Unsentimentale Beobachtungen aus dem Krieg

18.09.2009
Curzio Malaparte schloss sich 1922 den Faschisten unter Mussolini an, landete aber wegen regimekritischer Texte im Gefängnis und kämpfte auf Seiten der Alliierten gegen die Wehrmacht. Sein Roman "Die Haut" zeigt schonungslos die Verheerungen des Krieges. Matthias Habich intoniert gekonnt die verschiedenen Blickwinkel.
"Es waren die Tage der 'Pest' in Neapel."

So beginnt Malapartes Roman "Die Haut". Es ist eine apokalyptische Reise durch Hunger, Elend und Tod. Sie handelt vom moralischen Verfall, dem die Stadt, die stellvertretend für das Land, ja für ganz Europa steht, durch die Gräuel des Krieges und nicht zuletzt durch die Begegnung mit den amerikanischen Befreiern ausgesetzt ist. Malaparte, der deutschstämmige Italiener, erlebte die Befreiung auf Seiten der Alliierten. Als Verbindungsoffizier zu den Amerikanern schildert er den Vormarsch aus den verschiedensten Perspektiven.

"Hässliche, zerlumpte Frauen ... standen an den Straßenecken herum und boten den Vorübergehenden ihre traurige Ware feil: Knaben und Mädchen von acht bis zehn Jahren, denen die Marokkaner, Inder, Algerier, Madegassen prüfend unter die Kleider tasteten oder mit der Hand zwischen die Knöpfe der kleinen Hosen griffen. Die Frauen priesen gellend an: 'Two dollars the boys, three dollars the girls!'
"Sei ehrlich: Möchtest du so ein Mädchen zu drei Dollar?', fragte ich Jack. 'Das ist gar nicht teuer, ein Mädchen für drei Dollar. Ein Kilo Lammfleisch kostet sehr viel mehr'."

Es ist ein Buch voller schockierender Bilder, das Partei ergreift für die einfachen Leute. "Ich bin immer auf Seiten des Wilds, nicht auf der des Jägers", sagte Malaparte schon in seinem 1944 erschienenen Roman "Kaputt". Wie dort beschreibt er in symbolistischer Manier den Überlebenskampf des Einzelnen und das Verderben, die "Fäulnis der Menschenseele".

"Ähnlich einem alten abgefleischten, von Regen und Wind gebleichten Knochen stand der Vesuv einsam und nackt im unendlichen, wolkenlosen Himmel ... Zerlumpte Jungen, auf der über dem Meer aufragenden steinernen Brüstung sitzend, sangen und richteten ihre Blicke nach oben, den Kopf leicht auf die Schultern zurückgeneigt. Ihre Gesichter waren abgezehrt und bleich, die Augen vor Hunger erloschen. ... Nichts Menschliches ist in der Stimme des Hungers."

Matthias Habich, der zu den Großen unter den Charakterdarstellern gehört, ist ein Spezialist für sperrige Rollen. Es sind die intellektuellen Einzelgänger, die der heute knapp Siebzigjährige auf den deutschsprachigen Bühnen, aber auch in Filmen gespielt hat. Vielfach geehrt für seine Darstellung der Titelrolle in dem TV-Mehrteiler "Viktor Klemperer" ist Habich kein Schauspieler, der in bequeme Serien passt. "Ich muss", sagt er, "in einem Buch einen Knochen finden."

In Malapartes Roman erfasst er nuanciert den kosmopolitischen Dandy, den manchmal selbstmitleidigen und egomanen Menschen, der zugleich ein so scharfer Beobachter seiner Umgebung ist.

"'Wenn die Japaner Amerika besetzt hätten', sagte ich, 'und sich mit euren Frauen so aufgeführt hätten, wie ihr euch mit den unseren aufführt, was würden Sie da sagen, Mrs. Flat?'
'Aber wir sind keine Japaner!', warf Oberst Brand ein.
'Die Japaner sind Farbige', sagte Mrs. Flat.
'Für besiegte Völker', sagte ich, 'sind alle Sieger Farbige.'
... Alle blickten verwundert und bekümmert auf mich: schlichte arglose Männer, Amerikaner, die reinsten und gerechtesten unter den Menschen."

Die stille Bewunderung Malapartes für die Amerikaner intoniert Habich genauso gekonnt wie die blanke Verachtung. Mit mal hochfahrendem, mal mit kaltem Gestus fächert er die ganze Bandbreite von der Ironie bis zum Sarkasmus auf. Und nahezu übergangslos wechseln Boshaftigkeit und Trauer einander ab.

Über allem aber liegt ein Ton der Kühle, fernab von jeglicher Sentimentalität. Es ist der Ton eines Chronisten, der in die Abgründe der menschlichen Existenz leuchtet, um sie wie die Moralisten der Aufklärung für immer in die Annalen der Menschheit einzuschreiben. Denn, so Malaparte, die Rettung der eigenen Haut ist nichts anderes als eine Metapher für den Verlust der Humanität.

"Es ist nichts als die Haut, was heute zählt. An Sicherheit, an Fassbarem, an Unbestreitbarem gibt es nichts außer der nackten Haut. Sie ist das einzige, was wir besitzen. Was uns gehört. Das vergänglichste Ding, das es in der Welt gibt. Nur die Seele ist unsterblich, o Jammer! Aber was gilt die Seele heutzutage?"

Es gibt kaum einen Roman, der die Verheerungen des Krieges, die nicht aufhören auch lange, nachdem er beendet ist, eindringlicher, bildgewaltiger und verstörender schildert als "Die Haut". Von seiner Aktualität hat er nichts verloren: ein Klassiker, der unter die Haut geht.

Besprochen von Edelgard Abenstein

Curzio Malaparte: Die Haut
Aus dem Italienischen von Helmut Ludwig. Gelesen von Matthias Habich
Osterwold-Audio, Hörbuch, Hamburg 2009
6 CD, 24,95 EUR