Ungewöhnliche Töne in der jungen Gegenwartsliteratur

13.03.2007
"Mara Kogoj" ist eine Art Fortsetzung des zunächst unbeachteten - später sehr erfolgreichen Romans "Nahe Jedenew" - von Kevin Vennemann. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Tone Lebonja recherchiert die Hauptfigur Mara Kogoj die Geschehnisse am Ende des Zweiten Weltkriegs in Kärnten, vor allem den Partisanenkampf im Grenzgebiet zu Slowenien.
Der 1977 geborene Kevin Vennemann hat im letzten Jahr eine erstaunliche Karriere hingelegt. Ende 2005 ist in der mittlerweile eher als entlegen zu bezeichnenden Taschenbuchreihe "edition suhrkamp" sein kleiner Roman "Nahe Jedenew" erschienen, der mit einer gewissen Zeitverzögerung dann euphorische Kritiken erhielt – zunächst in Deutschlandradio Kultur, dann in der "Süddeutschen Zeitung" und in der "Zeit".

Es war ein sperriger Text, der offensichtlich von einem Judenpogrom in Polen Ende der dreißiger Jahre handelte, aber Ort und Zeit waren dabei so kunstvoll ausgespart und in eine andere Sphäre überführt worden, dass es sich zunächst fast unmerklich zu einer zeitlos beklemmenden Studie über Aggression und Hass auf Minderheiten im Allgemeinen entwickelte – geschrieben in der Sprache von heute, mit Mitteln des Sampelns und Scratchens, mit einer faszinierenden und verfremdenden Rhythmisierung.

"Mara Kogoj" ist nun in gewisser Weise die Fortsetzung jenes furiosen Textes – nun in der repräsentativen Hardcoverreihe bei Suhrkamp, in der Verlagsvorschau gleich nach Peter Handke als Spitzentitel platziert. So schnell kann es gehen.

Die raffinierte Fiktion, das ästhetische Vexierfeld von "Nahe Jedenew" ist im neuen Roman in etwas Konkretes überführt. Mara Kogoj ist der Name der weiblichen Hauptfigur. Sie recherchiert zusammen mit ihrem Kollegen Tone Lebonja die Geschehnisse am Ende des Zweiten Weltkriegs in Kärnten, vor allem den Partisanenkampf im Grenzgebiet zu Slowenien. Beide gehören der slowenischen Minderheit in Kärnten an und interviewen Ludwig Pflügler, der heute als Journalist die Geschehnisse in einem reaktionären heimatbündlerischen Sinn interpretiert – gegen die Slowenen, voller Hass. Die beiden Interviewer reagieren unterschiedlich auf die Tiraden Pflüglers: Lebonja hört sich das alles an und sagt nichts, Mara Kogoj jedoch geht aus der Deckung und akzeptiert die von Pflügler beanspruchte Autorität nicht.

Kevin Vennemanns neues Buch ist also ganz konkret zeitgeschichtlich verankert und schlägt den Bogen von der Zeit am Ende des Nationalsozialismus zur aktuellen Situation in Kärnten. Damit schreibt er an seinem ästhetischen Programm konsequent weiter: was in "Nahe Jedenew" angedeutet wurde, wird jetzt mit "Mara Kogoj" exemplarisch durchgestaltet. Es geht um das Interesse der heute Dreißigjährigen daran, was es mit der Zeit des Nationalsozialismus und seinem Weiterwirken heute auf sich hat, wie es um die zunächst flächendeckend erfolgte "Bewältigung" der Vergangenheit und den aktuellen Moden und Diskursen über das Hitlerregime bestellt ist.

Die Sprache ist unverkennbar noch die rhythmisierte, atmosphärische aufgeladene des vorangegangenen Romans, aber sie ist auch härter geworden, direkter. Über voreilige Betroffenheit geht Vennemanns irritierende Sprache weit hinaus. Gerade im konkreten Nennen von Daten, in der zeitgeschichtlichen Verankerung riskiert der Autor sehr viel. Es ist ein höchst ungewöhnlicher Ton in der jungen Gegenwartsliteratur.

Rezensiert von: Helmut Böttiger

Kevin Vennemann: Mara Kogoj
Suhrkamp Verlag 2007
217 Seiten, 16,80 Euro