Ungarnland in Bauernhand?

Von Jan-Uwe Stahr · 30.10.2013
Ungarns Regierungschef Viktor Orbán sieht sich als Schutzherr der "heiligen ungarischen Erde". Er will sein Land vor allem aus heimischer Produktion ernährt wissen. Seine Kritiker werfen ihm jedoch skandalöse Amigowirtschaft bei der Vergabe von Agrarland vor.
Der Plattensee in Ungarn. Die sanft gewellte, liebliche Landschaft im Westen des Landes lockt nicht nur Touristen aus ganz Europa an. Auch für Landkäufer und -spekulanten ist die Region seit dem Ende des Sozialismus von besonderem Reiz. Denn die Böden rund um den flachen Balaton sind fruchtbar - und billig. Kosteten nur ein Hundertstel der Preise im benachbarten Österreich. Zwar wurde der Landverkauf an Ausländer bereits 1994 offiziell gestoppt. Aber landhungrige Investoren fanden andere Wege, um ihren Appetit auf die fruchtbare ungarische Erde zu stillen.

Peter: "Das ist immer nach dem gleichen Schema gelaufen. Die ehemaligen Kommunisten haben gesagt: Okay, mein Freund, offiziell darfst du als Ausländer die Grundstücke nicht kaufen. Mir zahlst du XY in die Tasche und dafür bekommst du einen Pachtvertrag auf 100 Jahre für einen Appel und ein Ei, sagt man bei euch."

Peter Kulier betreibt einen Reiterhof am Balaton und bewirtschaftet eine Fläche von fünfzig Hektar Land. Die hat der österreichische Textilunternehmer vor 1994 ganz offiziell gekauft. Sein Bekannter, ebenfalls Österreicher, kam später. Aber er besorgte sich gleich achttausend Hektar Land - mit Hilfe eines sogenannten Taschenvertrages. Und bezahlt für die riesigen Flächen insgesamt gerade mal zweihundertfünfzig Euro pro Jahr. Die Einnahmen, alleine aus den jährlichen Agrarsubventionen der EU, sind dagegen beträchtlich:

"Ich habe mir das ausgerechnet, wenn man den minderwertigsten Grundstückstarif pro Hektar rechnet, kassieren sie 650.000 Euro pro Jahr."

Ausländern soll ungarisches Land wieder abgenommen werden
Bis zu 20 Prozent der ungarischen Agrarflächen werden, laut Schätzungen, heute von Ausländern bewirtschaftet. Die ungarische Regierung von Viktor Orbán hat diese sogenannten Taschenverträge jetzt für null und nichtig erklärt. Diesen Ausländern soll das Land nun wieder abgenommen werden. Gleichzeitig muss allen EU-Bürgern ab Mai 2014 der Kauf von Agrarland in Ungarn erlaubt werden, so schreibt es Brüssel vor.

Tumulte im ungarischen Parlament im Frühsommer dieses Jahres: Als "Landesverräter" beschimpfen Abgeordnete der rechtsextremen Jobbik-Partei die Kollegen der national-konservativen Regierungspartei von Viktor Orbán. Der Grund: Das neue Bodengesetz der Regierung lässt, wie von der europäischen Union gefordert, den Verkauf an Agrarland künftig zu. Allerdings nur unter strengen Auflagen: So müssen die Investoren aus der EU in Ungarn als Landwirte arbeiten und nach Ungarn ihren Wohnsitz verlegen. Bodenspekulanten und Geldanleger sollen draußen bleiben. Viktor Orban sieht sich als vehementer Verteidiger der vielzitierten "heiligen ungarischen Erde". Und als Anwalt und Förderer einer bäuerlichen Landwirtschaft.

"Wir wollen die mittleren Betriebe stärken. Wir wollen den Kleinen eine Chance geben, damit sie sich besser entwickeln können. Und wir werden den Großbesitz einschränken." So versprach es Ministerpräsident Orbán im Frühjahr dieses Jahres bei der Tagung des ungarischen Bauern-Verbandes. Denn unabhängige Bauern gab es in Ungarn weder zu feudalistischen K.-u.-k-Monarchie-Zeiten noch im Sozialismus. Das soll sich ändern: Zweihunderttausend Hektar Agrarland aus einem "Nationalen Bodenfond" soll nun ausschließlich an einheimische Landwirte verpachtet werden, Existenzgründer und Familienbetriebe bevorzugt.

