Unsentimentales Debüt im Schnodderton

23.09.2008
Die 17-jährige Alexandra Naimann ist mit ihren Geschwistern aus Russland nach Deutschland gekommen. Sie alle leben in einer Hochhaussiedlung. Wer hier Betroffenheitsprosa erwartet, wird enttäuscht, denn die Heldin ist hoch intelligent und beschreibt das harte Leben im sozialen Brennpunkt völlig unsentimental mit schnoddrig-forschem Ton.
Vom unverlangt eingesandten Manuskript zum Spitzentitel – so wirbt Kiepenheuer & Witsch für seine Autorin Alina Bronsky und legt die Messlatte damit hoch. Zu Recht? Die 1978 im russischen Jekaterinburg und heute im Hessischen lebende Debütantin führt die Leser in eine Gegend, die man gemeinhin als sozialen Brennpunkt bezeichnet, in die Hochhaussiedlung "Solitär", wo vom Glück Begünstigte mit Sicherheit nie Wohnung nähmen. Die 17-Jährige, einst aus Russland nach Deutschland gekommene Alexandra Naimann, genannt Sascha, wohnt dort mit ihren Halbgeschwistern Alissa und Anton, betreut von einer sibirischen Verwandten, die tapfer versucht, die auseinandergebrochene Familie mit dem Nötigsten zu versorgen.

Viel Leid liegt hinter Sascha: Ihr Stiefvater Vadim sitzt im Gefängnis, weil er Saschas Mutter nebst Partner rüde ins Jenseits beförderte - eine Tat, die in Sascha einen ausgeprägten Männerhass wachsen ließ und nur eine Konsequenz kennt: Sascha will alles daransetzen, den verhassten Mörder zu töten, mit welchen Mitteln auch immer.

Eine Sympathieträgerin sieht anders aus, und dennoch gelingt es Alina Bronsky, ihre Ich-Erzählerin zu einer facettenreichen Figur zu machen. Diese ist kein Beispiel für eine im Elend versinkende Jugendliche, die aufgrund ihrer zerrütteten Verhältnisse alsbald auf die schiefe Bahn geraten wird. Im Gegenteil, ihre Begabung bringt sie als einzige Bewerberin "mit Migrationshintergrund" auf ein elitäres katholisches Privatgymnasium.

Was Sascha in ihrem Alltag erlebt, lässt Alina Bronsky den ganzen Roman lang als klassische Rollenprosa Revue passieren, mit schnoddrig-forschem Ton, frechen Dialogen und scharfem Blick für Alltagsabsonderlichkeiten.

Alina Bronsky hat einen Roman geschrieben, der der bröckelnden Hochhausfassade und dem Jugendtreff "Scherbenpark" keinen sentimentalen Anstrich verleiht – weder, wenn es um menschliche Töne im Umgang der Benachteiligten geht, noch, wenn das von Alkohol, Gewalt, toten Hamstern und scheiternden Beziehungen überreiche Tageseinerlei am gesellschaftlichen Rand eingefangen wird.

Die Intelligenz der Wortführerin verhindert, dass hier eine auf Betroffenheit abzielende Mitleidsprosa erzeugt wird. Sascha weiß, dass Elend noch kein Ausweis für Exzellenz ist, und sie weiß das ihrer Umgebung offenherzig mitzuteilen: "'Ich kann nur mit Männern, die lesen können', presse ich zwischen den Zähnen hervor. Wahrscheinlich reitet mich gerade der Teufel. 'Daran wird es scheitern, Peterchen. Hartz IV und gebrochenes Deutsch machen mich einfach nicht an. Da habe ich Orgasmus-Probleme."

Alina Bronsky schreibt knapp 300 Seiten hochtourig, und natürlich führt das dazu, dass in "Scherbenpark" etliches mit zu rasantem und zu dickem Pinsel aufgetragen wird und manche Nebenfigur klischiert wirkt. Wo die Töne indes leiser werden, gelingen erstaunliche Szenen – so als Sascha die Bekanntschaft mit einem Journalisten und dessen 16-jährigen Sohn macht und sich eine aparte Dreiecksliaison entspinnt. Am Ende geht Saschas Reise weiter, wohin auch immer. Vielleicht werden wir das im nächsten Roman dieser viel versprechenden Autorin erfahren.

Rezensiert von Rainer Moritz

Alina Bronsky: Scherbenpark, Roman, Verlag Kiepenheuer & Witsch, 2008. 287 Seiten, 16,95 Euro