Ungleiche Lokalrivalen

Wenn ein Verein den anderen in den Schatten stellt

23:42 Minuten
Ein FC Liverpool Fan mit Rauchbombe und Fanschal.
Grund zum Feiern: Bereits 18 Mal wurde der FC Liverpool Meister der Football League; sein Lokalrivale Everton gerade einmal neun Mal. © imago/David Blunsden
Von Günter Herkel · 06.10.2019
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FC Liverpool und FC Everton sind Lokalrivalen, ebenso Espanyol und Barca und in Leipzig stehen sich mit RB Leipzig, Chemie Leipzig und FC Lok gleich drei Klubs gegenüber: Aber was tun, wenn der eigene Verein im Schatten des übermächtigen Nachbarn steht?
Dietrich Schulze-Marmeling: "Evertonians betonen immer: Wir sind der Liverpooler Klub. Wir sind stolz darauf, dass unsere Fans überwiegend aus unserer Stadt kommen. Ich glaube nicht, dass der FC Liverpool weniger Fans in der Stadt hat als Everton. Aber Liverpool hat mehr Fans, die von auswärts kommen, ist international natürlich prominenter als der FC Everton."
Joan Josep Pallàs: "In den 60er-, 70er-Jahren waren die Kräfteverhältnisse noch ausgeglichener. Spätestens seit Beginn des 21. Jahrhunderts ist die Distanz zwischen Espanol und Barcelona stark gewachsen, nicht nur in sportlichem Sinne, auch ökonomisch."
Fan: "Gute Jugendarbeit und endlich ordentlichen Fußball hier in der Stadt Leipzig. Früher war es Lok und jetzt ist es eben RB."

Liverpool, Barcelona, Leipzig – drei Metropolen mit weit über 100 Jahren Fußballtradition. Und mit jeweils mehreren Vereinen, die Geschichte schrieben. Mit besonderer Spannung erleben die Fans meist die lokalen Derbys.
Der Kampf zwischen Lokalrivalen verspricht intensive und leidenschaftliche Duelle. Das gilt vor allem dann, wenn sich die Mannschaften sportlich auf Augenhöhe begegnen. An der Merseyside, in der Hauptstadt Kataloniens und in Leipzig ist das aber längst nicht mehr der Fall. Wie gehen die Klubs und ihre Fans damit um, wenn ihre Mannschaft im Schatten des übermächtigen Nachbarn steht?

Prominenzschub für den FC Liverpool

Als am 1. Juni dieses Jahres der FC Liverpool im rein englischen Duell gegen Tottenham zum sechsten Mal die Champions-League gewann, dürfte mancher Fan des FC Everton neidvoll mit den Zähnen geknirscht haben.
"Liverpool hat noch einmal einen Prominenzschub bekommen, auch durch die Arbeit von Jürgen Klopp, die Spieler, die sie an Bord geholt haben, natürlich jetzt auch durch den Champions-League-Sieg. Da kann man schon sagen, dass Everton ein bisschen im Schatten steht und dass mit Liverpool der FC Liverpool mehr und mehr assoziiert wird."
Dietrich Schulze-Marmeling, Fußballhistoriker. Soeben ist sein jüngstes Werk "Reds. Die Geschichte des FC Liverpool" erschienen. Die Gründung des Klubs hatte ironischerweise eine alkoholische Note. Ohne Bier hätte es vielleicht den FC nie gegeben, vermutet der Autor.
"Everton ist der ältere Verein, hat auch in Anfield gespielt. Also Anfield ist ursprünglich das Stadion des FC Everton. Die Geschichte verweist darauf, dass Fußball schon damals eine kommerzielle Angelegenheit war. Besitzer von Anfield und auch Chef des FC Everton war John Houlding, ein Bierbrauer, der mit dem Fußball auch Geld machen wollte. Das Fußballpublikum war sein Absatzmarkt."