Agrar-Musterbeispiel mit Schönheitsfehlern
Die Horvath-Farm - gut fünfzig Kilometer südlich von Budapest. Hier produziert die gelernte Agraringenieurin Judit Horvath zusammen mit ihrem Mann, einem arbeitslosen Akademiker, seit knapp drei Jahren Gemüse, Ziegenkäse und Obstsäfte für Bioläden in der Hauptstadt. Die kleine Öko-Farm könnte ein Musterbeispiel für Orbáns neue Agrarpolitik abgeben - wenn da nicht die hässliche Wirklichkeit wäre, wie Judith Horvath später erzählt.

"Den Hund haben wir neu", sagt die Agrar-Ingenieurin und schließt das Tor zu ihrem eingezäunten Gemüsefeld auf. "Den Zaun haben wir auch erst jetzt gebaut." Das Gemüse der Horvath-Farm ist sehr begehrt, nicht nur in Budapester Bioläden. Tomaten, Gurken, Paprika, Aubergine reifen hier gut. Und jetzt auch noch süße Honigmelonen. " Wir düngen hier nur mit dem Mist von unseren Tieren." Judit bückt sich, greift ein Häufchen des trockenen Bodens, lässt ihn durch die Finger rieseln:

"Das hier ist Schwarzerde-Boden. Leider wegen der schlechten Bewässerung etwas staubig geworden. Von der Qualität her ist er aber sehr gut."

Die Bewässerung ihres Gemüsefeldes besorgen die Horvaths jeden Morgen in aller Herrgottsfrühe - per Hand. Ein automatisches Bewässerungssystem - im Gartenbau eigentlich unerlässlich - gibt es hier nicht. Denn dafür fehlt das Geld. "Eigentlich wollten wir die Bewässerungsanlage aus den staatlichen Fördermitteln für Existenzgründer anschaffen", sagt Judit. Aber dann reichten die bewilligten 9,5 Millionen Forint, gut 32.000 Euro, nicht mehr aus. Denn ein Drittel der überwiegend europäischen Fördermittel kassierte der ungarische Staat als Steuern wieder ein.

"Die fehlende Bewässerungsanlage ist aber nicht unser größtes Problem", sagt die Landwirtschafts-Existenzgründerin, "sondern das fehlende Land". Gerade mal 1500 Quadratmeter misst ihr Gemüsefeld - so viel wie ein größerer Garten. Immer wieder hatte die Orbán-Regierung öffentlich beteuert, dass junge Existenzgründer und kleine Familienbetriebe bei der Verpachtung von staatlichen Agrarland aus dem sogenannten "Nationalen Bodenfonds" vorrangig bedacht werden:

"Ja, ich habe mich auch darauf verlassen und meinen Antrag gestellt: Vor Ort wohnhaft, Jungbäuerin, qualifiziert, Mutter mit drei Kindern, routiniert - nach all den Jahren. Ja, ich habe mich auf die Slogans und die offiziellen Richtlinien der nationalen Bodenpolitik verlassen, aber in der Praxis funktioniert es nicht."

Die Vergabe-Praxis der Pachtverträge für das staatliche Agrarland ist nicht transparent und voller Widersprüche, sagt die Agraringenieurin:

"Als ich meinen Antrag eingereicht habe, haben sie am selben Tag, ein paar Stunden später die Ausschreibung ohne Begründung zurückgezogen und mir mitgeteilt, dass mein Antrag ungültig ist."

