Unendliche Partnersuche

Rezensiert von Astrid von Friesen · 17.01.2010
Sven Hillenkamp schreibt in "Das Ende der Liebe" von den Schwierigkeiten der Menschen, sich ein Leben lang an einen anderen zu binden. Arnold Retzer plädiert in "Lob der Vernunftehe" für mehr Realismus in der Liebe.
"Der Mensch ist dazu verdammt, frei zu sein", so formulierte es der französische Philosoph Jean-Paul Sartre in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Von dieser "unendlichen Freiheit" und dem daraus resultierenden Ende der Liebe und der unendlichen Partnersuche handelt der Essay des Soziologen und Philosophen Sven Hillenkamp. Er schreibt:

"Aus Freiheit und immer mehr Freiheit wird Zwang...denn die Liebe kennt zwei Feinde ... den Zwang der Familie, der Kirchenoberhäupter, der Gesellschaft ... und die Freiheit ... der Konjunktiv, die Möglichkeitsform. Jedes Sein wird überschattet durch ein zigfaches Könnte-Sein."

Früher konnte der Mensch eine begrenzte Anzahl von potentiellen Partnern in seinem Dorf, in seinem Umfeld kennen lernen, er entschied sich und lebte in dieser Ehe-Begrenzung. Heute lebt er in allen Lebensbereichen auf der Suche nach dem je Besseren, Schöneren, Glänzenderen - was seinen Anspruch auf Selbst-Verwirklichung und Selbst-Vervollkommnung permanent steigert.

Die Gründe für den Optimierungs-Zwang: Unsere unendliche Freiheit in der Konsumwelt und im Internet, diese Grenzen-, Raum- und Zeitlosigkeit. Menschen haben die Option, sich überall auf der Welt sowohl virtuell aufzuhalten, als auch real überall zu leben, zu arbeiten, zu lieben – weswegen ihnen Millionen von Partnern zur Auswahl stehen. Wer will und kann sich da auf einen einzigen beschränken?

Auch wird diese Suchhaltung leicht zur Sucht und oft während einer festen Beziehung beibehalten, die nur noch eine "Etappenbeziehung" mit einer "Etappenseele" ist. Die Suche wird fortgesetzt: zunächst unbewusst, halb bewusst oder klammheimlich im Netz voll bewusst.

So viele stehen zur Auswahl, ergo kann kein Einziger alles erfüllen. Hillenkamp zitiert eine Frau: "Mit dem Einen kannst du toll reden, der Andere ist toll im Bett, der Dritte ist zuverlässig. Aber das alles findest du nie in einer Person. Nie!"

Es gibt tendenziell nur noch serielle, temporäre, partielle, komplementäre Beziehungen.

"Die freien Menschen kennen drei Zustände ... das absolute Verlangen ... die Blockade und die Unendlichkeit der Möglichkeiten, sprich die endlose Suche ... ..sie sind auf eine furchtbare, totale Weise offen für Neues, offen für jeden, weil sie leer sind, weil jeder, der ihr Inneres einst bewohnt hat, seine Freiheit genutzt hat, also gegangen ist. Sie trennen sich nicht mehr nach einer Beziehung, sondern vor einer Beziehung, sie verlassen nicht, weil sie begonnen haben zu hassen, sondern weil sie unzufrieden sind."

Speeddating, dieses Minuten-Abtasten-Verwerfen ist der zeitgemässe Ausdruck.

Man wird zum Kenner, zum Gourmet bei der Partnersuche, aber auch depressiv und einsam. Hillenkamp schreibt: So entstehen dreißigjährige Greise, die vom Leben angeekelt genug haben. Denn die grenzenlose Freiheit bot ihnen keinen Widerstand, an dem sie sich hätten lustvoll, kraftvoll und kreativ abarbeiten können, weil man bereits und permanent nach dem ersten Date zusammen ins Bett ging. Diese Freiheit ist wie eine Gummizelle: Man darf alles tun, aber es gibt keinen produktiven Widerstand, kein Echo, keine Anbindung. Nur Geschwindigkeit, Leere und Ekel.

Ein anderes hinderliches Moment ist die permanente Selbst-Inszenierung. Es gibt keine Fügung, kein Schicksal mehr, jeder ist selbst für sein Glück und seine Krankheiten verantwortlich, auf dass der Körper in ewiger Disziplin zu optimalen Zuständen hin malträtiert wird. "Ich müsste mehr lesen, mehr Sport machen, mehr Klavier üben" so das große Unbehagen bis zum Lebensende. Dies geschieht alles nur für sich, aber damit auch in der Negierung der Gesellschaft und letztendlich unserer Demokratie.

Hillenkamp spricht von der "Nichtliebe", die sich speist aus nie versiegender Hoffnung, aus Nostalgie, aber auch vom Zu-viel-Wissen.

"Der freie Mensch sagt: Das ist keine Liebe. Das ist eine Projektion, eine Kompensation. Eine Verdrängung und Idealisierung. Das ist Hollywood. Pornografie. Nur ein Klischee, nur eine Kopie. ...Er entwickelt ein Enttäuschungsthema: Verhaltens-, Schönheits-, Sexual-, Erotik-, Wohnorts-, Freundeskreisenttäuschungen ... und sammelt Belege und bricht ab. Der Abbruch betrifft auch: Eltern, Berufe, Wohnorte, Projekte, Leidenschaften, Sportarten, Gewohnheiten, Enthaltsamkeiten."

