Unsicherheit als Chance

07.05.2013
Worauf sollte man sich verlassen beim Umgang mit komplexen Risiken - auf den Verstand oder das Bauchgefühl? Auf beides, sagt Gerd Gigerenzer und hebt sich damit wohltuend von einer ganze Reihe Sachbücher aus jüngerer Zeit ab. Weder macht er sich über die Irrtümer der Intuition lustig, noch beklagt er das mangelnde Gefühl für Logik.
Stattdessen ist der Direktor des Berliner Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung voller Optimismus: Gerd Gigerenzer glaubt, dass sich jeder auch bei komplexen Problemen mithilfe des eigenen Geistes weiterhelfen kann. Die wohlmeinende Führung durch Politiker oder Experten leite dagegen oft in die Irre. "Sie müssen selber denken", schreibt der Psychologe und belegt auf 400 Seiten, wie irrational Umgang mit Risiko allgemein ist.

Beispiel Gesundheitswesen. Die meisten Menschen gehen zum Arzt ihres Vertrauens und verlassen sich auf dessen Rat. Dabei können nur die wenigsten Ärzte ihren Patienten zum Beispiel wirklich erklären, welchen Wert ein Krebstest hat. Dazu müssten sie etwas über die Güte des Tests wissen, aber auch über die Häufigkeit der Erkrankung. Und genau daran scheitern sie und verirren sich im Zahlendschungel der Wahrscheinlichkeitsrechnung. Gigerenzer hat Hilfsmittel entwickelt, mit denen auch Laien solche Rechnung selbst in den Griff bekommen. Bei medizinischen Tests und Medikamenten sind die relevanten Informationen meist bekannt, es geht um den Umgang mit im Grunde bekannten Unsicherheiten. Und den gilt es zu lernen, so der Psychologe.

Mathematische Logik hat ihre Grenzen
Beispiel Finanzmarkt. Die besten mathematischen Modelle der Banken konnten die Krise von 2007 nicht vorhersagen, weil sie nur die Vergangenheit abbildeten. Bei Unvorhergesehenem versagten diese Systeme. Denn Logik kann mit unbekannten Unsicherheiten nicht umgehen. Hier sei es besser, sich auf einfache Entscheidungsregeln zu verlassen, so Gigerenzer. Unterschreiben Sie also nichts, was Sie nicht versteht. Klingt selbstverständlich, doch diese einfachen Regeln werden oft nicht beherzigt.

Die bewusste Logik und die unbewussten Regeln haben beide ihren Platz beim Umgang mit Risiken. Es kommt darauf an zu wissen, wo Verstand und Bauchgefühl jeweils ihre Stärken und Schwächen haben. Genauso wichtig ist es, Risiken einzuschätzen. So hat die Schweinegrippe Panik versursacht, aber nur wenige getötet. Umgekehrt fürchten sich nur wenige vor wahren Killern wie dem Zigarettenrauchen. Gigernezer will deshalb Risikokompetenz vermitteln. Der beste Ort dafür wäre - ihm zufolge - die Schule. Schon Viertklässler können Wahrscheinlichkeiten verstehen, wenn sie richtig erklärt werden. An praktischen Aufgaben ließe sich den Kindern ein Rüstzeug für den Umgang mit Risiken vermitteln, so der Autor.

Sein Buch gibt aber schon heute wertvolle Tipps für das nächste Beratungsgespräch. Auch wenn am Ende nicht alle Entscheidungen richtig gefällt werden - das verspricht Gerd Gigerenzer auf keiner Seite seines klugen Buches -, so ermutigt er seine Leser doch zu mehr Selbstvertrauen. Unsicherheit gehört zum Leben und Risiken bieten Chancen. Es kommt darauf an, sich in diesem Spannungsfeld mit dem eigenen Verstand und der eigenen Intuition zu orientieren.

Besprochen von Volkart Wildermuth

Gerd Gigerenzer: Risiko - Wie man die richtigen Entscheidungen trifft
C. Bertelsmann Verlag, München 2013
400 Seiten, 19,99 Euro
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