Politische Auseinandersetzungen auf dem Fußballfeld

Houlding wollte nicht nur die Pacht annähernd verdoppeln. Er forderte zugleich das Monopol für den Getränkeverkauf im Stadion. Das führte 1892, vier Jahre nach der Gründung, zum Bruch. Everton zog aus Anfield aus. Houlding stellte daraufhin ein neues Team aus lauter Schotten zusammen – so entstand der FC Liverpool. Aus einem Verein wurden zwei. Hinter dem Konflikt steckten auch politische und kulturelle Differenzen.
"Politisch in dem Sinn, dass Houlding ein Konservativer, ein Tory war, und gehörte dem protestantischen Oranierorden an, eine sektiererische anti-katholische Vereinigung, während seine Kontrahenten mehr den Liberalen zuneigten und der Abstinenzlerbewegung."

In der Neuzeit ist von solchen Etiketten kaum noch etwas übrig geblieben. Eines ist evident: Die Abstinenzler haben sich im Umfeld der Stadien nicht durchsetzen können.
Liverpools damals frisch eingeführter Trainer Jürgen Klopp 2016 vor seinem ersten Derby im Goodison Park, dem Stadion von Everton:
"Ich freue mich auf das Spiel. Es ist aber nicht so, dass ich in den letzten Jahren viele dieser Partien gesehen habe. Aber natürlich weiß ich von der großen Rivalität zwischen den Klubs und von den großen Jahren beider Klubs, als Meister und Vizemeister der Liga aus Liverpool kamen. Ich liebe diese Fußballgeschichten und ich bin ein großer Fan der Geschichte dieser Klubs."
Liverpool Fans feiern ihren Sieg gegen FC Everton.
Ungleiches Lokalderby: Liverpool Fans feiern ihren Sieg gegen den FC Everton.© picture alliance/Offside/Simon Stacpoole

Lokalkolorit statt internationale Erfolge

Seit Einführung der Football League 1888 sicherten sich die beiden Klubs 27 englische Meisterschaften. Allein 18 gingen auf das Konto der Reds. Nur Manchester United war mit 20 Titeln noch erfolgreicher. Neun Mal errang Everton die Trophäe. In der Premier League sah es zuletzt allerdings recht mau aus für die Klubs von der Merseyside.
"Liverpool hat zwar deutlich mehr Meisterschaften gesammelt als Everton und ist Nummer zwei hinter Manchester United. Aber es fällt schon auf, dass seit Anfang der Premier League keiner der Klubs aus Liverpool einen Titel gewonnen hat, sondern die gingen alle an Chelsea, an Arsenal, vor allem an United und in jüngster Zeit an Manchester City."
Der FC Liverpool kompensiert diese Schwächephase im nationalen Wettbewerb mit eindrucksvollen Erfolgen im Europapokal.
Den 13 internationalen Pokalen, die Liverpool insgesamt gewann, hat der FC Everton nichts entgegenzusetzen.
"Das drehen Everton-Fans so ein bisschen in die Richtung: Na ja, ist vielleicht doch nicht so richtig ein Liverpooler Klub. Der Liverpooler Klub – das sind eigentlich wir. Das erinnert so ein bisschen an das Verhältnis 1860 München und Bayern München, wo die 60er Fans ja auch sagen: Wir sind der Münchner Verein, wir sind Giesing. Und die Bayern, ja Gott, die sind Bayern, Deutschland, die Welt. Wobei, wenn man das dann durchzählt, das wahrscheinlich auch nicht so stimmt. Wahrscheinlich gibt es in München wenigstens so viel Fans des FC Bayern wie des TSV 1860 München."
Während der FC Liverpool längst eine "globale Marke" ist, die Fans aus aller Welt fasziniert und anzieht, bastelt der FC Everton an seinem Image als der wahre lokale Klub von der Merseyside. Liverpool-Chronist Schulze Marmeling muss darüber ein wenig lächeln.
"Wenn ich Everton-Fan wäre, würde ich das, glaube ich, auch so betonen. Und gleichzeitig glaube ich, dass Everton-Fans durchaus offen dafür sind, dass sie auch eine globale Marke werden. Das ist so ein bisschen diese Underdog-Attitüde, die wir auch aus München kennen, wo man auch dieses Lokalkolorit betont. Ich glaube, kein Everton-Fan hat etwas dagegen, wenn man auch eine globale Marke wird."

