Wu Tsang im Gropius Bau

Identität als faszinierender Fächer von Möglichkeiten

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Ein Mann steht vor dem Kunstwerk "Sustained Glass", das wie ein buntes Kirchenglasfenster anmutet, in einem Raum im Martin Gropius Bau. Das Werk ist ein Bestandteil der Ausstellung "There is no nonviolent way to look at somebody" von Wu Tsang, die vom 04. 09. bis 12.01.2020 gezeigt wird.
Das Kunstwerk "Sustained Glass" von Wu Tsang erinnert an die Bedingungen der Transgender-Häftlinge in US-amerikanischen Gefängnissen. © Foto: Paul Zinken/dpa |
Von Simone Reber · 03.09.2019
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Mann oder Frau, lesbisch oder schwul, trans-, inter- oder heterosexuell? Die amerikanische Künstlerin Wu Tsang ist in der Vielfalt zuhause. Ihre Kunst - nun im Berliner Gropius Bau zu sehen - ist kaleidoskopisch, manchmal verwirrend, aber von großer Anziehungskraft.
Eine Wand aus blauem Glas versperrt die Sicht aus den Fenstern. Alles ist gleichzeitig transparent und undurchdringlich in dieser flirrenden Ausstellung mit Werken der amerikanischen Film- und Performancekünstlerin Wu Tsang.
Die Glasscheiben brechen das Licht, färben den Raum, bündeln den Blick. Sie nehmen den Glanz von Juwelen an oder die Schärfe eines Messers. Denn in das Glas hat Wu Tsang einen Text eingelassen, der an die Bedingungen für Transgender-Häftlinge in amerikanischen Gefängnissen erinnert.

Transgender in Einzelhaft

Weil sie unter ihren Mitgefangenen als gefährdet gelten, werden sie häufig in Einzelhaft genommen. In sogenannte security housing units, kurz "shu" genannt. Die Skulptur aus Buntglas, die an Kirchenfenster erinnert, entstand während Wu Tsangs Aufenthalt als Artist in Residence am Berliner Martin Gropius Bau. Wu Tsang:
"Mich interessiert daran, dass es sich um eine sehr alte Tradition handelt, die ursprünglich die Möglichkeit bot, mit Leuten zu kommunizieren, die nicht lesen konnten. Dahinter steht diese Idee, Geschichten mit Bildern zu erzählen. In diesem Fall habe ich einen Text abgebildet, insofern kehre ich diese Tradition um. Aber ich glaube, die Qualität des Glases hängt vom Licht ab. Das Licht ist das Medium, das seine Wirkung aktiviert."
Diese Lichtinstallation, bei der auf einem blauen Leuchtschild in weißen Buchstaben "The fist ist still up" steht, ist in einem Raum im Martin Gropius Bau ausgestellt und ist Bestandteil der Ausstellung "There is no nonviolent way to look at somebody" von Wu Tsang, die vom 04. 09. bis 12.01.2020 gezeigt wird.
Diese Parole aus dem queeren Nachtclub Silver Platter in Los Angeles, ist ein Mitbringsel aus den Zeiten, als sie dort Partys veranstaltete.© Foto: Paul Zinken/dpa
Auch in der strahlenden Arbeit "The fist is still up" schwingt Bedrohung mit. Safe space, einen sicheren Ort, nennt die Künstlerin ironisch die Transportkiste, in die sie die Parole aus dem queeren Nachtclub Silver Platter in Los Angeles gepackt hat. Ein Mitbringsel aus den Zeiten, als sie dort Partys veranstaltete.
"Als ich später als Künstlerin viel reisen musste, habe ich mir Gedanken darüber gemacht, wie sich mein Werk veränderte, dadurch dass es in einem Ausstellungsraum gezeigt wurde und inwiefern die Kunst Aktivismus in einem weißen Raum fordert. Indem ich das Zeichen in eine Kiste verpackt habe, war das für mich eine Art, es zu schützen. Aber ich will auch darüber reden, wie diese Art von Schutz zum Gefängnis werden kann. Es ist beides – euphorisch und melancholisch."
Mit ihrem Haarknoten und den feinen Gesichtszügen sieht Wu Tsang aus wie eine Mischung aus Kung Fu-Kämpfer und Lady. In ihrer Kunst arbeitet sie mit festen Partnerinnen zusammen - mit ihrer Freundin, der athletischen Performance-Künstlerin boychild, und mit dem afro-amerikanischen Dichter Fred Moten.

Glitzer aus dem queeren Untergrund

Selig dreht sich der massige Mann im Gegenlicht, seine Lippenbewegungen sind unterlegt von der Stimme des homosexuellen Sängers Josiah Wise, der seinerseits ein Lied der Jazz–Ikone Betty Carter interpretiert. Irritierend sind hier Männer- und Frauenperspektive übereinander geblendet. Identität wird zu einem faszinierenden Fächer von Möglichkeiten. In dem Film ist Fred Moten behängt mit funkelnden Kristallen. Im Raum daneben perlen glitzernde Glasketten von der Decke:
"Glitzern ist eine Qualität, mit der ich sehr gerne arbeite. Ich habe viele Filme gemacht, die sich mit queerem Nachtleben beschäftigen. Glitzer hat eine bestimmte Ästhetik, die für mich aus dem queeren Underground kommt. Man braucht nicht viel, man kann ganz einfache Materialien verwenden, Gold Lamé zum Beispiel oder Kristalle. Man kann mit ganz wenig sehr magische Szenen erschaffen."

Sich im Gesang verlieren

Wu Tsang, Kind einer schwedisch-amerikanischen Englischlehrerin und eines chinesischen Immigranten, will sich auflösen in ihrer Kunst. Im Tanz erprobt sie die sprachlose Kommunikation, im Gesangsunterricht hat sie ihre Stimme trainiert:
"Ich würde auf keinen Fall behaupten, dass ich eine Oper singen kann. Aber ich finde es eine kraftvolle Idee, dass man, um einen Ton hervorzubringen, lernen muss, den Körper zu einem Gefäß für die Luft zu machen. Man bewegt eher Luft, als dass man Mühe darauf verwendet, Töne zu produzieren. Das klingt am besten, wenn es vollkommen ohne Anstrengung geschieht. Und für mich passt das zu der Idee, mich selbst zu verlieren und ein Medium zu werden für Stimmen, von denen ich nicht einmal weiß, woher sie kommen."
In den Filmen von Wu Tsang treffen archaische Rituale auf urbanen Underground. Die kaleidoskopische Kunst ändert den Blick, indem sie viele Perspektiven bietet. Das Ergebnis ist weder klar noch scharf, sondern verwirrend verschwommen – aber in seiner Uneindeutigkeit von irisierender Anziehungskraft.

"There is no nonviolent way to look at somebody" – die Ausstellung mit Werken der amerikanischen Künstlerin Wu Tsang ist bis zum 12. Januar im Berliner Martin Gropius Bau zu sehen, geöffnet täglich außer dienstags von 10 bis 19 Uhr.

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