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Stéphane Mallarmé
Der heimliche Fürst unter den Dichtern

Bis heute ist Stéphane Mallarmé einer der berühmtesten Dichter Frankreichs. Dabei legte der Wegbereiter der modernen Lyrik nie Wert auf ein großes Publikum. Unter Eingeweihten war er schon zu Lebzeiten eine Legende. Vor 175 Jahren wurde er geboren.

Von Maike Albath | 18.03.2017
    Der französische Schriftsteller Stéphane Mallarmé im Jahr 1893.
    Der französische Schriftsteller Stéphane Mallarmé im Jahr 1893. (AFP)
    Im Dezember 1863 tritt ein 21-jähriger Aushilfslehrer für Englisch seinen Dienst am Gymnasium von Tournon in der Ardèche an. Der junge Mann, ausgestattet mit einem eindrucksvollen Schnurrbart und einer deutschen Ehefrau, schreibt sehnsuchtsvolle Gedichte über Blumen, den Mond oder die Meeresbrise.
    "Das Fleisch ist trauernd, ach! Und alle Bücher las ich.
    O fliehen dorthin fliehn! Ich weiß dass Vögel trunken
    Inzwischen unbekanntem Schaum und Himmel sind."
    Stéphane Mallarmé heißt der junge Mann. Sein hoher Ton entspricht seiner kompromisslosen Begeisterung für die reine Poesie. Er geht vom Zustand der Seele aus und will das, was hinter der Wirklichkeit liegt, begreiflich machen. Neuartig in Rhythmus, Phrasierung und Wortwahl, so sollte seine Lyrik sein!
    "Nichts – auch die alten Gärten die das Auge spiegelt
    Nicht – hält dies Herz zurück das sich im Meere badet."
    Für Mallarmé wurde der Klang seiner Verse immer wichtiger
    Mallarmé stammte aus Paris, wo er am 18. März 1842 als Sohn eines Beamten geboren wurde. Seine Mutter starb, als er fünf Jahre alt war, er kam zur Großmutter und später auf verschiedene Internate, die er wegen schlechten Betragens wieder verlassen musste. Unterdessen arbeitete er rastlos an Gedichten, freundete sich mit Gleichgesinnten an, ging für eine Weile nach London und verschlang Baudelaire.
    Nach seiner Heirat bestritt Stéphane Mallarmé, der bald Vater wurde, den Unterhalt für seine kleine Familie als Gymnasiallehrer mit Stationen in Besançon, Avignon und schließlich ab 1871 wieder in Paris. Bereits Mitte der 60er-Jahre waren erste Entwürfe seines Langgedichts "Der Nachmittag eines Fauns" entstanden. Klaus Kinski rezitiert es in der Nachdichtung von Paul Zech:
    "Besingen will ich sie, die Nymphen meiner Träume,
    die weißen Leiber flimmern, wie der Duft von Rosen in der schlummerschweren Luft,
    gewiegt vom Wind in den erschrockenen Bäumen,
    Besingen will ich sie, als hätt die Wirklichkeit mich nie genarrt …"
    Für Mallarmé wurde der Klang seiner Verse immer wichtiger - sie sollten vage und schwebend wirken, ihre Bedeutung war zweitrangig. Der Dichter habe sich an Eingeweihte zu richten, betonte er in seinen poetologischen Schriften:
    "Die Massen können die Moral lesen, aber um Gottes willen, lasst sie nicht unsere Poesie verderben. Oh ihr Dichter, stolz wart ihr doch schon immer; seid noch mehr: werdet geringschätzig!"
    Künstlerisch wurde Mallarmé noch radikaler
    Die neue Strömung, die Mallarmé vertrat, hieß Symbolismus. Mallarmé freundete sich mit dem Maler Edouard Manet an und erkannte eine tiefe Verwandtschaft mit dem Impressionismus – das Umkreisen eines Objektes und die Freisetzung seelischer Schwingungen war für beide zentral. Ab 1875 versammelte der heimliche Fürst unter den Dichtern, als der er in Paris längst verehrt wurde, jeden Dienstagnachmittag junge Lyriker wie Maurice Maeterlinck, Paul Valéry, André Gide, Oscar Wilde, William Butler Yeats, Rainer Maria Rilke und Stephan George in seiner Wohnung in der Rue de Rome. 1882 verwickelte sich Mallarmé in eine Liebesbeziehung mit Manets Mätresse Méry Laurant, die mit mehreren Künstlern liiert war und Proust als Modell für seine Odette dienen sollte.
    Künstlerisch wurde Mallarmé noch radikaler, bemühte sich, den Wirklichkeitsbezug aus seiner Lyrik zu tilgen und die absolute Schönheit sinnlich zu vermitteln. Zu seinem Entzücken vertonte Debussy seinen "Nachmittag eines Fauns". 1897 veröffentlichte Mallarmé in der internationalen Zeitschrift "Cosmopolis" ein Gedicht ohne jedes Satzzeichen, das sich in verschiedenen Schriftgrößen mit weit ausgreifenden Absätzen über zehn Doppelseiten zog: "Le coup de dés", "Der Würfelwurf". Nur ein Jahr später starb Stéphane Mallarmé. Sein Streben nach klanglicher Vollkommenheit galt bis zum Schluss.
    wachsam
    zögernd
    kreisend
    strahlend und nachdenklich
    vor dem Stillstand
    an einem letzten weihenden Punkt
    Jeder Gedanken wagt einen Würfelwurf