"Unpassend, den Eurovision Song Contest hier auszutragen"

Das aserbaidschanische Duo Ell und Nikki, siegte 2011 und holte den Eurovision Song Contest nach Baku.
Das aserbaidschanische Duo Ell und Nikki, siegte 2011 und holte den Eurovision Song Contest nach Baku. © picture alliance / dpa | Kristina Koroleva
Khadija Ismayilova im Gespräch mit Ulrike Timm · 16.02.2012
Die Austragung des Finales des Eurovision Song Contests (ESC) in Baku im Mai passe nicht zum allgemeinen Mangel an Freiheit in ihrer Heimat, meint die aserbaidschanische Journalistin Khadija Ismayilova. "Eine Party an sich ist etwas Gutes, aber sie widerspricht der Realität im Land", sagt sie.
Ulrike Timm: Heute Abend wird das Finale von "Unser Star für Baku" ausgetragen. Der deutsche Kandidat für den Eurovision Song Contest wird gekürt, der dann am 26. Mai in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku ausgetragen wird. Viel Glanz soll da auf Baku und das ganze Land fallen, so hofft die Regierung, und trifft entsprechende Vorbereitungen. Aber wie ist das in Baku? Man hört von geknebelter Meinungsfreiheit, Einschüchterung, Missachtung von Menschenrechten und zugleich von aufstrebender Wirtschaft. Das Öl macht ein potenziell reiches Land zum Angelpunkt vielfältiger Interessen.

Über die Situation in Baku wollen wir mit Khadija Ismayilova sprechen. Sie arbeitet beim aserbaidschanischen Service von Radio Free Europe, ist in Baku geboren und aufgewachsen. Hello!

Khadija Ismayilova: Hello!

Timm: Wie bereitet man sich denn dort in Baku auf die große Show vor?

Ismayilova:Um diese Show ist extrem viel Trubel gemacht worden, und die Regierung gibt sehr viel Geld aus. Sie gibt Geld aus für sogenannte Verschönerungsprojekte vor dem Song Contest. So werden zum Beispiel die Fassaden geändert im Zentrum, alles wird für die Gäste vorbereitet, und das ist überall sichtbar. Man erschießt sogar Straßenhunde auf der Straße, damit die Gäste sich von ihnen nicht gestört fühlen. Auch die normalen Leute bereiten sich darauf vor, das ist schon ein großes Ereignis für Aserbaidschan.

Sonst gibt es ja kaum Gelegenheiten, derartig zu feiern. Aserbaidschan ist ein Land, das sich im Konflikt befindet, 20 Prozent des Territoriums sind besetzt, wir haben viele Flüchtlinge im Land. Ob es dieser Anlass wirklich wert ist, so gefeiert zu werden, ist eine andere Frage. Aber dennoch bedeutet den Leuten der Sieg sehr viel.

Timm: Stimmt es, dass für die Errichtung der neuen Veranstaltungsarena einfach viele Wohnhäuser mal eben so weggebaggert wurden?

Ismayilova: Ja, die Zerstörung von Wohnhäusern findet überall in der Stadt statt. Aber die Regierung leugnet das, aber es passiert. Und es wurde auch den Bewohnern gesagt, die aus ihren Häusern vertrieben wurden. Man merkt es auch an den Plänen, diese Gegenden neu zu bebauen. Die basieren auch auf dem Eurovision Song Contest, nämlich in der Tatsache, den Crystal Palace dahin zubauen, diesen Kristallpalast, dieses große Gebäude, in dem der Eurovision Song Contest ausgetragen werden soll, der definitiv dafür geplant und gebaut wird. Also definitiv finden diese Zerstörungen statt.

Timm: Viele sagen, wegen des Mangels an Meinungsfreiheit und wegen der Willkür der Regierung sei Baku schlicht der falsche Ort für eine unbeschwerte Party. Wie sehen Sie das?

Ismayilova: Ja, so fühlen auch die Leute in Aserbaidschan darüber. So sehen sie das auch, es ist, als ob in ihrem Garten eine Party stattfindet, die Gäste nutzen ihr Haus, sie nutzen ihren Garten, sie nutzen das gute Silber, alles, was ihnen gehört, wird benutzt – aber sie sind nicht eingeladen. Und es gibt ja nur sehr wenige im Land, die wirklich davon profitieren.

