Unterkünfte für Flüchtlinge

"Der Günstigste kriegt den Zuschlag"

Zimmer in einem Asylbewerberheim in Wolgast (Mecklenburg-Vorpommern)
Zimmer in einem Asylbewerberheim in Wolgast (Mecklenburg-Vorpommern), das von der Essener Firma European Homecare betrieben wird. © dpa / picture alliance / Stefan Sauer
Volker Eick im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 30.09.2014
Eigentlich ist es Aufgabe des Staates, sich um Asylbewerber zu kümmern. Doch immer öfter werden Flüchtlingsheime von Privatfirmen betrieben - auf fragwürdiger Rechtsgrundlage, kritisiert der Politikwissenschaftler Volker Eick.
Liane von Billerbeck: Ein Handybild und ein Video aus einem Flüchtlingsheim in Nordrhein-Westfalen haben die Öffentlichkeit aufgerüttelt, weil beides zeigte, wie private Wachleute Flüchtlinge misshandelt und gedemütigt hatten. Die Empörung war auch deshalb so groß, weil klar wird, dass das offenbar kein Einzelfall war. Die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Grüne Katrin Göring-Eckardt hat deshalb auch eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung gefordert, um sich für Flüchtlinge einzusetzen.
Der Fall in Nordrhein-Westfalen hat aber auch deutlich gemacht, an welch sensiblen Orten inzwischen private oder genauer gesagt kommerzielle Wach- und Sicherheitsfirmen hoheitliche Aufgaben übernommen haben, Aufgaben also, die der Staat eigentlich für sich in Anspruch nimmt. Der Berliner Politikwissenschaftler Volker Eick beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Problematik, dass eben diese hoheitlichen Aufgaben an private Unternehmen ausgelagert werden. Herr Eick, ich grüße Sie!
Volker Eick: Guten Morgen!
von Billerbeck: Die Übergriffe auf Flüchtlinge in so einem Heim, haben Sie die überrascht?
Eick: Ehrlich gesagt, nicht.
Den politisch Verantwortlichen ist es "egal, wie mit den Leuten umgegangen wird"
von Billerbeck: Warum?
Eick: Weil wir, wenn man sich mit der Problematik auseinandersetzt, sagen müssen leider, dass das ein alltägliches Thema ist. Und ich bin mir relativ sicher, wenn Flüchtlinge von der Polizei, wie jetzt in Nordrhein-Westfalen angekündigt, befragt werden und ihnen die Möglichkeit gegeben wird, anonym zu antworten, ohne dass sie der Drangsalierung der privaten Sicherheitskräfte ausgesetzt werden nach den Befragungen, wir eine ganze Reihe von solchen Übergriffen in der Öffentlichkeit zur Kenntnis nehmen müssen.
von Billerbeck: Woran liegt es denn, dass gerade in solchen Einrichtungen, die von privaten oder kommerziellen Sicherheitsunternehmen bewacht werden, solche Übergriffe vorkommen?
Eick: Weil wir schlecht qualifiziertes Personal einsetzen. Und das setzen wir ein, weil uns diese Leute – ich erinnere an die Äußerung des Bundesinnenministers de Maizière: Flüchtlingsproblematiken müssen in den Heimatländern bearbeitet werden –, weil wir die hier nicht haben wollen. Und deswegen ist den politisch Verantwortlichen das auch egal, wie mit den Leuten umgegangen wird.
Private Sicherheitsdienste wollen Geld verdienen und nicht Menschen in Not helfen
von Billerbeck: Das heißt, für Sie ist nicht der Skandal, dass das passiert ist, sondern der Skandal, dass es überhaupt dazu kommt, dass solche privaten Firmen solche Aufgaben übernehmen?
Eick: So würde ich das nicht sagen. Ich finde das unerträglich, dass es zu diesen Übergriffen kommt. Und wir werden, das habe ich eben schon gesagt, bedauerlicherweise zu hören bekommen, dass das sehr, sehr weit verbreitet ist. Das zweite Problem ist, dass ich der Meinung bin, dass kommerzielle Sicherheitsdienste, die per Definition das Interesse haben, Geld zu verdienen und nicht Menschen in Not zu helfen, so flächendeckend und in allen möglichen und unmöglichen Bereichen eingesetzt werden.
von Billerbeck: Das heißt, der Staat sollte diese hoheitlichen Aufgaben, die er seit vielen Jahren delegiert an kommerzielle Dienste, wieder zurückholen?
Eick: Ja, auf jeden Fall.
von Billerbeck: Warum geschieht das aber nicht?
Eick: Geld regiert die Welt, um es sehr, sehr knapp zu fassen. Das ist teuer, qualifiziertes Personal einzusetzen. Und in allen Bereichen, in denen Geld gespart werden soll, weil wir angeblich kein Geld haben, wird dann zurückgegriffen auf Private, die in manchen Fällen tatsächlich und in manchen Fällen vermeintlich günstiger Dienstleistungen anbieten können.
von Billerbeck: Als ich mich auf das Gespräch vorbereitet habe, habe ich in einem Text von Ihnen gelesen, dass die privaten Wach- und Sicherheitsunternehmen hierzulande einen Umsatz von 4,8 Milliarden machen. Das ist ja ein großer Kuchen. Welche Anforderungen müsste ich denn erfüllen, angenommen, ich habe so eine Firma, wenn ich an solche öffentlichen Aufträge kommen will?
