Universitäre Sammlungen (2)

Haustierknochen und konservierte Pferdeherzen

Das Skelett eines Holländer Rindes von 1888, betrachtet von der Leiterin des Museums für Haustierkunde der Martin-Luther-Universität, Renate Schafberg
Das Skelett eines Holländer Rindes von 1988 © picture-alliance/ dpa / Hendrik Schmidt
Von Christoph Richter · 21.07.2015
In den Hochschulen Deutschlands schlummern mit den Universitätssammlungen – unbeachtet von der großen Öffentlichkeit - echte Schätze. Einer davon ist die weltweit einzigartige Haustier-Sammlung der Uni Halle-Wittenberg. Und die ist nicht nur für Biologen interessant, sondern auch für Designer.
"Ich hab' ne große Liebe für diese Sammlung."
... sagt CDU-Bundesbildungsministerin und ausgebildete Agro-Technikerin Johanna Wanka beim Besuch der weltweit einzigartigen Haustier-Sammlung in Halle.
In einem früheren Stallgebäude am Steintor-Campus der Martin-Luther Universität in Halle befinden sich – fein säuberlich aufbewahrt in Hunderten alter Holz-Kisten – die Skelette und Knochen von etwa 6.000 Haustieren wie Schafen, Rindern oder Schweinen. Besonders bedeutsam für die sogenannte Zuchtlinien-Forschung, so Frank Steinheimer, der Kustus der Hallenser Universitätssammlungen.
"Welche Molekulargenetik spielte eine Rolle, wie wurden die Haustiere gekreuzt, dass sie überhaupt entstehen konnten: das kann man mit der historischen Haustier-Sammlung nachvollziehen. Und das ist hier gut dokumentiert anhand der Skelette, der Wollproben und auch mit Fotografien zu diesen Tieren."
"Das sind keine einfachen Fotos, sondern 12.000 Fotoglas-Platten von Haustieren. Seit 2012 schon ist dieser Teil der Sammlung als national wertvolles Kulturgut registriert."
300 Wildesel aus der Mongolei
1865 – also vor 150 Jahren - begann man am Julius-Kühn-Institut, der heute ältesten landwirtschaftlichen Fakultät Deutschlands, Haustierknochen zu sammeln. Damit sind die Vorfahren der heutigen Haustierrassen so präzise dokumentiert, wie nirgends. "Interessant wäre, das mit modernen Tieren genetisch zu vergleichen", sagt Halles Sammlungs-Chef Frank Steinheimer.
"So haben wir beispielsweise eine Sammlung von 300 Wildeseln aus der Mongolei. Hier stellt sich die Frage bzw. kann man heute mit molekulargenetischen Methoden prüfen, wie vital die Population noch ist, im Vergleich zu der historischen Sammlung."
Die weltgrößte Haustier-Sammlung wird wie ein Naturkunde-Museum präsentiert. Man sieht ausgestopfte Tiere. In einem Schaukasten ist aber auch ein Mufflon-Schädel mit gewaltigen Hörnern oder das konservierte Herz des Hengstes "Dark Ronald" zu sehen. Das ist nicht irgendein Pferd, sondern sozusagen der Stammvater aller heutigen Rennpferde. Anfang des 19. Jahrhunderts soll es auf dem königlich-preußischen Hauptgestüt im heute sächsischen Graditz bei Torgau gelebt haben.
"Dann gibt es Fragestellungen, die in der aktuellen Tierzucht eine Rolle spielen. Also wie krieg' ich beispielsweise bei Rindern Hornlosigkeit hin gezüchtet. Und da kann man hier auf historische Präparate zurückgreifen."
Viele der Knochen, die in der Sammlung lagern, kommen von Tieren, die man damals auf dem eigenen Hof gehalten hatte. Darunter ist auch der Braunschimmel "Beau Fils de Nasst". Er hat nach Angaben der Sammlung nicht nur die deutsche Kaltblutzucht geprägt, sondern stand auch Modell für die Großplastiken des Bildhauers Gerhard Marks, die heute noch in Halle zu sehen sind.
Eine weitere Attraktion ist ein Pappmaché-Pferd aus 120 Teilen
Eine weitere Attraktion ist das Pappmaché-Pferd von Louis Thomas Auzoux, das 1874 angekauft wurde. Wie ein Puzzle kann das Pferd in 120 Einzelteile zerlegt werden, galt damals als eine Sensation, weil man so Anatomie erstmalig sehr plastisch lernen konnte. Einer der Gründe, warum die Sammlung nicht nur für Agrarwissenschaftler und Biologen interessant ist, unterstreicht der Altphilologe und Rektor der Uni Halle, Udo Sträter.
"Wie ich weiß, gilt dies aber auch für Kunst – und Designstudierende, die sich hier Objekte anschauen. Es ist ja auch ein ästhetisches Moment, so ein auseinandernehmbares Pferd, das eine ganz singuläre Position in der Sammlung einnimmt."
Die Haustier-Sammlung ist eine lebendige Sammlung, kein bloßes Schaufenster der Forschung, sondern ein Jahrhundertejahre altes – immer noch genutztes - Labor. So kann man heute, selbst über 150 Jahre später, beispielsweise die DNA von Tuberkolose-Bazillen aus Tier-Knochen extrahieren. Weshalb man auch Forschungsanfragen aus der ganzen Welt erhält, erzählt Sammlungsleiterin Renate Schafberg.
"Wir haben hier jetzt vielleicht einen Knochen den wir opfern müssen, um solche Untersuchungen zu machen. Aber ein Schaf hat ja gottseidank zwei Seiten – eine rechte und eine linke Seite. Und da kann man eine Seite opfern, die andere konservieren."
Die Sammlung braucht dringend Geld, vieles ist verstaubt
Erst kürzlich hat man in einer Abfallgrube des Reformators Martin Luther viele kleine Knochen gefunden. Nur durch einen Abgleich mit Knochen aus der Sammlung in Halle ließ sich überhaupt erst erschließen, dass es sich um Knöchelchen von Singvögeln handelt, die damals bei den Luthers eine Delikatesse waren.
Jetzt braucht die Haustierkundliche Sammlung dringend Geld, denn vieles ist verstaubt, viele Exponate sind dringend sanierungsbedürftig. Aber vielleicht hilft ja die große Liebe der Bundesbildungsministerin Johanna Wanka zu dieser Sammlung, den Hallenser Schatz zu bewahren. Denn – so viel ist klar - wenn nichts passiert, verfällt eine weltweit einzigartige Sammlung, die uns viel über die Biodiversität, die Vielfalt des Lebens erzählt, die mit jedem Tag kleiner wird.