"Da geht es hoch her bei den Derbys"

Gelegentlich wurde die Rivalität zwischen den Reds und den Toffees, den Fans des FC Everton, mit der in Glasgow zwischen Celtic und den Rangers verglichen. Tatsächlich verfügt der FC Everton über katholisch-irische Wurzeln, während der FC Liverpool von Beginn an eher protestantisch-schottisch gefärbt war. Aber die Anhänger der beiden Klubs ließen sich nie in eine fanatisierte konfessionelle Spaltung treiben.
"Da geht es schon hoch her bei den Derbys. Aber ich glaube, dass der Hass der Liverpool-Fans auf Manchester United eigentlich größer ist als auf die Evertonians. Vielleicht auch, weil man mehr auf Augenhöhe ist mit United als mit Everton, was vielleicht noch mehr das Derby ist."
Gibt es eine Gelegenheit, den Lokalrivalen zu provozieren, wird sie selbstverständlich genutzt. Bei einem Derby im Jahr 1999 verhöhnten Everton-Fans den Liverpooler Stürmer Robbie Fowler. Der Grund: Englische Medien hatten zuvor kolportiert, der Spieler konsumiere Kokain. Fowler revanchierte sich auf seine Weise. Nach Verwandlung eines Elfmeters kroch er vor den Everton-Fans die Außenlinie entlang und tat so, als ob er diese wegschnupfen wollte, was ihm eine Sperre von sechs Spielen eintrug.
"Es gab diese Boulevard-Stories über Fowler und seinen Kokain-Konsum. Da kann ich gar nicht drüber urteilen. Wenn es irgendeine Schwäche oder eine vermeintliche Schwäche beim Gegner gibt, dann drückt man da voll den Daumen rein."

Im Vergleich zur fast körperlichen Abneigung, die Liverpooler Fans gegenüber der verhassten Konkurrenz aus Manchester empfinden, geht es an der Merseyside geradezu familiär zu. Nicht umsonst wird das Zusammentreffen beider Teams auch "friendly Derby" genannt.
"So blieb dann Liverpool ein Fußballkrieg á la Glasgow erspart. Sie finden auch in Liverpool Familien, wo die eine Hälfte blau ist, die andere rot ist. Das wäre in Glasgow völlig undenkbar."
Stürmer Robbie Fowler "schnüffelt eine Linie Kreide am Spielfeldrand.
Robbie Fowler "schnüffelt" Kreide: Die triumphierende Geste löste einen Sturm der Entrüstung aus.© SKY TV/Stringer