Ein Land, das dem Eurovision Song Contest eine freie Meinungsäußerung garantiert, eine absolute Freiheit und ein aufgeräumtes Land, sollte auch den eigenen Leuten die freie Meinungsäußerung erlauben und zugestehen. Hier gibt es zum Beispiel einen Rocksänger, der von den lokalen Rockklubs verbannt würde, weil der Regierung nicht passt, worüber er singt. Autoren sind hier in Gefahr wegen ihrer Texte. Wenn sie zu kritisch sind oder als zu kritisch gelten, geraten sie in Gefahr, Journalisten sind im Gefängnis.

Es gibt einen allgemeinen Mangel an Freiheit in jeder Lebensform, und insofern empfinde ich es als unpassend, den Eurovision Song Contest hier auszutragen. Eine Party an sich ist etwas Gutes, aber sie widerspricht der Realität im Land.

Timm: Kann man denn dahin gehend zuspitzen, dass Sie eine Art potemkinsche Show erwarten, perfekt organisiert, glitzernd, aber wer vorher was sagte gegen Präsident Aliyevs Regierung, der sieht die Show dann bestenfalls hinter Gittern?

Ismayilova: Was die Gäste sehen, die zum Eurovision Song Contest kommen, ist nur die hohe Mauer, die vom Flughafen bis zum Stadtzentrum um die Straße, die dort entlangführt, gebaut wurde. Diese Mauer wurde extra errichtet, damit diese Leute keine unangenehmen Dinge sehen, damit sie die nicht weiter entwickelten Gebiete nicht sehen, damit sie die armen Leute nicht sehen, die kleinen Häuser, in denen diese Leute leben – all das, was die Illusion verderben könnte, die die Regierung aufrecht erhalten will über Aserbaidschan. Die Regierung präsentiert ja Aserbaidschan als ein Land mit einem 300-prozentigen Bruttosozialproduktwachstum, mit einer großen ökonomischen Entwicklung.

Das ist natürlich ein Bild, das von der Realität weit entfernt ist. Es gibt eine riesengroße Korruption hier, und die ist so groß, dass all dieser Wohlstand, all das Einkommen, das ja existiert, nicht ausreicht, um das Land prosperieren zu lassen. Dieses Festival, was jetzt kommt, das bietet der Regierung wieder neue Gelegenheiten für neuere Korruption, für neue korrupte Geschäfte, neue Chancen, der Bevölkerung Geld zu stehlen und in diese verschiedenen Verschönerungsprojekte zu stecken und so weiter. Und diese Gelegenheiten werden auch stark genutzt.

Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton". Wir sprechen mit Khadija Ismayilova über ihre Heimatstadt Baku, wo Ende Mai der European Song Contest ausgetragen wird, heute wird dafür der deutsche Beitrag gekürt. Frau Ismayilova, wie berichten Sie über ein Land, das Radio und Fernsehen ja staatlichen Kontrollen unterstellt? Wie machen Sie das, wie ist Ihre tägliche Arbeit?

Ismayilova: Das ist sehr schwer in Aserbaidschan, als Journalist seiner Arbeit nachzugehen. Viele Journalisten befinden sich im Gefängnis, sie werden immer wieder geschlagen und entführt für Fragen, die sie gestellt haben. Ein paar zu viel für Nachforschungen, die nicht ins Bild gepasst haben, die tabu sind, aber wir versuchen, unter diesen Bedingungen dennoch weiterzuarbeiten. Ich selber arbeite für Radio Liberty, das auch verboten wurde. Da es nicht unter der Kontrolle der Regierung steht, wird es nicht toleriert, wie überhaupt kein Medium wirklich toleriert wird, das sich der Kontrolle der Regierung entzieht.

Es gibt allerdings noch einige oppositionelle Zeitungen, die weiterhin veröffentlicht werden, allerdings in einer sehr geringen Auflage. Und die Regierung betreibt auch einen sehr hohen Aufwand, damit diese Auflage gering bleibt und die Verteilungsinfrastruktur zerstört wird, von diesen wenigen Zeitungen, die es gibt. Also es gibt sehr wenige unabhängige Firmen, die auf dem Markt kämpfen, um diese Zeitungen weiter herauszubringen. Das ist auch deshalb sehr schwierig, da diese Zeitungen keine Werbekunden bekommen. Sie können keine Werbung schalten, da auch der Werbemarkt einem Monopol unterliegt.

Das macht die Arbeit natürlich schwerer, aber wir zum Beispiel vom Radio arbeiten weiter, via Satellit oder auch online. Dagegen wird mit Filtern vorgegangen teilweise. Gegen diese Probleme wiederum wenden wir uns mit Anti-Filter-Techniken, die wir unseren Online-Hörern zur Verfügung stellen, was natürlich eigentlich nicht Teil der Arbeit eines Journalisten sein sollte, aber jemand muss das tun.

