"Unsere Soldaten müssen kämpfen"
Weil sich die Sicherheitslage im Einsatzgebiet erheblich verändert habe, müsse die Strategie für Afghanistan geändert werden, fordert Ex-Nato-General Klaus Reinhardt. Das Mandat sei zwar breit genug aufgestellt, die Soldaten bräuchten aber Sicherheit, nach welcher Rechtsnorm ihr Einsatz zukünftig interpretiert wird.
Christopher Ricke: Die NATO wird so lange in Afghanistan bleiben, bis das Land aus eigener Kraft den Terrorismus bekämpfen kann. Das sagt ganz aktuell NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen. US-Präsident Barack Obama hat Anfang Dezember die Entsendung von zusätzlich 30.000 US-Soldaten nach Afghanistan angekündigt und die Bundeswehr, die klagt besonders in der Unruheregion Kundus darüber, dass es an Kampftruppen mangele, während die Mandatsobergrenze von 4.500 Soldaten praktisch ausgeschöpft sei. Aber über eine Aufstockung der deutschen Truppen will die Bundesregierung erst im Zusammenhang mit der Afghanistan-Konferenz Ende Januar in London entscheiden. Insgesamt läuft die Diskussion.
Braucht Deutschland eine neue Afghanistan-Strategie und wenn ja, welche und zu welchem Zeitpunkt? Ich spreche jetzt mit General a.D. Klaus Reinhardt. Er war Befehlshaber des Heeresführungskommandos und der KFOR-Friedenstruppe im Kosovo. Guten Morgen, Herr Reinhardt!
Klaus Reinhardt: Guten Morgen, Herr Ricke!
Ricke: Kann man denn das aktuelle Bundestagsmandat, das Mandat der Bundeswehr für Afghanistan, so interpretieren, dass es reicht, oder brauchen wir mittelfristig ein neues?
Reinhardt: Ich glaube, zunächst gibt es keine reine deutsche Strategie, die geändert werden muss, sondern es muss sich die Strategie der NATO insgesamt ändern und darüber wird ja Ende Januar wohl diskutiert werden und es wird wohl in die Richtung gehen, die Barack Obama angegeben hat.
Wenn ich mir das Mandat betrachte und durchlese, was ja jetzt gerade erneuert worden ist für ein neues Jahr, dann ist es so breit gefasst, dass es auch die Erfordernisse unserer deutschen Soldaten absteckt.
Insbesondere aber ist bisher eine Frage offengeblieben, wie nun dieser Einsatz letztendlich interpretiert wird, ob er ein Polizeieinsatz, ein Einsatz, wie er bis jetzt bei Auslandseinsätzen üblich war, ist, oder ob es ein Einsatz ist, der nach dem Kriegsrecht, nach dem Kriegsvölkerrecht abzuhandeln ist – eine der ganz entscheidenden Fragen, die geklärt werden müssen, an der die Generalbundesanwältin dran ist, aber sie hat gesagt, das dauert noch eine ganze Zeit.
Ricke: Wie ungeklärt diese Frage ist, erleben wir ja gerade an der politischen Diskussion über den Luftschlag von Kundus und seine Folgen, ob es darum geht, einen Anschlag zu verhindern, ob es darum geht, Taliban zu jagen. Wird denn aus Sicht eines Militärs diese politische Diskussion korrekt geführt?
Reinhardt: Die politische Diskussion wird sehr unterschiedlich geführt und viel von der roten Couch in Talkshows. Die Rahmenbedingungen unserer Soldaten vor Ort werden zu wenig berücksichtigt. Sie hatten schon richtig gesagt: Die Situation in Kundus hat sich massiv geändert. Das war ja eine relativ ruhige Lage dort oben, die sich dadurch geändert hat, dass aus Tadschikistan durch die Provinz Kundus eine der Hauptversorgungsstraßen für die Amerikaner aufgemacht worden ist, die die Taliban zu unterbrechen versuchen, wie wir das in Kundus gesehen haben, als sie die beiden Tanklastzüge dort rausgeholt haben.
Damit ist die Sicherheitslage massiv geändert und unsere Soldaten sind im Kampf, sie müssen kämpfen. Sie können sich nicht nur defensiv verteidigen im Rahmen der Selbst- und Notwehrhilfe, sondern sie müssen auch aktiv eingreifen, um den Gegner dort, wo er ihnen gefährlich wird, zu packen. Dies ist eine völlig andere Situation, die im Grunde genommen auch von der Rechtsfrage her, wie ich das vorhin schon angedeutet habe, eine grundsätzliche Überprüfung bedarf, damit die Soldaten im Zweifelsfall keine Angst haben, von ihrer Waffe Gebrauch zu machen, nach dem Motto: Wenn ich die Waffe gebrauche, werde ich gegebenenfalls anschließend angeklagt.