Zusammengehörigkeitsgefühl trotz Konkurrenz

Das Zusammengehörigkeitsgefühl zeigte sich auch, als bei der Katastrophe im Hillsborough-Stadion von Sheffield 96 Liverpool-Fans ums Leben kamen.
"Ob der Zaun von allein zusammenbrach oder ob er in böswilliger Absicht niedergerissen wurde, wird man später sehen. Aber das scheint die Ursache des Problems gewesen zu sein. Das Problem, das jetzt für viele besorgte Gesichter in Hillsborough sorgt."
"Da gab es eine große Solidarität in Liverpool, auch der Evertonians mit den FC-Liverpool-Fans, die sich dann auch manifestierte beim Pokalfinale in London, wo Everton-Fans und Liverpool-Fans gemeinsam angereist sind und gemeinsam 'You never walk alone' intoniert haben."
Katastrophe im Hillsborough-Stadion von Sheffield, bei dem 96 Liverpool-Fans ums Leben kamen.
Hillsborough-Katastrophe 1989, bei der 96 Liverpool Fans ums Leben kamen.© picture alliance/PA Wire/David Giles
Die magische 78. Minute im Halbfinal-Rückspiel der letzten Champions-League zwischen dem FC Liverpool und dem FC Barcelona. Origi erzielt das 4:0 für die Reds, was in der Endabrechnung die Eliminierung von Barca bedeutete – und den Traum von Messi und Co., sich ausgerechnet in der spanischen Hauptstadt zu europäischen Champions krönen zu lassen, platzen ließ.
"Die Niederlage in Anfield hat den Klub schwer gezeichnet. Und sie wirkt immer noch nach. Bei den Spielern und beim Trainer. Das war ein harter Schlag. Von dem Schock von Liverpool hat die Mannschaft sich bis heute nicht erholt. Natürlich gibt es da einen psychologischen Faktor. Seit Liverpool trägt die Mannschaft Trauer."
Joan Josep Pallàs, Sportchef der angesehenen überregionalen Tageszeitung "La Vanguardia". In die aktuelle Saison ist Barca miserabel gestartet. Dass der Lokalrivale Espanyol in der Primera División noch wesentlich schlechter dasteht, ist für die Barcelonistas kein Trost. Eher selbstverständlich. In der gesamten Geschichte der spanischen Liga lag der Reial Club Deportiu Espanyol de Barcelona, wie er offiziell heißt, in der Abschlusstabelle ganze drei Mal vor Barca.
Auch international konnten die Blauweißen selten etwas reißen. Größter Erfolg war das Erreichen des zweiteiligen UEFA-Pokalfinales 1988 gegen Bayer 04 Leverkusen. Das Hinspiel hatte man 3:0 gewonnen. Im Rückspiel unterlag man mit 0:3. So musste das Elfmeterschießen entscheiden.
"Losada gegen Vollborn, und der rudert mit den Armen. Losada verschießt – Leverkusen gewinnt den Europapokal, gewinnt dieses Elfmeterschießen mit 3:2, ist UEFA-Pokalsieger 1988."

Die lokale Hackordnung ist klar

Von dieser Pleite, so heißt es im Umfeld von Espanyol, habe sich der Verein jahrelang nicht erholt. Erst 2007 erreicht er erneut das UEFA-Pokal-Finale, das aber wieder im Elfmeterschießen verloren wurde – gegen den FC Sevilla. In der spanischen Liga dümpelt der Klub bestenfalls irgendwo im unteren Mittelfeld. Meist aber kämpft er gegen den Abstieg, so auch in dieser Saison. Die lokale Hackordnung ist klar.
"Alle Kinder, sobald sie zur Schule gehen, schwärmen für Barca. Nur ganz wenige können sich für Espanyol erwärmen. Die Präsenz von Barca im Fernsehen, in den Zeitungen, im Radio ist enorm. Wir leben in einer Kultur, in der vor allem die Sieger zählen. Jeder Espanyol-Anhänger weiß, dass er nicht viele Gelegenheiten zum Feiern bekommt. Das ist nicht so einfach."

Die erdrückende sportliche Dominanz von Barca schmälert meist die Spannung beim Lokalderby. Speziell die Partien im Camp Nou, dem Stadion von Barca, schmeckten gelegentlich ein wenig "koffeinfrei", konstatiert Pallàs. Da erscheine Espanyol wie irgendeine x-beliebige Mannschaft. Hat Espanyol dagegen Heimrecht, sieht die Sache schon anders aus.
"Wenn man ein Derby mit Wettbewerbscharakter sehen will, muss man schon nach Cornellà. Da herrscht Stimmung, da kommt Hass auf. Die Anhängerschaft von Barca dagegen konzentriert ihren ganzen Hass auf Real Madrid. Die von Espanyol hasst Barcelona."
Die Fans des FC Barcelona schwenken Vereinsfahnen im Stadion Camp Nou.
Wer FC-Barcelona-Fan ist, hat häufig Grund zu jubeln - im Gegensatz zu den Espanyol-Fans. © picture alliance/Markus Ulmer

