Universum aus Wasserfarben, Bleistift und Gouache

Von Barbara Wiegand · 22.01.2010
In Amerika ist er mit seinen eigenwilligen Tierbildern längst mehr als ein Insider-Tipp: Walton Ford. Jetzt zeigt der Hamburger Bahnhof als Berliner Museum für Gegenwartskunst erstmals in Europa großformatige Aquarelle des aus New York stammenden Künstlers. Akkurat und im alten Stil gemalt, sind es Bilder, die ganz anders sind, als andere zeitgenössische Werke.
Ein leuchtend blauer Eisvogel sitzt gemeinsam mit anderem fantastisch buntem Federvieh in einem Baum, eine Leopardin paart sich mit einem weißen Stier – ein Marabou gewährt einer kleinen Vogelschar Obdach in seinem langen gelben Schnabel, der mit allerlei leckeren Beeren gefüllt ist. Als wären es Szenen aus dem Paradies – so wirken die Bilder von Walton Ford auf den ersten Blick. Zumal die Aquarelle in ihrer altmeisterlichen Machart einfach "schön" anzusehen sind. Doch schnell erkennt man, dass da einige in mörderischer Absicht unterwegs sind. Dass es zwar eine wundersame, aber gar nicht heile Welt der Tiere ist, in die der US-amerikanische Künstler den Betrachter entführt. Vielmehr in die Realität des Fressens und Gefressen-Werdens. So hat der Eisvogel – wie auch immer – einen Riesenfisch als Beute an dem Ast auf dem er sitzt gespießt, die Leopardin hat schon die Zähne am Hals des liebestollen Stiers aufgesetzt, der Marabou braucht einfach nur den Schnabel zuzuklappen – um Obst nebst Vögelchen zu verspeisen.

"Ja, der Marabou hat wirklich alle möglichen Leckereien im Schnabel und die kleinen Vögel, die veranstalten da drin so eine richtige Orgie. Die Idee zu diesem Bild kam mir auf einer Reise durch Indien. Ich habe mich gefragt, warum ich mich als wohlhabender Amerikaner dort bewegen durfte, meine Bilder machen konnte, während viele Einheimische nicht genug zu Essen haben. Also, wenn ich so etwas erlebe, oder auch wenn ich eine Geschichte in einem Buch lese, das inspiriert mich bei meinen Bildern. Indem was ich male, erzähle ich allerdings keine wahren Begebenheiten. Nein, es handelt sich um meine eigenen, fantasievollen Interpretationen."

Faszinierend an diesen "Interpretationen" ist, dass sie zwar schön gemalt, aber grausam genau zu Papier gebracht ist. Man sieht das Blut, das einer angeschossen Antilope an den Hinterläufen klebt, die panische Spannung im bald kraftlosen Körper. Man erkennt jeden Muskel, jede Hautfalte, alles haargenau.

"Ich benutze ja meist Aquarellfarben und male damit bis zu drei Meter hohe Bilder. Und im Gegensatz zu Ölfarben können sie sich bei Wasserfarben keine Fehler erlauben. Also habe ich die Bilder schon ziemlich genau im Kopf, bevor ich anfange, zu malen. Ich mache Vorzeichnungen im Museum, studiere Bücher, recherchiere im Internet. Nur in den Zoo gehe ich nicht so gern, um die Tiere zu zeichnen. Denn da kann es passieren, dass sie einfach in der Ecke liegen und schlafen. Und das ist sicher nicht das Motiv, nach dem ich suche."

Manchmal geht der wenige Autostunden von New York entfernt lebende 49-Jährige auf Reisen, geht raus in die Natur, um sich inspirieren zu lassen. Seine wahren Vorbilder aber sind unverkennbar naturwissenschaftliche Zeichnungen aus der Zeit der Eroberungen und Kolonialisierung. Das verleiht seinen Werken einen altertümlichen, illustrativen Charakter. Weshalb es schon ein wenig irritiert, die Bilder in einem Museum für zeitgenössische Kunst zu sehen. Udo Kittelmann, Direktor des Hamburger Bahnhofs:

"Wer sagt denn, wie zeitgenössische Kunst zu sein hat? Ich bin dann schon der Meinung, dass zeitgenössische Kunst ein weiteres Spektrum hat als wir in den Museen für zeitgenössische Kunst sehen. Nur weil Walton Ford so altmeisterlich malt und zeichnet, so wunderbar aquarelliert, wo Kunst auch vom handwerklichen Können her kommt, dass damit zu verbinden: Was ist denn daran zeitgenössisch? Natürlich hat er seine Anleihen im 18. und 19. Jahrhundert, als die Menschen die Welt entdeckten. Nur schafft er es in sehr allegorischen Erzählsträngen dann doch den Link zu kriegen zu unserer Jetztwelt."

Die Verbindung zur Gegenwart, die Walton Ford mit den Mitteln der Vergangenheit herstellt, sie besteht wohl vor allem im Ereignisreichtum der Bilder. Bei aller gestrigen Anmutung macht es auch heute Spaß, sie anzusehen. Ford ist ein fabelhafter Geschichtenerzähler. Geschichten aus der Tierwelt, die bei genauerem Hinsehen von den Menschen handeln. Nicht nur, wenn Wölfe die Toten auf einem Schlachtfeld zerreißen oder Eisbären durch umherliegende Reste eines Schiffbruchs streunen, die mit Sanduhr und Totenkopf zugleich eine Allegorie auf die Endlichkeit menschlichen Lebens sind.

Manchmal ist der Mensch in Walton Fords Aquarellen aber auch nur im übertragenen Sinn zu entdecken. Etwa in dem Werk "The Sensorium", das eine Affenhorde bei einem wilden Gelage zeigt. Die Größten sitzen bräsig auf dem Tisch und fressen, die Kleinen warten auf das, was runter fällt – nur einer, der Denker, Intellektuelle wohl, der sitzt am Kopf der Tafelrunde und lässt seinen Blick gelangweilt dekadent über Meute hinweg in die Ferne schweifen.

"Ich sage sogar, hier handelt es sich nicht um einen Tierzoo, sondern um einen Menschenzoo. Er verhandelt die Dinge anhand von Tieren, aber letztendlich geht es um unsere Kulturgeschichte. Er hält uns anhand dieser Bilder einen Spiegel vor."

Allerdings beginnen sich diese Bilder und ihre Botschaften bald zu ähneln, und der brillante Effekt ihrer Machart verblasst ein wenig, so dass man sich fragt, ob dieses tierisch menschliche Universum aus Wasserfarben, Bleistift und Gouache eine Zukunft hat, oder ob sich seine künstlerische Aussage erschöpft.

Dennoch ist die Ausstellung sehenswert – sie lässt einen lächeln, erschaudern, staunen. Und rätseln. Zum Beispiel über das Aquarell mit einer Insel aus ineinander verschlungenen und verbissenen Tasmanischen Wölfen und Lämmern darauf. Das Eiland scheint gleich im Meer zu versinken – als symbolische Antwort auf die Frage, ob nicht eine Welt, die auf der Vernichtung anderer gründet, dem Untergang geweiht ist.

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Link zur Walton-Ford-Ausstellung "Bestiarium" im Hamburger Bahnhof