Eick: Sie müssten einigermaßen in der Lage sein, das Schriftdeutsche zu beherrschen, und sich bei einer Ausschreibung bewerben. Und dann wird die jeweilige Behörde, die zuständig ist für das von Ihnen angegebene Papier mit den zu benennenden Dienstleistungen danach entscheiden, wer von Ihnen und den anderen das günstigste Angebot macht. Und wenn Sie das günstigste Angebot machen, dann werden Sie den Auftrag bekommen.
von Billerbeck: Also: Hauptsache billig und nicht gut?
Eick: Es geht um Geld, es geht darum, der Günstigste kriegt in der Regel den Zuschlag. Wir haben in den letzten Jahren, man kann sagen: Jahrzehnten die Auseinandersetzung immer wieder darum geführt, was die Lohn- und Beschäftigungsbedingungen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im privaten Sicherheitsgewerbe angeht. Und die schlechtesten Zahlungen laufen aus Angeboten, die der öffentliche Dienst anbietet. Das heißt mit anderen Worten: Die schlechteste Bezahlung wird in der Regel akzeptiert von der Öffentlichkeit.
Keine gesetzliche Regelung über den Einsatz privater Sicherheitsfirmen
von Billerbeck: Nun könnte man ja auch sagen: Der Staat, der seine hoheitlichen Aufgaben an solche privaten kommerziellen Sicherheits- und Wachdienste delegiert, müsste doch trotzdem die Verantwortung wahrnehmen, diese Sicherheitsdienste zu kontrollieren! Wir haben gerade vor wenigen Minuten ein Interview gehört im Deutschlandfunk, geführt mit Harald Olschok, das ist der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Sicherheitswirtschaft. Und der hat da vor wenigen Minuten quasi die Vorwürfe in Richtung Staat zurückgegeben.
O-Ton Harald Olschok: Wir haben gewerberechtliche Voraussetzungen. Jeder Beschäftigte, der bei uns zum ersten Mal arbeitet, muss geprüft werden durch die Ordnungsbehörden, der Auszug aus dem Bundeszentralregister muss vorgelegt werden. Also hat hier die Aufsichtsbehörde ihre Verpflichtung eigentlich nicht erfüllt, denn es gehört mit dazu, es ist sogar seit vier, fünf Jahren möglich, zusätzlich den Verfassungsschutz mit einzuschalten.
von Billerbeck: So hat er das gesagt, Harald Olschok, der Geschäftsführer des Gewerbes. Was antworten Sie?
Eick: Zunächst einmal habe ich großes Mitleid mit Herrn Olschok. Als Geschäftsführer darf man eben viel erzählen und hat nichts zu sagen, wenn man so einem Lobbyverband vorsteht. In dem konkreten Fall, bei aller Vorsicht, ich kenne die Details nicht, würde ich sagen, tatsächlich, wenn es so gewesen sein sollte, dass die dort Beschäftigten nicht geprüft worden sind, dann ist das in der Tat ein Versehen. Auf der anderen Seite muss man wissen, wir haben in der Bundesrepublik Deutschland kein Gesetz, das den Einsatz von Wach- und Sicherheitsunternehmen regelt. Und zuständig sind Gewerbeaufsichtsämter, die hoffnungslos überfordert sind.
Einsätze aufgrund von Jedermann- und Notwehrrecht
von Billerbeck: Das heißt, wenn wir keine gesetzliche Regelung hier haben: Auf welcher Basis arbeiten und handeln diese Wachleute?
Eick: Es wird viele überraschen, die sich mit der Thematik nicht auseinandersetzen, aber die Rechtsgrundlagen sind tatsächlich nur die sogenannten Jedermann- und Notwehrrechte, so wie das Recht auf vorläufige Festnahme. Also im Grunde genommen dieselben Rechte, die Sie haben, die ich habe, die Ihre Kolleginnen vor Ort haben. Und es gibt zusätzlich die Gewerbeordnung, die eben beispielsweise festlegt, dass sie ein Führungszeugnis vorlegen müssen und zweimal 40 Stunden bei der Industrie- und Handelskammer mehr oder weniger aufmerksam lauschen müssen, dann können sie so ein Unternehmen aufnehmen. Es gibt kein Gesetz ...
von Billerbeck: Habe ich Sie richtig verstanden, Herr Eick, die Rechtsgrundlagen sind also die Notwehrrechte, also, der extreme Ausnahmefall ist die alltägliche Handlungsgrundlage für Sicherheitsfirmen?
Eick: In der Tat.
von Billerbeck: Der Politologe Volker Eick, der seit vielen Jahren die aus Kostengründen erfolgte Privatisierung hoheitlicher Aufgaben beobachtet und kritisiert. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Eick: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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