Ricke: Aber reicht es da, den Soldaten neue Taschenkarten zu geben, wo draufsteht, was sie in bestimmten Situationen tun sollen und tun dürfen? Reicht das wirklich? Brauchen wir nicht doch ein neues, klares Mandat?
Reinhardt: Die Taschenkarte alleine ist eine Anpassung an die Rahmenbedingungen, aber das Mandat als solches ist richtig. Die Frage ist: Wie wird das Mandat ausgelegt? Wie wird das Mandat auf der Rechtsebene ausgelegt? Der Staatsrechtler und frühere Bundesverteidigungsminister Scholz hat sehr eindeutig klargemacht, dass hier nach den Grundsätzen des Kriegsvölkerrechts gearbeitet werden muss, und alle anderen ISAF-Nationen sehen das ganz genauso, dass das ein kriegerischer Einsatz ist.
Dieser kriegerische Einsatz ist durch das Mandat abgedeckt. Er muss nur bei der Frage der Rechtsumsetzung nachher, wenn etwas passiert ist, zu Hause in andere Kategorien gebracht werden. Da ist man wohl dran, dadurch, dass man den Fall Kundus an den Generalbundesanwalt abgegeben hat, aber wo man landen wird, das weiß ich nicht, und das ist eine große Unsicherheit, die unsere Soldaten beunruhigt und die auch die Motivation natürlich beeinträchtigt.
Ricke: Die Diskussion hat ja schon die Verfassungsrechtler erreicht. Der verteidigungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Ernst-Reinhard Beck, denkt schon laut darüber nach, ob die sicherheitspolitisch relevanten Artikel des Grundgesetzes überhaupt für Afghanistan ausreichen, ob man eine Änderung erwägen muss. Verkürzt gefragt: Engt uns das Grundgesetz ein? Brauchen wir mehr Freiheit, um Krieg führen zu können?
Reinhardt: Wir wollen ja dort nicht unbedingt Krieg führen. Man ist gezwungen worden in eine Kriegsführung durch die Angriffe der Taliban. Ich glaube nicht, dass man deswegen das Grundgesetz ändern muss, aber ich glaube, die Frage, ist das hier weiter nach Staatsrecht und nach Strafrecht unseres Staates abzuurteilen, wenn etwas vorgefallen ist, wenn es Tote gegeben hat, oder wird es nach dem Kriegsvölkerrecht abgeurteilt, das ist die entscheidende Frage und dafür muss ich nicht das Grundgesetz ändern, sondern ich muss mich entscheiden, für welche dieser beiden Rechtsnormen wir uns letztendlich festlegen wollen.
Ricke: Wer entscheidet das? Das Parlament, der Verteidigungsminister?
Reinhardt: Ich denke, das muss das Parlament entscheiden. Der Verteidigungsminister ist mit Sicherheit dran und wird Vorgaben machen, das Kabinett wird darüber beraten, aber letztendlich sind wir eine Parlamentsarmee. Das Parlament hat das Mandat gegeben, hat das Mandat jetzt gerade erneuert, also muss auch das Parlament darüber entscheiden, wie es weitergeht.
Braucht Deutschland eine neue Afghanistan-Strategie und wenn ja, welche und zu welchem Zeitpunkt? Ich spreche jetzt mit General a.D. Klaus Reinhardt. Er war Befehlshaber des Heeresführungskommandos und der KFOR-Friedenstruppe im Kosovo. Guten Morgen, Herr Reinhardt!
Klaus Reinhardt: Guten Morgen, Herr Ricke!
Ricke: Kann man denn das aktuelle Bundestagsmandat, das Mandat der Bundeswehr für Afghanistan, so interpretieren, dass es reicht, oder brauchen wir mittelfristig ein neues?
Reinhardt: Ich glaube, zunächst gibt es keine reine deutsche Strategie, die geändert werden muss, sondern es muss sich die Strategie der NATO insgesamt ändern und darüber wird ja Ende Januar wohl diskutiert werden und es wird wohl in die Richtung gehen, die Barack Obama angegeben hat.
Wenn ich mir das Mandat betrachte und durchlese, was ja jetzt gerade erneuert worden ist für ein neues Jahr, dann ist es so breit gefasst, dass es auch die Erfordernisse unserer deutschen Soldaten absteckt.
Insbesondere aber ist bisher eine Frage offengeblieben, wie nun dieser Einsatz letztendlich interpretiert wird, ob er ein Polizeieinsatz, ein Einsatz, wie er bis jetzt bei Auslandseinsätzen üblich war, ist, oder ob es ein Einsatz ist, der nach dem Kriegsrecht, nach dem Kriegsvölkerrecht abzuhandeln ist – eine der ganz entscheidenden Fragen, die geklärt werden müssen, an der die Generalbundesanwältin dran ist, aber sie hat gesagt, das dauert noch eine ganze Zeit.