Großbauern mit Beziehungen zu Fidesz-Partei bevorzugt
Dies kein Einzelschicksal. Auch andere Kleinbetriebe gingen leer aus bei der Landverpachtung. Stattdessen konnten sich vor allem Großbauern mit guten Beziehungen zur regierenden Fidesz-Partei und Familienmitglieder von Viktor Orbán aus dem sogenannten "Nationalen Bodenfonds" mit günstigen Pachtland bedienen. So stellte es inzwischen ein Untersuchungsbericht für das Komitat Fejér fest. Angefertigt hat diesen kritischen Bericht ausgerechnet der Urheber von Orbáns Kleinbauern-Förderprogramm, der Agrarwissenschaftler Jozsef Angyan. Aus Protest gegen diese skandalöse Amigo-Wirtschaft bei der Landvergabe trat der Professor von seinem Amt als Landwirtschafts-Staatssekretär zurück. Sogar seine Mitgliedschaft in Orbáns Fidesz-Partei kündigte er auf. Die Familie Horvath dagegen muss weitermachen mit ihrer kleinen Öko-Farm:

"Ich bin dazu gezwungen, durchzuhalten. Denn die Förderperiode dauert bis zum 31. Dezember 2015. Wenn ich nicht durchhalte, dann muss ich das ganze staatliche Fördergeld plus Zinsen zurückzahlen. Ich muss also weitermachen - egal ob ich es will oder nicht."

Damit der kleine Biobetrieb auch ohne das dringend benötigte Land über die Runden kommt, bietet die junge Agraringenieurin jetzt im 50 Kilometer entfernten Budapest Ayurveda-Massagen an und züchtet in ihrem Keller Pilze. "Von den Pilzen habe ich leider eine Allergie bekommen", sagt Judit Horvath traurig.

Es ist aber nicht nur Viktor Orbáns Amigo-Wirtschaft, die einen neuen Großgrundbesitz schafft anstelle einer bäuerlichen Landwirtschaft - auch die EU-Agrarpolitik fördert Ungarns "grüne Barone", wie gewiefte Subventionsabzocker hier auch genannt werden. Ein fachkundiger Unternehmer ist auch Oliver Bozó. Er weiß wie man Agrarfördergelder maximal ausschöpfen kann.

"Diese Türen haben wir extra für uns anfertigen lassen. Ein alter Tischlermeister aus Siebenbürgen hat sie hergestellt."

Olivér Bozó, 38-jähriger Geschäftsmannes aus dem nordostungarischen Tarnalelesz, streicht über die schwere Eingangstür seines Weinkellers. Sie ist mit handgeschnitzten Pflanzen- und Tiermotiven verziert. Auch sonst zeigt sich seine neue Ranch im altungarischen Stil: Das eidottergelbe Bauernhaus mit mächtigem Säulenportal, die Viehställe und Scheunen aus Akazienholz, der Obst- und Gemüsegarten, der Fischteich und die hölzernen Koppelzäune, die kilometerlang von dem hügeligem Weideland Besitz ergreifen.

Auch bei den Tieren, die auf Bozos Ranch gehalten werden, spielt die Tradition eine wichtige Rolle.

"Als Nutztiere halten wir hier ungarische Graurinder. Außerdem - denke ich - sind alle Tierarten hier vorzufinden, die charakteristisch für Ungarn sind. Aber wir halten sie nicht zu Produktionszwecken, sondern als Sehenswürdigkeit: Verschiedene Pferderassen - Lipizaner und Magyar Sodrott, eine Kreuzung aus Warm- und Kaltblütern, Esel, Hühner, Enten, Gänse mehrere Putenrassen. Meiner Meinung nach sind hier alle Tierrassen vertreten, die zu so einem Familienbauernhof gehören."

2.000 Quadratmeter Land als Hobby
Olivér Bozó selbst ist kein Landwirt. Bewirtschaftet wird die Ranch deshalb von einem jungen Verwalter-Paar aus dem rumänischen Siebenbürgen. "Der Bauernhof ist mein Hobby", sagt er, "und ein Kindheitstraum". Wann immer es seine Zeit erlaubt komme er mit seinem schwedischen Geländewagen auf die abgelegene Ranch herausgefahren. Bozó ist gelernter Buchhalter und wurde erfolgreicher Unternehmer in der Forst- und Holzbranche. Aber seine Vorfahren waren schon vor und während des Sozialismus in der Landwirtschaft tätig.

