Unheilvolle Leidenschaft

18.04.2013
Seit seinem preisgekrönten Debüt von 1990 hat Ulrich Woelk zahlreiche Romane und Erzählungen veröffentlicht, auch Theaterstücke geschrieben. Ein zentrales Thema ist dabei meist die Liebe. Auch in seinem neuen Buch, das von der Stärke seiner Charaktere lebt.
Jede Geschichte ist alt und neu zugleich. Zumal wenn sie von der Liebe handelt. Das trifft auch auf Roland Ziegler zu. Der 36-jährige Jurist und Mitinhaber eines mittelständischen Frankfurter Familienunternehmens hat sein Leben im Griff, bis er in einem Berliner Café Zoe kennenlernt.

Die junge Jazzsängerin, attraktiv und sehr begabt, ist das blanke Gegenteil des wohlsituierten Managers. Impulsiv, anarchisch, legt sie dem fremden Besucher bei einem abendlichen Auftritt den Coltrane-Song "You don't know, what love is" zu Füßen. Da ist es um ihn geschehen. Auf einer Reise nach Amsterdam stürzen sich die beiden eine Woche lang in eine abenteuerliche Affäre, in deren Verlauf der Pflichtmensch tüchtig über die Stränge schlägt, während sie - höchst mysteriös - immer wieder verschwindet.

An Klischees herrscht in diesem Roman, so denkt man zunächst, kein Mangel. Auch die anderen Charaktere, denen man im Umfeld des Paares begegnet, kommen einem recht bekannt vor: der doppelt so alte, sehr eifersüchtige Musikprofessor etwa, mit dem Zoe zusammenlebt.

Doch Ulrich Woelk, der gelernte Astrophysiker, der in den 90er-Jahren mit einer Arbeit über Chaostheorie hervortrat, schüttelt die Versatzstücke dieses Liebesversuchs so kräftig durcheinander und fügt kontrastvolle Handlungsmotive hinzu, dass am Ende aus den Stereotypen nicht nur komplexe Figuren erstehen, sondern ein vielschichtiges, wohlkomponiertes Romangeflecht.

Nüchtern und karg
Krankheit und Schuld heißen diese Motive, die durchaus als pathetische Metaphern zu lesen sind. Roland Ziegler leidet an Epilepsie, und nur dank eines strengen Tagesplans hält er sich seit zehn Jahren stabil. Wie dieses Gleichgewicht durch die plötzliche Liebesunordnung empfindlich in Gefahr gerät, wird nüchtern, geradezu karg geschildert. Umso emphatischer beschreibt der allwissende Erzähler, wie während der Nazizeit der Zieglersche Betrieb Zwangsarbeiter beschäftigte - ein Imageschaden im Deutschland der Jahrtausendwende, der sich finanziell ausbügeln lässt. Nicht aber die Verbrechen, die mit Zustimmung des Firmenpatriarchen damals auch an seiner in einen polnischen Arbeiter verliebten Tochter begangen wurden.

Geschickt verknüpft Woelk diese drei Erzählstränge, legt falsche Fährten, wenn er den Leser lange im Ungewissen darüber lässt, weshalb Zoe immer wieder aus dem Amsterdamer Hotelzimmer verschwindet, warum Roland Ziegler in seiner Kindheit von der Mutter verlassen wurde und wie man tatenlos schuldig wird. Dass zunehmend mehr über die fatale Verstrickung zwischen den Figuren offenbar wird, während diese noch nichts davon ahnen, daraus bezieht der Roman seine Spannung.

Gegen Schluss drückt Woelk allzu kräftig auf die Schicksalstube - da hängt zu viel tragisch miteinander zusammen, insbesondere die beiden Liebenden, die, ohne es zu wissen, von Geburt an durch ein gemeinsames Los verbunden sind. Doch insgesamt fesselt dieser Roman über eine unheilvolle Leidenschaft im Schatten düsterster deutscher Geschichte. Auch wenn er darüber, was Liebe ist, naturgemäß nicht aufklären kann.
Besprochen von Edelgard Abenstein

Ulrich Woelk: Was Liebe ist
dtv, München 2013
296 Seiten, 14,90 Euro
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