Einzigartig aber vernachlässigt
Klavier-Tanzrollen, Dissidenten-Nachlässe, Herbarien, Moulagen: In deutschen Universitäten lagern unglaubliche Schätze, von denen wir nichts oder kaum etwas wissen. Denn oft sind die wertvollen Sammlungen in Abstellräumen oder Kellern versteckt. Unsere Fazit-Reihe "Universitäre Sammlungen" hebt diese verborgenen Schätze wieder ins Bewusstsein.

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Mittwoch, 22.7.: Sammlung von Samizdat-Publikationen und Dissidenten-Nachlässen, Forschungsstelle Osteuropa, Universität Bremen
Donnerstag, 23.7.: Eine der weltweit größten Stammsammlungen von Schimmelpilzen, Universität Jena
Freitag, 24.7.: Krankheiten in 3-D moduliert: Die Moulagensammlung, Medizinhistorisches Museum in der Berlin Charité
Samstag, 25.7.: Wachswalzen und Edison-Phonograph: Die phonetische Sammlung der Uni Halle/Wittenberg
Sonntag, 26.7.: Weltweit bedeutendste Herbarien-Sammlung - Die Botanische Staatssammlung, Ludwig-Maximilians-Universität München
Montag, 27.7.: Nordische Helden: Die Edda-Sammlung – Institut für Skandinavistik, Goethe-Universität Frankfurt a.M.
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