Und plötzlich war alles fremd

14.10.2011
Gyrdir Eliasson, 1961 in Reykjavik geboren, machte eine Lehrerausbildung und debütierte schon mit 22 Jahren mit einem Gedichtband. Er zählt zu den eher leiseren isländischen Autoren. Für seine - noch nicht übersetzten - Erzählungen "Unter Bäumen" erhielt er in diesem Frühjahr den angesehenen Nordischen Literaturpreis. Sein neuer Roman "Am Sandfluss" handelt von einem Maler, der durch seine Kunst einsam geworden ist.
Gyrdir Eliasson, der von weitem aussieht wie der Sänger Sting, ist ein Außenseiter in der zuweilen etwas vorlauten isländischen Literatur. Bei uns ist er nicht so bekannt wie zum Beispiel Einar Karason oder Sjon, obwohl seine ersten Bücher auf Deutsch schon 1996 erschienen: der Roman "Das Schlafrad" (Suhrkamp) und der großartige Erzählungsband "Papierbooteregen" (Kleinheinrich). Seine Prosa ist sorgfältig, behutsam, sparsam, sie ist poetisch und trotzdem genau, er ist eben "ein Dichter und hasst das Ungefähre".

Schon im Frühjahr erschien im jungen Verlag Walde + Graf Eliassons Geschichte "Ein Eichhörnchen auf Wanderschaft", in der ein achtjähriger Bub durch die Kunst eine "Welt jenseits der Welt" entdeckt, nun folgt sein wunderbares Buch über einen Künstler, der durch die Kunst einsam geworden ist. Eliasson hat dem Roman, der eigentlich keiner ist, das Motto vorangestellt: "Kein weiser Mensch schreibt ein Buch. Kein weiser Mensch erzählt seine Geschichte. Ein weiser Mensch kann etwas für sich behalten, bis ihn alle vergessen." Wenn man vorher eine Menge isländischer Bücher gelesen hat, die alle nichts vergessen wollen und fast geschwätzig wirken können, kommt ein solches Motto unverhofft. Und ist sehr erholsam.

Das Buch spielt zwar in Island, was aber keine große Rolle spielt. Anfangs erinnert es von fern an Peter Handkes "Langsame Heimkehr", nur nicht ganz so ziseliert und philosophisch. Der Ich-Erzähler ist ein Maler, der sich in ein Ferienlager mit Wohnwagen zurückgezogen hat, er versucht zu malen, was ihm nicht gelingt, er geht lieber spazieren und begegnet mehrmals einer rätselhaften schönen Frau, die immer wieder verschwindet, er ist ein moderner Einsiedler und leidet doch daran, allen fremd geworden zu sein, auch seinen eigenen Kindern.

Hier schreibt (oder: malt) sich einer buchstäblich um Kopf und Kragen, in diesem rundum gelungenen Buch ist kein falscher Ton, keine schiefe Metapher, hier gibt es keine schrägen Vögel, wie so oft in der isländischen Literatur, und keine Lust, immerzu Witze zu reißen: "Am Sandfluss" ist der Bruch mit dem Klischee, der Beweis, dass die Insel zu etwas anderem fähig ist, als nur Spielwiese selbsternannter, ewig lustiger Standup-Comedians zu sein.

Hingewiesen sein soll noch auf die Bleistiftzeichnungen von Laura Jurt: Abbildungen von Bäumen, einer Teetasse, einem zerknüllten Blatt Papier, scheinbar realistisch, aber mit kleinen Besonderheiten und Absonderlichkeiten, eine gute Ergänzung zur Schilderung der Innenwelt dieses Malers.

Besprochen von Peter Urban-Halle

Gyrdir Eliasson: Am Sandfluss. Pastoralsonate
Aus dem Isländischen von Betty Wahl
Illustriert von Laura Jurt
Verlag Walde + Graf, Zürich 2011
144 Seiten, 16,95 Euro