"Unheimlich" im Kunstmuseum Bonn

Zuhause wartet das Grauen

Max Beckmann: "The Town City Night" im Metropolitan Museum of Art in New York City
Max Beckmann erschafft Unbehagen durch die schiere Enge in seinen Bildern, wie hier bei "The Town City Night" © imago/UPI Photo
Von Rudolf Schmitz · 18.10.2016
Draußen in der Dunkelheit lauert der Schrecken? Mitnichten! Vor dem Unheimlichen ist man auch im Haus nicht sicher. Eine Ausstellung im Kunstmuseum Bonn zeigt nun, wie unheimlich Maler Innenräume gestalteten, von Max Beckmann bis Leon Spilliaert. Eine Ausstellung, die viel Überraschendes bereit hält.
"Im Schattenreich", "Tatorte", "Kein Entkommen", "Totenhaus" - so heißen einzelne Kapitel dieser Ausstellung. Man wähnt sich in einem Horrorroman von Stephen King. Selbst Pierre Bonnard, den man bisher für einen Maler des häuslichen Glücks hielt, wird hier zum Zeremonienmeister des Grauens. Sein "Interieur mit zwei Kindern" von 1902 jedenfalls hat den Kurator Volker Adolphs nachhaltig beunruhigt, weil schon die seltsam verzogene Dachkammer ein ungutes Gefühl auslöst.
"Dann erst sieht man die Kinder, die so miniaturisiert sind, dass sie in einem falschen Größenverhältnis zum Tisch und zum Stuhl stehen. Und man fragt: Wo stehen diese Kinder? Das eine Mädchen steht eher in einem Treibsand der Farbe, und der andere Junge hat gar keinen Halt, der Kopf sackt nach vorne, der Tisch vor ihm ist weggestoßen und plötzlich verfestigt sich die ganz unabweisbare Wahrnehmung, dass das ein Erhänger ist. Ein Erhänger in einem Raum, der einen Ausblick nach draußen gibt, aber nicht ins Freie wie man denkt, sondern auf einen Baum, der krakelig handhaft diesen Raum umschlossen hält."
Walter Benjamin hat das plüschige Interieur des späten 19. Jahrhunderts als Heimat des "Futteralmenschen" beschrieben, der aus seinem Heim die Außenwelt verbannt und sich wie eine Muschel in sein Gehäuse zurückzieht. Doch Sigmund Freud beschreibt dann das Unheimlichwerden des Heims als Symptom der zunehmenden Krise des modernen Menschen, des verunsicherten Subjekts. Kein Zweifel: Dieser Diagnose schließt sich die Bonner Ausstellung mit großer Begeisterung an...

Resonanzraum der Destabilisierung

"Und die Künstler, die die Ausstellung tragen, wie etwa Edvard Munch, James Ensor, Alfred Kubin zum Teil, Max Beckmann, auch Leon Spilliaert, einer der wichtigen belgischen Symbolisten, alle diese haben das Unheimlichwerden der Räume in etwas Irritierendes nachvollzogen, auch in der Bespielung der eigenen Innenräume, der seelischen Innenräume. Das Interieur ist eigentlich der Resonanzraum dieser Destabilisierung, dieser Verunsicherung des Ichs."
Dass James Ensor in seinem Atelier und in seinem Zuhause überall Spukgestalten, bedrohliche Masken und höhnisch grinsende Skelette sah, ist vielleicht bekannt. Doch die spukhaften Interieurs des belgischen Symbolisten Leon Spilliaert sind die große Entdeckung in dieser Bonner Ausstellung. Sein Selbstporträt von 1908 zeigt ihn als bleich angeleuchteten Geist in einem durch Spiegel und Fenster labyrinthisch wirkenden Raum, der von der nächtlichen Schwärze überwältigt wird.
"Ja, diese Grenze, auch das ist ein Kapitel in der Ausstellung, das Kapitel heißt: 'Kein Entkommen', das handelt von Türen, Fenstern, Treppen, Spiegeln, also immer Diffusionen, Durchlässigkeiten, aber man stellt immer fest: Hinter dem Fenster liegt vielleicht das ersehnte Land oder auch das Dunkel. Man öffnet eine Tür und ist immer noch im Dunkeln. Und dieses Durchgängige, dieses Durchlässige ist eben auch eines der Momente des Unheimlichen. Tür schließen bedeutet auch, den Schrecken nicht aus-, sondern einzuschließen."

Der Schrecken der Weltkriege dringt mit ein

Wenn man sich erst einmal darauf eingelassen hat, dass bei diesen über 100 Gemälden, Zeichnungen, Pastellen und Druckgrafiken kein Hoffnungsschimmer zu erwarten ist, dann macht es durchaus Spaß, die Horrorstrategien der einzelnen Künstler im Detail zu studieren.
"Ja, der Raum kann wirklich der saugende Tiefenraum sein, der eine Desorientierung für den Bewohner des Raums bedeutet, das ist bei Munch so. Und leere Kammern wie bei Hammershoi, während Max Beckmann der Künstler ist, der die Räume so voll stellt, so voll presst mit Figuren, mit Dingen, dass sie standhalten können dem Nichts, das diese Räume umlauert."
Der Schrecken der zwei Weltkriege dringt nur indirekt in diese psychologisch angelegte Schau: in den Irrenhäusern, die Felixmüller und Beckmann malen und zeichnen, in den leeren, mit nackten Gespenstern bevölkerten Bildern von Carl Hofer. Dass der Surrealismus, der soviel Inspiration aus dem Unterbewusstsein zog, vollständig fehlt, mag man seltsam finden. Doch die ausgiebige Seelenkunde und die vielen Entdeckungen, die diese Ausstellung im Kunstmuseum Bonn bereit hält, entschädigen dafür reichlich.
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