Katalonische Separatisten gegen Anhänger des Zentralstaates

Diese Abneigung hat historische Gründe. Der 1899 gegründete FC Barcelona begreift sich als Bannerträger des Katalanismus, der regionalen Unabhängigkeitsbewegung. Espanyol, nur ein Jahr später ins Leben gerufen, verrät schon durch seinen Namen, dass er sich mit dem spanischen Zentralstaat identifiziert. Dass König Alfons XIII. dem Klub 1912 den Titel ‚Real‘, also königlich, verlieh, brachte Espanyol bei vielen militanten Katalanen auch keine Sympathien ein. Spätestens während der Franco-Diktatur mussten die Fans beider Klubs politisch Farbe bekennen.
"Die Anhänger von Espanyol neigten politisch eher dem Regime zu, anders als die Barca-Fans. Das heißt nicht, dass es unter den Franco-Leuten keine Anhänger von Barca gab. Aber der Katalanismus manifestierte sich während der Diktatur vor allem über Barca und den Camp Nou."

Mit dem Wiederaufflammen des Konflikts zwischen katalonischen Separatisten und dem spanischen Zentralstaat haben auch die politischen Demonstrationen in den Stadien in jüngster Zeit wieder zugenommen.
"Es gibt immer noch Espanyol-Fans, die gegen die Unabhängigkeitsbewegung wettern. Umgekehrt ertönen die Unabhängigkeitsrufe im Stadion von Barca, die Rufe nach Freilassung der inhaftierten Politiker. Sowas passiert bei Espanyol nicht."
Nou Camp Stadion in Barcelona, Spanien. FC Barcelona gegen RCD Espanyol. Die Fans halten rote und blaue Banner in die Höhe.
Fan-Choreografie während eines Spiels des FC Barcelona gegen Espanyol.© picture alliance/Actionplus
Unabhängigkeitsgesänge während eines Clásico im Camp Nou. Dieser Katalanismus wird von der Vereinsführung unterstützt und gefördert. Der Vorstand von Espanyol hat sich dagegen vor allem in den letzten Jahren bemüht, sich als Sportklub zu profilieren. Möglicherweise hängt das mit einem Wechsel in den Eigentumsverhältnissen zusammen. Seit 2016 ist der chinesische Videogames-Hersteller Chen Yansheng Besitzer und Präsident des Klubs.
"Man will ausschließlich als Sportklub angesehen werden. Von politischen Scharmützeln wollen sie nichts wissen. Obwohl: Bei Spielen von Espanyol gegen Barca gibt es immer noch mehr spanischen Fahnen als sonst. Da wird dann doch auf die nationalistische Karte gesetzt."
Je älter der Espanyol-Aficionado, desto feindseliger stehe er meist Barca gegenüber, beobachtet Pallàs. Denn er lebe noch im Bewusstsein der konfliktreichen Geschichte, die beide Klubs oftmals miteinander konfrontierte. Für die jüngeren Fans sei es eine Art von künstlich erzeugter Rivalität. Die Haltung der Spieler hängt oft davon ab, wie lange sie schon im Verein kicken.
"Messi lebt das Derby, weiß, worum es da geht. Warum? Weil er selbst schon als kleiner Junge gegen Espanyol gespielt hat. Gleiches gilt für die Spieler von Espanyol. Die haben viele Spieler aus dem eigenen Nachwuchs. Das erzeugt ein spezielles Gefühl von Gruppenzugehörigkeit und von Rivalität.
Je mehr ein Spieler sich mit seinem Verein identifiziert, desto eher wird er zum roten Tuch für die Gegenseite.
"Piqué, Messi, Busquets – die wissen genau, wer Espanyol ist. Die leben diese Rivalität. Piqué ist Feind Nummer eins für die Anhängerschaft von Espanyol – und zwar mit großem Abstand. Er ist ein Provokateur. Er hat Dinge über Espanyol gesagt, nur um zu provozieren."

