Unterhauswahl in Großbritannien

Mays Schlingerkurs könnnte Stimmen kosten

Bildkombination der britischen Premierministerin Theresa May und Labour-Chef Jeremy Corbyn
Wie viele Stimmen kann Labour-Chef Jeremy Corbyn Premierministerin Theresa May abluchsen? © JOHN THYS, Paul ELLIS / AFP
Von Burkhard Birke · 08.06.2017
Die Unterhauswahl in Großbritannien könnte spannender werden als gedacht. Premierministerin Theresa May hat in den letzten Monaten durch ihr Hin und Her für Irritationen gesorgt - davon könnte ihr Labour-Kontrahent Corbyn profitieren.
Theresa May will den Nationalgeist wieder zum Leben erwecken und zeigen, dass Großbritannien Großes schafft. Jeremy Corbyn ist stolz auf seinen Wahlkampf und die positive Botschaft. Er will ein Großbritannien für viele, nicht nur für ein paar wenige:
"Entweder schlagen Sie den dürren Weg der Schließungen, Privatisierungen, Ungleichheit der Tories ein oder Sie nehmen den anderen Weg."
Den von Labour mit Abschaffung der Studiengebühren, Stabilisierung des Gesundheitsdienstes durch 30 Milliarden Pfund in den kommenden Jahren, einem Milliarden Investitionsfonds, der Wieder-Verstaatlichung von Bahn, Post und Wasserwerken und der Anhebung des Mindestlohnes auf zehn Pfund die Stunde. Das Ganze finanziert durch Steuererhöhungen für die oberen fünf Prozent und die Unternehmen. Als linker Utopist von Mitgliedern seiner eigenen Partei abgeschrieben hat Jeremy Corbyn im Wahlkampf einen Nerv in der Bevölkerung getroffen, besonders unter jungen Menschen.

May gibt sich siegesgewiss

Mit seiner Haltung zum Brexit wird er sich allein und nackt im Verhandlungsraum wiederfinden, bezweifelte indes Premierministerin Theresa May seine Führungsqualitäten. Sie sei sehr wohl bereit, die nötigen schwierigen Führungsentscheidungen zu fällen.

Elf Tage nach der Wahl beginnen die Verhandlungen. Kein Deal ist besser als ein schlechter Deal: Mit dieser Position will die Premierministerin starten. Labourführer Corbyn indes will den Binnenmarkt möglichst retten und die Rechte der EU Bürger sowie die der Briten auf dem Kontinent wahren.
Außer den in den Umfragen weit abgeschlagenen Liberaldemokraten will momentan jedoch niemand am Brexit selbst rütteln.
"Da wird eine riesige Lücke klaffen zwischen der Realität und Brexit -Versprechungen wie 350 Millionen Pfund pro Woche für das Gesundheitssystem, Mehrwertsteuersenkungen. Deshalb wollen wir dazu ein Referendum",
erläutert der frühere Vizepremier Nick Clegg von den Liberaldemokraten. Auf mehr als ein Dutzend der insgesamt 650 Abgeordnetenmandate kann seine Partei freilich nicht hoffen.

Schottland peilt ein zweites Unabhängigkeitsreferendum an

Anders die schottischen Nationalisten der Scottish Nationalist Party, SNP:
Nicola Sturgeon:
"Eine Stimme für die SNP wird Schottlands Position gegen die Kürzungen der Konservativen, gegen einen extremen Brexit und unser Recht stärken, unser Schicksal selbst in die Hand zu nehmen."
Schottlands Erste Ministerin Nicola Sturgeon
Schottlands Erste Ministerin Nicola Sturgeon© AFP / Andy Buchanan
Je nach Ausgang der Brexitverhandlungen will Parteichefin Nicola Sturgeon ein zweites Unabhängigkeitsreferendum. Die SNP hält momentan 56 der 59 Unterhaussitze in Schottland, könnte zum Zünglein an der Waage werden, muss aber Verluste fürchten. Die Konservativen könnten entscheidende Sitze auch in Schottland erobern.
Beim geltenden Mehrheitswahlrecht zählt jede Stimme, vor allem in den vier, fünf Dutzend heiß umkämpften Bezirken auf der Insel. Lange sah es nach einem Durchmarsch für Theresa May und ihre Tories aus. Sie versprechen Unternehmenssteuern zu senken, acht Milliarden ins Gesundheitssystem zu pumpen und Bürokratie abzubauen.
Ärger gab es jedoch wegen der zunächst vorgeschlagenen und dann wieder eingegrenzten stärkeren Beteiligung älterer Menschen an den Pflegekosten. Statt eiserne Lady wurde Theresa May 'Königin der Kehrtwenden' getauft und nach drei Terrorattacken in weniger als drei Monaten hart attackiert: Als Innenministerin hatte sie 20 000 Polizisten abgebaut. Damit sei jetzt Schluss, und:

"Längere Gefängnisstrafen für verurteilte Terroristen, ausländische Terrorverdächtige sollen leichter in ihre Länder abgeschoben werden können. Und sollte die Menschenrechtsgesetzgebung dem im Weg stehen, dann werden wir die Gesetze ändern."
Noch eine Kehrtwende von Credos der Konservativen? Die Briten haben die Wahl: eine wankelmütige, aber sich entschlossen gebende Theresa May oder ein unerfahrener, aber authentischer und sozialer Jeremy Corbyn? Die Umfragen prognostizieren einen Sieg der Tories, aber ihr gigantischer Vorsprung ist geschmolzen und eine Überraschung nicht ausgeschlossen.
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