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Muslimische Sportler bei Fußball-EM
Kein einheitlicher Umgang mit dem Ramadan

Wenn Mesut Özil bei der Fußball-EM aufläuft, sollte er eigentlich den ganzen Tag nichts gegessen und getrunken haben. So lautet die religiöse Pflicht für alle Muslime während des Ramadan, der vor einer Woche begonnen hat. Doch die muslimischen Spieler im deutschen Kader verzichten auf das Fasten. Allerdings gibt es auch Fußballer bei dieser EM, die das anders halten.

Von Daniel Theweleit | 12.06.2016
    Fußball Länderspiel Deutschland - Italien am 29.03.2016 in der Allianz Arena in München Mesut Özil ( Deutschland ) schießt einen Elfmeter zum 4:0.
    Mesut Özil verzichtet auf das Fasten während der Fußball-EM. (dpa / picture-alliance / Revierfoto)
    Der innere Konflikt ist nicht zu überhören in den Worten, die Emre Can wählt, als er wenige Tage vor der Europameisterschaft auf den Ramadan angesprochen wird.
    "Ich werde persönlich nicht fasten während der EM. Aber das kann man nachholen, wir sind Leistungssportler, es ist möglich, aber es ist sehr, sehr schwer", sagt der deutsche Nationalspieler.
    Fasten eigentlich eine der wichtigsten Pflichten von Muslimen
    Vom 6. Juni bis zum 5. Juli läuft der Fastenmonat, beinahe die komplette Europameisterschaft fällt in diese Zeit. Eigentlich gehört es zu den wichtigsten religiösen Pflichten aller Muslime, während des Ramadan nur nach Sonnenuntergang und vor Sonnenaufgang zu essen und zu trinken.
    Um die muslimischen Fußballer aus diesem Gewissenskonflikt zu befreien, hat der Deutsche Fußball-Bund 2010 eigens ein Gutachten von der der Al-Azhar Universität in Kairo anfertigen lassen. Die Gelehrten kamen zu dem Ergebnis, dass Hochleistungssportler während ihrer Wettbewerbe sich durch Ersatzleistungen wie Essensspenden an Bedürftige oder ein Nachholen der Fastentage von ihrer Pflicht befreien können.
    Aber längst nicht jeder EM-Spieler macht von dieser Option Gebrauch. Der albanischen Innenverteidiger Mergim Mavraj, der in der Bundesliga für den 1. FC Köln spielt, weiß natürlich, dass sein Körper Nahrung und Flüssigkeit braucht, sagt aber:
    Mavraj: Ramadan wichtiger als Europameisterschaft
    "Nichtsdestotrotz ist es so, dass Ramadan mir wichtiger ist, als die Europameisterschaft. Das ist bei mir ganz klar. Ich weiß, dass es viele andere Jungs bei uns gibt, die nicht so denken, das ist jedem freigestellt sozusagen. Aber für mich ist Ramadan wichtiger als die Europameisterschaft, deswegen ist das für mich keine große Frage."
    Das ist ganz schön mutig. Am Samstag ging die Sonne in Paris um 21:54 Uhr unter, Sonnenaufgang war um 5:47 Uhr. Nur in den Nachtstunden dazwischen Nahrung und Flüssigkeit aufzunehmen, ist einer sportlichen Höchstleistung sicher nicht zuträglich, sagt der Ernährungswissenschaftler Hans Braun von der Deutschen Sporthochschule in Köln.
    "Die Ernährung des Leistungssportlers unterscheidet sich vom Normalbürger, Ramadan hin oder her, durch einen höheren Kohlenhydratbedarf und einen höheren Eiweißbedarf. Und es werden 24 Stunden benötigt, um die Kohlenhydratspeicher zu regenerieren, wenn ich in der Nacht nur sechs Stunden Zeit habe, ist das knapp bemessen und möglicherweise nicht ausreichend."
    Fasten mehr als Nicht-Essen und Nicht-Trinken
    Das weiß natürlich auch Mavraj, der aber einen Blick hinter die rational erkennbaren physiologischen Prozesse in seinem Körper wirft.
    "Fasten bedeutet ja nicht nur, auf Essen und Trinken zu verzichten. Es ist ja schon so, dass es ganz viele andere Weisheiten dahinter gibt. Und die führen Dich durch dieses Nicht-Essen und Nicht-Trinken. Es ist nicht ganz einfach, aber die Liebe zu dem Fastenmonat, oder die Priorität dessen, ist ungebrochen. Und Algerien zum Beispiel gegen Deutschland, bei der WM vor zwei Jahren, da haben das auch alle durchgezogen und die konnten rennen und die waren gut."
    In der Tat war der Sieg von Joachim Löws Weltmeistern gegen Algerien eine der schwersten Hürden auf dem Weg zum Titel. Ihre Physis war beeindruckend, und auch Mavraj wirkte beim 0:1 seiner Albaner im ersten EM-Spiel gegen die Schweiz körperlich stark. Viele Muslime berichten von einer besonderen spirituellen Kraft, von der sie in der Fastenzeit erfüllt seien. Aber kann eine solche Energie tatsächlich Kohlehydrat-, Eiweiß-, und Flüssigkeitsdefizite ausgleichen? Der Ernährungswissenschaftler Braun will das zumindest nicht ausschließen.
    Leistung nur begrenzt erklärbar
    "Generell, das kennen wir aus verschiedenen Bereichen heraus, wo man sagt: Eigentlich müsste jemand jetzt am Limit sein, und trotzdem schaffen es einzelne Sportler sich so zu motivieren, dass sie in einen Grenzbereich vorstoßen, der überraschend kommt vielleicht, also es ist wirklich das Phänomen, dass wir am Schluss Leistung und Leistungsfähigkeit nur begrenzt erklären können."
    Emre Can, Sami Khedira, Shkodran Mustafi und Mesut Özil, die Muslime im deutschen Kader, orientieren sich dennoch an Rechtsschulen, die großzügige Ausnahmen von der Pflicht zum Fasten gewähren. Denn so streng der Islam auch manchmal wirken mag, die Auslegungen des Koran sind oft sehr unterschiedlich, sagt die Islamwissenschaftlerin Sabine Damir-Geilsdorf von der Universität Köln.
    Keine einzelne autoritative Instanz im Islam
    "Es gibt im Islam keine autoritative Instanz wie zum Beispiel den Papst in der katholischen Kirche, der den Gläubigen verbindlich auslegt, wie der Glaube zu leben ist. Es gibt verschiedene Rechtsschulen und verschiedene Rechtsgelehrte, die Rechtsgutachten erlasse, ihre Auffassung und ihre Gutachten können sich widersprechen, und das tun sich häufig. Und wenn Muslime jetzt nicht fasten, müssen sie sich vor allem gegenüber sich selbst rechtfertigen und gegenüber Gott."
    Und bei dieser EM vielleicht auch ein klein wenig gegenüber ihren Mitspielern und gegenüber den Fans, die natürlich guten, erfolgreichen Fußball sehen wollen.