Wie es in den Wald ruft, so schallt es heraus. Tatsächlich gehen die Espanyol-Fans nicht gerade zimperlich mit Gerard Piqué um. Bei jedem Lokalderby im heimischen RCDE-Stadion setzt es Schmähgesänge gegen den Innenverteidiger von Barca und seine Frau Shakira. Kostprobe: "Piqué, Dreckskerl, Shakira hat einen Schwanz, und du bist schwul."
Piqué reagiert auf solche Anwürfe in der Regel mit der Gelassenheit dessen, der sich sportlich meist auf der Seite der Sieger weiß.
"Das ist eine wunderbare kleine Minderheit. Das nächste Mal sollten sie lieber dafür sorgen, dass das Stadion voll ist."

RB Leipzig – Werbemannschaft für eine Brause?

"Ihr macht unseren Sport kaputt."
Ihr macht unseren Sport kaputt? Noch immer erklingen Sprechchöre wie dieser, wenn die Roten Bullen vom RB Leipzig Gastspiele in der Bundesliga geben. Zu den Fundamentalkritikern zählt nach wie vor Philipp Köster, Chefredakteur von "11freunde", dem Magazin für Fußballkultur. Er hält RB Leipzig für ein reines Marketingprojekt, eines dieser Unternehmen, denen er zutraut, mittelfristig die gewachsene Fußballkultur in Deutschland zu zerstören.
"Da geht es nicht darum, den Osten zu fördern, da geht es nicht drum, die Jugend zu fördern, da geht es nicht drum, den Leuten in Leipzig besonders schönen Fußball zu bieten. Da geht es wirklich nur darum, die Awareness, wie man in der Werbeindustrie so schön sagt, der Marke Red Bull und dieser ganzen Dosengeschichte zu steigern."
RB-Fans wie Torsten können mit dieser Polemik nichts anfangen.
"Ich find gut, dass die in Markranstädt gegründet wurden, in meiner Heimatstadt. Und wenn man den SSV mit dazunimmt, haben die eine lange Tradition."
Und noch etwas ist für ihn wichtig.
"Gute Jugendarbeit und endlich ordentlichen Fußball hier in der Stadt Leipzig. Früher war es Lok und jetzt ist es eben RB."
Früher war es Lok? Richtig! Da war doch mal was:
"Europapokalsieger der Pokalsieger 1987 Ajax Amsterdam. Es hat nicht gereicht für Lok Leipzig. Der verdiente Sieger, das steht fest, heißt Ajax Amsterdam. Leipzig, so glaube ich, hat eine Chance verpasst."
Zweieinhalb Jahre vor dem Fall der Mauer zerstörte ein gewisser Marco van Basten im Olympiastadion von Athen die Europapokal-Träume des DDR-Oberligisten Lokomotive Leipzig. Angefangen hatte alles viel früher.

"Der erste deutsche Meistertitel ist vom Verein für Bewegungsspiele errungen worden, gegen Prag."
Britt Schlehahn, Sport-Ressortleiterin beim "Kreuzer", dem monatlich erscheinenden Stadtmagazin Leipzigs. Tatsächlich blickt die aufstrebende sächsische Metropole auf eine reiche Fußball-Tradition zurück. 1900 erfolgte hier die Gründung des Deutschen Fußballbundes. Und mit dem VfB Leipzig stellte die Stadt 1903 auch den ersten Deutschen Meister.
"Aus dem VfB ging ja dann 1966 Lok Leipzig hervor - größtes Ereignis in der Vereinsgeschichte: die Finalteilnahme 1987 beim Europapokalfinale. Dann haben wir noch die BSG Chemie Leipzig, die 1951 erster DDR-Meister wurde und dann 64 noch mal und 66 Pokalsieger der DDR."
Fußball Finale Ajax Amsterdam gegen FC Lokomotive Leipzig, 1:0 am 13.05.1987
1:0 gewann Ajax Amsterdam beim Spiel um den Europapokal 1987 gegen den 1. FC Lokomotive Leipzig.© picture alliance/Werek

"Einmal Chemie-Fan, immer Chemie-Fan"