Timm: Nun ist Aserbaidschan durch sein Erdöl ja potenziell ein sehr reiches Land, ein Land auch, das den Westen sehr interessiert wegen der Rohstoffe. Haben Sie den Eindruck, dass das Ausland um dieser Öllieferungen willen politisch beide Augen zudrückt?

Ismayilova: Ja, das denke ich ständig. Und wenn zum Beispiel europäische Politiker Aserbaidschan besuchen und dann das Referendum des Präsidenten loben, das ja tatsächlich zum Ergebnis hatte, dass er nun so oft kandidieren kann, wie er will, so oft wieder im Amt bestätigt werden kann, wie er möchte – also durchaus kein demokratisches Ergebnis –, dann ist man sich darüber ziemlich klar.

So hat zum Beispiel auch ein deutscher Abgeordneter, Eduard Lintner, Aserbaidschan besucht und öffentlich erklärt, dass dies faire Wahlen gewesen seien, es habe keine Wahlfälschung gegeben. Und hier glaubt man natürlich nicht, dass dies aus purer Freundschaft geschieht, dass solche Aussagen getroffen werden ohne jede finanziellen Interessen. Diese ökonomischen Interessen, die mit Sicherheit immer eine Rolle spielen, die einen dazu bringen, auch positive Aussagen über Diktatoren zu machen, so viele europäische Politiker, die das tun, das ist etwas, wo ich denke, dass man das auch mal in Deutschland weiterverfolgen sollte.

Wenn man zum Beispiel den Europäischen Rat nimmt und sieht, dass immer wieder gesagt wird, man soll über Menschenrechte sprechen, dann kommen Leute her, und worüber gesprochen wird, ist die Energie, ist die Öllieferung. Das ist auch durchaus ein Faktor für die Menschen in Aserbaidschan, wenn sie sehen, wie Europa immer wieder sagt, die Demokratie sei so wichtig, und letzten Endes so offensichtlich finanzielle Interessen im Vordergrund stehen. Wenn nun gezeigt wird, dass die Demokratie hier so klar versagt, nimmt das ihr auch die Stärke, wenn wir selber dafür kämpfen in einem demokratischen Land leben zu wollen.

Timm: Erhoffen oder erwarten Sie denn irgendein positives Signal, irgendeinen Anstoß, wenn die internationale Presse und Besucher jetzt Ende Mai nach Baku kommen, um die Popmusik und den Eurovision Song Contest zu feiern, oder zuckt da die Realistin in Ihnen einfach mit den Achseln?

Ismayilova: Der Eurovision Song Contest in Baku ist an sich eine positive Entwicklung, weil dadurch Aufmerksamkeit auf das Land gelenkt wird. Das ist eine Gelegenheit, auch die Regierung zu überzeugen, dass Reformen notwendig sind, dass Meinungsfreiheit und Redefreiheit und all diese Dinge eingeführt werden müssen, dass man auf die Menschenrechte achten muss. Das ist natürlich sehr schwer, und die Chancen werden wahrscheinlich auch kaum genutzt werden.

Aber wenn man sieht, dass die europäische Rundfunkunion, die EBU, der Partner des sogenannten öffentlichen Fernsehens von Baku ist, dann muss man auch sagen, dass das ein Fernsehen ist, das nur öffentlich genannt wird in Aserbaidschan, aber nicht wirklich öffentlich ist. Es ist nie wirklich jemand von der Opposition dort im Vordergrund aufgetaucht. Das ist nicht wirklich öffentlich, es ist ein Regierungsfernsehen, und dennoch ist es Partner der EBU. Darüber sollte man sich mal Gedanken machen, und auch darüber, wie das vielleicht transparenter ablaufen kann.

Es sind in diesem Land ausschließlich internationale Rundfunkprogramme, die unzensiert empfangen werden können, und auch die werden teilweise blockiert. Vieles weist darauf hin, dass auch die EBU-Offiziellen in diesem Ereignis auch nur eine weitere Möglichkeit sehen, Geld zu verdienen. Und teilweise verhalten sich Sprecher der EBU hier wie Regierungssprecher.

Dennoch sehe ich dieses Ereignis auch als eine Chance, und wir werden versuchen, alle Fenster, die sich uns nach draußen bieten, zu öffnen und zu nutzen.

Timm: Danke an Khadija Ismayilova. sie stammt aus Aserbaidschan. Wir sprachen über die Situation dort. Thank you for joining us and good luck!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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