"Aber nach dem Ende des Sozialismus, als die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften aufgelöst wurden, bzw. in Konkurs gingen, wurde die Agrarwirtschaft in dieser Region komplett eingestellt. Eine ökonomische Betriebsführung war vor allem wegen der minderwertigen Böden nicht mehr möglich."

Nach der Wende bekamen die ehemaligen Bauernfamilien ihr einstmals verstaatlichtes Land zurück. Doch viele verkauften es gleich wieder, zum Beispiel um sich ein neues Auto zu leisten.

"Nach der Wende, Anfang der 90er Jahre wollten die Leute hier von ihrem Landbesitz nichts wissen, bzw. ihn eher loswerden."

Familie Bozó dagegen kaufte sich Land so viel sie bekommen konnten: Insgesamt 2.000 Hektar Wald-, Weide und Ackerflächen - zu sehr günstigen Preisen, wie der Ranch-Besitzer sagt. Eine kluge Entscheidung, wie sich spätestens nach Ungarns EU-Beitritt 2004 herausstellte:

"Nach der Einführung des neuen Systems, des EU-Systems, ließen wir die Landwirtschaft wieder aufleben."

Denn nun eröffneten sich neue ökonomische Perspektiven - auch für wenig fruchtbare Regionen, wie hier im Nordosten. Nun kann jeder, der Agrarland besitzt, Fördergeld aus Brüssel bekommen. Für viele der sogenannten Direktbeihilfen ist es unerheblich, was auf dem Boden produziert wird. Oder ob überhaupt etwas produziert wird. Es zählt allein die Flächengröße.

Verschwendung von EU-Geldern für einige - aber für die Familie Bozó mit ihrem riesigen Landbesitz von rund 2.000 Hektar ein großes Glück. Rund eine halbe Million Euro kassiert sie in fünf Jahren, so ist es auf den Internetseiten des Agrarministeriums nachzulesen. Die gerade mal 160 Rinder, die Bozó auf den rund 1.000 Hektar Weideland hält, bringen dagegen bisher nur bescheidene Erträge, ebenso wie die Sonnenblumen und der Mais mit denen der Ranch-Besitzer nur kleine Flächen bestellt:

"Das ist sehr schwer.....ich würde die Landwirtschaft nicht als dominanter Wirtschaftszweig bezeichnen, aber sie passt gut zu unseren anderen Unternehmen."

Olivér Bozó schaut zu den großen LKWs, die mit frisch gemähten Heuballen über den Hof fahren. Die Trucks gehören zu seinem Holz-Fuhrunternehmen. Die Bretter und Balken für die Scheunen und Ställe für Bozós Ranch und für die kilometerlangen Weidezäune - werden in Bozós Sägewerk hergestellt. Das Holz dafür kommt aus seinen Wäldern. So steht die EU-subventionierte Landwirtschaft für den Großgrundbesitzer am Ende einer profitablen Wertschöpfungskette.

"Grüne Barone" werden die neuen Großgrundbesitzer von vielen Ungarn genannt. Landkäufer, die es vor allem auf die Agrarsubventionen abgesehen haben. Ist Oliver Bozó nicht einer von ihnen? Der junge Ranch-Eigentümer zieht die Stirn kraus schiebt sein Wasserglas zur Seite. Seine blauen Augen fixieren ihr Gegenüber:

"Falls Sie bei grünen Baronen an solche Leute denken, die das Land gekauft oder gepachtet haben, ohne darauf effektive landwirtschaftliche Tätigkeit auszuüben, will ich auf gar keinen Fall, dass jemand mir das unterstellt."
Schließlich sorge seine Ranch auf für Arbeit in der wirtschaftlich schwachen Region, sagt Bozó. Außerdem mache jetzt sogar noch eine Ausbildung zum Agrarwirt, sagt Bozó - per Fernstudium. Der geschäftstüchtige Großgrundbesitzer denkt dabei auch an sein zukünftiges Wachstum. Denn nur qualifizierte Landwirte dürfen in Ungarn zukünftig noch größere Agrarflächen kaufen oder pachten - so steht es zumindest in dem neuen Bodengesetz der Regierung von Viktor Orbán.

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