Die BSG Chemie Leipzig bestand bis zur Wende und fusionierte 1990 mit der BSG Chemie Böhlen zum FC Sachsen Leipzig. Aufgrund zunehmender Unzufriedenheit eines Teils der Fanszene des FC Sachsen Leipzig wurde 1997 die BSG Chemie neu gegründet. Gerd, ein Sachsen-Leipzig-Fan der ersten Stunde:
"Das erste Mal bei Chemie Leipzig war ich 1964, das Jahr, wo sie Meister wurden. Und seitdem bin ich mit kleinen Unterbrechungen ständiger Zuschauer bei der BSG Chemie Leipzig beziehungsweise dann ab 1990 beim FC Sachsen Leipzig. Was anderes gibt es nicht. Einmal Chemie-Fan, immer Chemie-Fan."
Für einen wie Gerd ist Rasenballsport Leipzig nur eine zusammengekaufte Truppe.
Das heutige Lok Leipzig ist Nachfolgeverein des gleichnamigen, 1966 gegründeten sowie des 2004 insolvent gegangenen Vereins. Seit drei Jahren spielt man viertklassig in der Regionalliga Nordost, ebenso wie Chemie. Was unterscheidet die Fans?
"Lok hat immer behauptet, dass die Assis zu Chemie gehen, jetzt würde man vielleicht sagen – Arbeiterklub. Und die andern, die, die eben von offizieller Seite hofiert wurden, wo man sagen kann, dass diejenigen, die vielleicht nicht so dicke mit dem Staat waren, dann eher nicht hingegangen sind. Vielleicht so in etwa wie BFC Dynamo und Union."

Reicher Emporkömmling gegen Traditionsvereine

Zum Emporkömmling RB Leipzig, der mit den Geldern eines österreichischen Brausefabrikanten gepäppelt wurde, pflege man eher ein Unverhältnis, meint Britt Schlehahn.
"Es war von Anfang an klar, dass es kein Nebenbuhler ist, weil genügend Geld fließt. Die mussten das Geld ja nicht einwerben, sondern das Geld war einfach da. Ich glaub, was beide Vereine gemacht haben, war, das zu ignorieren."
Was bleibt den einstigen Größen auch sonst übrig? Aus neutraler Sicht ist es nicht das Schlechteste, dass in einer Stadt mit einer Fußballtradition wie Leipzig seit Kurzem wieder Spitzensport betrieben wird.
"Ich glaube, man hat so eine friedliche Koexistenz: Jeder macht das, was er kann und will und machen muss – und lässt den anderen dahingehend in Ruhe."

Ob die ungleichen Lokalrivalen sich noch einmal auf Augenhöhe begegnen können? In Leipzig erscheint das angesichts der Ambitionen und Wirtschaftskraft von Red Bull nicht vorstellbar. Was aber auch nicht weiter schlimm ist, findet Britt Schlehahn.
"Leipzig ist eine wachsende Stadt. Es kommen immer mehr Leute, also ist auch Platz genug für drei Vereine. Und je nachdem, wie man ausgerichtet ist, soll man dahin gehen und kann sich die Spiele angucken."
RB Leipzig-Maskottchen Bulli klatscht nach dem Bundesliga-Spiel einen kleinen Fan ab.
RB Leipzigs Red Bull Maskottchen Bulli: Ist der Verein ein reines Marketingprojekt?© imago/opokupix
In Liverpool müsste schon etwas Ungewöhnliches geschehen, damit Everton eines Tages aus dem riesigen Schatten der Reds treten kann. Dietrich Schulze-Marmeling hat so seine Zweifel. Aber:
"Theoretisch ist ja möglich, dass mit Everton Ähnliches passiert wie mit Manchester City, dass da irgendjemand aus der arabischen Welt oder aus Russland mit einem dicken Konto einsteigt und diesen Verein noch einmal richtig nach oben bringt. Gerade durch so einen Prozess hat ja Everton seine Position unter den Big Five verloren. Deswegen will ich das nicht komplett ausschließen. Aber aktuell gibt es natürlich einen enormen Vorsprung des FC Liverpool."
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