Ricke: Wie ungeklärt diese Frage ist, erleben wir ja gerade an der politischen Diskussion über den Luftschlag von Kundus und seine Folgen, ob es darum geht, einen Anschlag zu verhindern, ob es darum geht, Taliban zu jagen. Wird denn aus Sicht eines Militärs diese politische Diskussion korrekt geführt?
Reinhardt: Die politische Diskussion wird sehr unterschiedlich geführt und viel von der roten Couch in Talkshows. Die Rahmenbedingungen unserer Soldaten vor Ort werden zu wenig berücksichtigt. Sie hatten schon richtig gesagt: Die Situation in Kundus hat sich massiv geändert. Das war ja eine relativ ruhige Lage dort oben, die sich dadurch geändert hat, dass aus Tadschikistan durch die Provinz Kundus eine der Hauptversorgungsstraßen für die Amerikaner aufgemacht worden ist, die die Taliban zu unterbrechen versuchen, wie wir das in Kundus gesehen haben, als sie die beiden Tanklastzüge dort rausgeholt haben.
Damit ist die Sicherheitslage massiv geändert und unsere Soldaten sind im Kampf, sie müssen kämpfen. Sie können sich nicht nur defensiv verteidigen im Rahmen der Selbst- und Notwehrhilfe, sondern sie müssen auch aktiv eingreifen, um den Gegner dort, wo er ihnen gefährlich wird, zu packen. Dies ist eine völlig andere Situation, die im Grunde genommen auch von der Rechtsfrage her, wie ich das vorhin schon angedeutet habe, eine grundsätzliche Überprüfung bedarf, damit die Soldaten im Zweifelsfall keine Angst haben, von ihrer Waffe Gebrauch zu machen, nach dem Motto: Wenn ich die Waffe gebrauche, werde ich gegebenenfalls anschließend angeklagt.
Ricke: Aber reicht es da, den Soldaten neue Taschenkarten zu geben, wo draufsteht, was sie in bestimmten Situationen tun sollen und tun dürfen? Reicht das wirklich? Brauchen wir nicht doch ein neues, klares Mandat?
Reinhardt: Die Taschenkarte alleine ist eine Anpassung an die Rahmenbedingungen, aber das Mandat als solches ist richtig. Die Frage ist: Wie wird das Mandat ausgelegt? Wie wird das Mandat auf der Rechtsebene ausgelegt? Der Staatsrechtler und frühere Bundesverteidigungsminister Scholz hat sehr eindeutig klargemacht, dass hier nach den Grundsätzen des Kriegsvölkerrechts gearbeitet werden muss, und alle anderen ISAF-Nationen sehen das ganz genauso, dass das ein kriegerischer Einsatz ist.
Dieser kriegerische Einsatz ist durch das Mandat abgedeckt. Er muss nur bei der Frage der Rechtsumsetzung nachher, wenn etwas passiert ist, zu Hause in andere Kategorien gebracht werden. Da ist man wohl dran, dadurch, dass man den Fall Kundus an den Generalbundesanwalt abgegeben hat, aber wo man landen wird, das weiß ich nicht, und das ist eine große Unsicherheit, die unsere Soldaten beunruhigt und die auch die Motivation natürlich beeinträchtigt.
Ricke: Die Diskussion hat ja schon die Verfassungsrechtler erreicht. Der verteidigungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Ernst-Reinhard Beck, denkt schon laut darüber nach, ob die sicherheitspolitisch relevanten Artikel des Grundgesetzes überhaupt für Afghanistan ausreichen, ob man eine Änderung erwägen muss. Verkürzt gefragt: Engt uns das Grundgesetz ein? Brauchen wir mehr Freiheit, um Krieg führen zu können?
Reinhardt: Wir wollen ja dort nicht unbedingt Krieg führen. Man ist gezwungen worden in eine Kriegsführung durch die Angriffe der Taliban. Ich glaube nicht, dass man deswegen das Grundgesetz ändern muss, aber ich glaube, die Frage, ist das hier weiter nach Staatsrecht und nach Strafrecht unseres Staates abzuurteilen, wenn etwas vorgefallen ist, wenn es Tote gegeben hat, oder wird es nach dem Kriegsvölkerrecht abgeurteilt, das ist die entscheidende Frage und dafür muss ich nicht das Grundgesetz ändern, sondern ich muss mich entscheiden, für welche dieser beiden Rechtsnormen wir uns letztendlich festlegen wollen.
Ricke: Wer entscheidet das? Das Parlament, der Verteidigungsminister?
Reinhardt: Ich denke, das muss das Parlament entscheiden. Der Verteidigungsminister ist mit Sicherheit dran und wird Vorgaben machen, das Kabinett wird darüber beraten, aber letztendlich sind wir eine Parlamentsarmee. Das Parlament hat das Mandat gegeben, hat das Mandat jetzt gerade erneuert, also muss auch das Parlament darüber entscheiden, wie es weitergeht.