Unbeugsamer Bürgersinn

Von Jacqueline Boysen · 13.03.2007
Das Jahrhundertprojekt mit dem verniedlichenden Namen Waldschlösschenbrücke zerschneidet unweigerlich die Einmaligkeit der Elbauen. Sie haben industrielle Revolution und Realsozialismus ohne steinerne Uferversiegelung überstanden. Das Gericht hat die Stimme der Dresdner für den Bau dieser Brücke gewichtet.
Dresden taugt immer wieder zum Symbol: zu allererst für den Frieden, aber auch für das Barock und nicht zuletzt für ein eigensinniges und unbeugsames Bürgertum. Wie keine andere Stadt in Deutschland ist Dresden ästhetisch und intellektuell geprägt von diesen drei Komponenten – nicht zuletzt ist der spektakuläre Wiederaufbau der Frauenkirche diesem sehr authentischen Dreiklang zu verdanken. Die Spenden aus aller Welt wären nicht reichlich in die historische Mitte der Stadt geflossen, wenn hinter der Kampagne nicht echte Initiative zu spüren gewesen wäre.

Die Hauptstadt des Freistaats Sachsen entwickelt in bester europäischer Tradition eigene Kräfte, und nun wirken diese wieder einmal. Allerdings in eine Richtung, die von außen betrachtet nicht eben zeitgemäß scheint: Die Bürger in ihrer Mehrheit wünschen sich, wie sie im Jahr 2005 bekundet haben, unbedingt eine weitere Elbquerung. Das Jahrhundertprojekt mit dem verniedlichenden Namen Waldschlösschenbrücke zerschneidet unweigerlich die Einmaligkeit der Elbauen, ein Charakteristikum der Stadt: anders als andere Flussanrainer schmiegt sich Dresden an den geschwungenen Fluss und hat industrielle Revolution und Realsozialismus ohne steinerne Uferversiegelung überstanden.

Der Blick, den wir heute vom rechten Elbufer über das Panorama der Stadt gleiten lassen können wie einst Canaletto, dieser Blick wäre verstellt. Wohl entlastet eine weitere Brücke die bestehende Infrastruktur beiderseits der Elbe, aber in Zeiten, da der Klimaschutz nicht mehr nur Schlagwort ist, sollten freie Bürger die freie Fahrt ohnehin von sich aus bremsen.

All dies freilich hatte das Sächsische Oberverwaltungsgericht in seinem heutigen Urteil weder zu beanstanden noch gutzuheißen. Vielmehr ging es darum, die Stimme der Dresdner zu gewichten. Der Bürgerentscheid ist als "Akt unmittelbarer Demokratie" bindend, befanden die Richter. Und sie sparten nicht an einem eindeutigen Hinweis auf die Entmündigung der Bürger in vergangenen Zeiten der Diktatur. Die Welterbekonvention der Unesco dagegen, die das Ensemble schützen will, ist nicht in nationales Recht eingeflossen, und aus juristischer Sicht nicht von vergleichbarer Verbindlichkeit.

Ob das nun vermutlich folgende Beschwerdeverfahren vor dem Sächsischen Verfassungsgericht noch eine andere Entscheidung bringt, ist fraglich. Gilt künftig also das Elbtal aus Sicht der Unesco als gefährdetes Erbe, so war´s immerhin die freie Entscheidung der Dresdner selbst. Was sie unterschätzt haben? Sie setzen viel von dem aufs Spiel, was eigentlich Dresdner Stärke ist: ihr vernünftiger Bürgersinn, das Barock und die Stadt im organischen Gleichklang mit der sie umgebenden Natur.