Diese freien Menschen führen Negativlisten gegen die Anderen. Sie werden dadurch zum "Allergiker der Sinne". Alles nervt sie, alles gerät zur Krise, alles macht Stress und wendet sich zum Selbsthass. Eine Frau beschreibt ihren Trennungsgrund: "Ich hasse Männer, die Hunde halten und weisse T-Shirts tragen". Die "manische Störung", diese Unruhe, diese Hektik wird zum Normalfall.

Menschen sind heute nicht nur emotional entgrenzt, sondern gehören auch keiner Schicht, keiner Klasse mehr an, bewegen sich in einer "Universalkultur" in großen Geschwindigkeiten durch Städte, Fernsehkanäle, im Internet. Heimat- und Ortlos. Getrieben von ihren Augen, der Sucht zu sehen. Die Augen tasten ab, scannen ein, verwerfen in Sekundenschnelle. Andererseits bewegt sich der freie Mensch wie ein Blinder, weil er reale Menschen und Landschaften nur noch mit den Hunderttausenden von virtuellen Bildern vergleicht und nichts mehr wirklich sehen kann. Diese Medienbilder verknäulen sich zu seinem "tyrannischen Gedächtnis" und lassen die 30-Jährigen wie lebensmüde, zu oft gescheiterte Greise wirken.

Die Partnersuche wird industrialisiert, beschleunigt, automatisiert, rationalisiert, standardisiert, letztendlich arrangiert: Im Internet wie auf Ferieninseln und in Erotik-Sex-Swinger-Vereinen. So wie Prostitution und Pornografie von der Inszenierung der unbegrenzten Möglichkeiten leben, so leben die privat ins Netz gestellten Fotos ebenfalls von dieser Utopie, dieser Distanzlosigkeit, der Nacktheit, der Infantilisierung des gesamten Lebens. Natürlich mit politischen Folgen, denn das "Private wurde nicht aufgelöst von einem totalitären Staat, sondern von der totalen Freiheit".

In diesem Suchvorgang verleibt man sich den Partner nach der Disko oder dem ersten Date durch sofortigen Sex ein und erbricht ihn bei Tageslicht ebenso rasch, ist also ein "Bulimiker der Liebe", wie der Autor bösartig zutreffend schreibt. Was wiederum den Selbsthass verstärkt. Diese Spirale dreht sich immer rascher, der Zwang nimmt zu.

"Die Unendlichkeit macht sie zu monströsen Kopfmenschen, Augenmenschen und Geschlechtsmenschen. Sie leiden an einer Zwangsgrübelei (betreffend der Verbesserung ihrer Arbeits-, Therapie-, Wohnorts-, Liebes- und Sexpartnersuche), einer Zwangsguckerei und einer entsprechenden Zwangserregung."

Was ist die Alternative, wenn die Freiheit zu groß geworden ist? Der einzige Zwang, der uns allen bleibt, ist der der Zeit. Also wäre eine selbst verantwortete Beschränkung auf einen Menschen in der Zeit eine neue Freiheit, eine Restfreiheit. Der selbst gewählte Zwang als letzte Freiheit für diejenigen also, denen alles möglich war und denen am Ende nichts mehr möglich ist. Also die Vernunftehe.

"Denn die Schönen haben mir nicht gut getan, die Erregenden noch weniger. Die Gleichheit war immer nur die Gleichheit der Neurose ... Ich habe genug von den Gestörten, den Untreuen. Der Geliebte als Konkurrent und Lehrer ist eine Unerträglichkeit. Ich will keinen Stress mehr."

Ähnlich sieht es Arnold Retzer, der als Paartherapeut just ein ganzes Buch über die Vernunft schreibt, welche in den Ehen stärker walten sollte, als Kontrast zu den scheiternden Liebesheiraten.

Wir Therapeuten kämpfen täglich gegen die Unvernunft, das heißt gegen zu überzogene Erwartungen, gegen die weibliche Sucht den Partner erziehen zu wollen, gegen das männliche Schweigen als Abwehr. 300.000 Scheidungen und Trennungen von ehemaligen Liebesbeziehungen im Jahr und Hunderttausende von zerstörten Kindern sind ein Massenphänomen, welches unsere Gesellschaft zunehmend aushöhlt und zersetzt.

Die Liebes- und Hollywoodklischees machen viele Menschen kaputt, fördern Hass und psychisches Elend, weil sie Täuschungen, zu hohe Erwartungen produzieren, auch die Unverbindlichkeiten, die zunehmende Geschwindigkeit, den ständigen Wunsch nach einem Wechsel. Ex und Hopp als Lebenshaltung.

Dieser philosophische Essay von gläserner Härte, der uns erschrecken lässt, und Retzers Buch kommen zu je ähnlichen Schlussfolgerungen: Nach der alles überwuchernden Emotionalisierung und Infantilisierung unserer gesamten Gesellschaft möge doch wieder die Vernunft wirklich erwachsener Menschen ihren notwendigen Platz einnehmen.


Sven Hillenkamp: Das Ende der Liebe. Gefühle im Zeitalter unendlicher Freiheit
Klett-Cotta-Verlag Stuttgart und
Arnold Retzer: Lob der Vernunftehe. Eine Streitschrift für mehr Realismus in der Liebe
S. Fischer-Verlag Frankfurt/Main