Ampelkoalition in Rheinland-Pfalz

Von "Körnerfressern" und "Klientelpolitikern"

Grüne Jugend Rheinland-Pfalz mit Forderungen zum Koalitionsvertrag.
Grüne Jugend Rheinland-Pfalz mit Forderungen zum Koalitionsvertrag. © Deutschlandradio / Anke Petermann
Von Anke Petermann · 19.04.2016
Lange haben sich FDP und Grüne in tiefster Abneigung bekämpft, jetzt steuern sie in Rheinland-Pfalz auf eine Ampelkoalition zu. Gerade die Jüngeren sehen plötzlich Gemeinsamkeiten.
"Klientelpartei" und "Körnerfresser", so schimpften sie übereinander. FDP und Grüne - lange in tiefster Abneigung verbunden. Eine Ampelkoalition galt in Rheinland-Pfalz als unmöglich. Doch die Liberalen schafften den Sprung in den Landtag, die Grünen verloren ein Drittel des Stimmenanteils und die SPD braucht beide zum Weiterregieren.
Ziehen sie nicht mit, dann droht ihnen Opposition zur Großen Koalition. Und zwar unter Führung der AfD, die nach SPD und CDU als drittstärkste Kraft in den Mainzer Landtag einzog.
Dieses Horrorszenario macht sogar den aufmüpfigen Grünen-Nachwuchs geschmeidig - und dem einstigen Erzfeind gegenüber aufgeschlossen.
"Ich glaub' wirklich daran, dass die FDP weiß, worum es geht, nämlich, dem Rechtsruck in Rheinland-Pfalz, in Deutschland etwas entgegenzusetzen. Und das schaffen wir, wenn wir zusammenarbeiten, als demokratische und liberale Parteien."
Sagt Milan Sühnhold am Rande der Mitgliederversammlung der Grünen Jugend im pfälzischen Gerbach. Zwei seiner Parteifreunde malen auf dem Holztisch vor der alten Dorfschule an einer Sprechblase: "Legalize it" wird am Ende drin stehen.

Doch nicht so unüberwindbar?

"Wir haben gesagt, wir haben ein paar Überschnittspunkte."
"Man muss fordern, was möglich ist."
Die kontrollierte legale Abgabe von Cannabis, am besten flankiert von einer Bundesratsinitiative, will die Grüne Jugend als Modellprojekt im Koalitionsvertrag haben. Ausgerechnet im früheren Erzfeind FDP hätten die Grünen darin einen Verbündeten - vorausgesetzt, so schränkt Joshua Leukam mit Blick auf die Liberalen ein, "dass die auch Mut haben, es durchzusetzen".
Ein Grüner, der von der FDP Mut fordert, ihr eigenes Programm durchzusetzen. Ist der Abstand also gar nicht so unüberwindbar wie es vor kurzem noch schien? Die Ampel in Rheinland-Pfalz – gar ein Selbstläufer?

Gerade die Jüngeren sehen Gemeinsamkeiten

Für ein Gespräch darüber schlagen drei junge Liberale ein alternativ angehauchtes Lokal auf dem Mainzer Uni-Campus vor. Alle Menüs haben hier vegetarisch-vegane Varianten, einen Veggie-Day aber gibt es nicht. Den hatten die Grünen im Vorfeld der Bundestagswahl 2013 gefordert und damit bei vielen Liberalen das Image der "Bevormundungspartei" verfestigt.
Doch gerade die Jüngeren haben sich von den Stereotypen verabschiedet und sehen Gemeinsamkeiten mit den Grünen.
"Gerade im Bereich der Bürgerrechte, der gesellschaftlichen Liberalität, gibt es Dinge, wo wir auf jeden Fall zusammenfinden könnten."
Meint der Jura-Student Linus Junginger mit Blick auf das gemeinsame Plädoyer für die Freigabe von Haschisch und die Ablehnung der Vorratsdatenspeicherung.
"Ob es jetzt am Ende reicht, um eine Koalition zu bilden, das ist dann die Frage. Aber man kann ja, bevor man sich solche Begriffe an den Kopf wirft wie 'neoliberal, marktradikal' oder 'Ökofaschisten' auf der anderen Seite, kann man ja durchaus erstmal gucken, auf welcher Grundlage man miteinander reden kann."
"Tot geliebt" vom Koalitionspartner
Immerhin teile man eine gemeinsame Erfahrung, nämlich vom Koalitionspartner "tot geliebt" zu werden. Die FDP hat das zwischen 2009 und 2013 auf Bundesebene an der Seite der Union durchlitten. Die Grünen soeben an der Seite der Sozialdemokratie.
Das effiziente Management der Flüchtlingskrise, der im Konsens etablierte Nationalpark Hunsrück-Hochwald, grüne Erfolge, die am Ende die SPD von Malu Dreyer einfuhr, so nehmen es nicht nur junge Grüne wahr.
"In einem Bündnis stellt die FDP keine Bedrohung dar", konstatiert Tobias Törber bei der Kaffeepause vor der alten Gerbacher Dorfschule. Der junge Mann aus Trier meint damit:
"dass, wenn wir jetzt in einer Koalition mit der FDP als zweitem Juniorpartner zusammenarbeiten, man auch gemeinsam Themen besetzen kann und sich nicht mehr als Feinde sieht, die in zwei total verschiedenen Bereichen aktiv sind, sondern man sich ja auch als Juniorpartner profilieren möchte, gemeinsam, und man dadurch ne Chance hat, konstruktiv zusammenzuarbeiten, und gleichzeitig, die FDP bei den Themen, die wir als Grüne nicht begleiten können, zu bremsen."

