finde, Bedenken hervorrufen. Und ich glaube, man kann aus dem Fall Böhmermann auch den umgekehrten Schluss ziehen. Man kann sagen, jetzt muss irgendwo mal eine Grenze sein, wo auch das Menschliche, die menschliche Persönlichkeit und vor allem die Menschenwürde gewahrt werden, sei es auch eines finsteren Diktators.
von Billerbeck: Heute wird vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht über die Unterlassungsklage von Präsident Erdogan gegen den Satiriker Jan Böhmermann verhandelt. Einschätzungen waren das von dem Mainzer Staatsrechtler Friedhelm Hufen. Herr Professor, ich danke Ihnen!
Hufen: Danke Ihnen auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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