"Verspargelung der Landschaft"

Fototermin unweit der Dorfschule auf einem Feld am Hang des Donnersbergs, im Hintergrund drehen sich drei Windräder.
"Jetzt nach oben – huh!"
Auf Kommando recken die grünen Nachwuchspolitiker die selbst beschrifteten Sprechblasen in die Luft. "Recht auf Asyl", "für besseren Nah-Verkehr", "100 % erneuerbare Energie" steht auf den Schildern. Doch ausgerechnet bei der Windkraft will die FDP die Grünen bremsen.
"Verspargelung der Landschaft" nennt der junge Liberale Friedrich Sartorius beim Gespräch in der Mainzer Studentenkneipe den grünen Kurs:
"Falls wir an die Regierung kommen sollten, gäb's die Möglichkeit, da natürlich einiges besser zu machen. Da gehen wir mit den Grünen programmatisch und inhaltlich schon sehr weit auseinander. Gerade, was dieses Energiethema angeht. Ja, ästhetische Gründe und Naturschutz-Gründe – also, da gibt es einige Gründe, die gegen die energetischen Konzepte sprechen, die die Grünen da verfolgt haben, in den letzten fünf Jahren."
In der Tat liegt die Ökopartei genau deshalb im Clinch mit Teilen der Naturschutz-Szene, die mal zu ihrer Kern-Klientel gehörte. An der grünen Basis räumen viele ein, dass man zum Beispiel den Vogelschutz stärker berücksichtigen muss. Doch eine Abkehr vom Ziel, bis 2030 zu 100 Prozent auf Erneuerbare umgestellt zu haben, kommt für junge und alte Ökos nicht in Frage, da sind sie sich einig.
Schon formiert sich eine Rebellen-Front, die den Koalitionsvertrag in der anstehenden Urabstimmung nicht billigen will, wenn die Grünen die personelle Zuständigkeit für die Energie verlieren - an ein FDP-geführtes Wirtschaftsministerium nämlich. Der eigene Markenkern in der Hand der Liberalen, da wäre für so manchen Grünen eine rote Linie erreicht.

Auf einen guten Kompromiss kommt es an

Der Partei-Nachwuchs, der da auf dem Gerbacher Acker fürs Foto posiert, stellt sich das so vor: die Grünen behalten die Energiewende in der Hand. Und verkaufen den Liberalen den Ausbau der Windkraft in deren Sprache. Fabian Ehmann macht's vor.
"Die Energiewende kann man als großes Investitionsprojekt in unsere Zukunft verstehen, dieses Investitionsprojekt wird dem rheinland-pfälzischen Mittelstand sehr zugute kommen."
Der Mainzer Grüne strotzt vor Zuversicht, die FDP überzeugen zu können. Doch die Dreierrunde Jungliberaler in der Mainzer Studentenkneipe pocht auch auf die Zusage ihres Landeschefs Volker Wissing: "Kein einfaches 'Weiter so' für Rot-Grün".
Falls das alte Zweier-Bündnis den Kurs nicht ändern will - lieber in die Opposition, da sind sich die drei Jungliberalen einig. Sie wissen aber, dass auch geschwächte Grüne sich nicht so kleinmachen lassen, dass sie drei zusätzliche Rheinbrücken nebst Moratorium für Windräder und landwirtschaftliche Ökoförderung schlucken.
Am Ende kommt es auf einen guten Kompromiss an, bei dem keiner düpiert wird, glaubt das Trio. Den zu moderieren, ist derzeit die Aufgabe der Sozialdemokratin Malu Dreyer. Und – da sind sich junge Liberale und deren grüne Altersgenossen wieder einig: Der Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz trauen sie einiges zu.
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